Wir beraten

Von einem «Grossen», der herabsteigt   

Dieter Bauer zur Lesung am 28. Sonntag im Jahreskreis SKZ 40-41/2007

Alttestamentliche Lesung: 2 Könige 5,1–13.14–17.18–19a
Evangelium: Lk 17,11–19

Jede und jeder von uns hat schon erlebt, wie Krankheit einsam machen kann. Dass es oft eines langen Weges bedarf, sich dieser Krankheit zu stellen. Und manche kennen das vielleicht, dass es oft fast noch schwerer ist, sich helfen zu lassen. Das klingt womöglich etwas überraschend, aber gerade die alttestamentliche Lesung erzählt von einem solchen Weg der Heilung, der einige Stationen aufweist.

Mit Israel lesen

Der heutige Lesungstext (2 Kön 5,14–17) ist ohne einen Blick in den Gesamtzusammenhang der Geschichte schlicht unverständlich. Er ist der Elischageschichte von der Heilung des Syrers Naaman (2 Kön 5,1–27) entnommen und beginnt mit Vers 14 ausgerechnet beim Höhepunkt. Es ist daher dringend zu empfehlen, auch die Hinführung VV. 1–13 mit vorzulesen und auch die VV. 18–19a hinzuzunehmen, damit die Textlesung einen angemessenen Abschluss erhält. Gerade, wenn über diesen Text gepredigt werden soll, ist die lange Textfassung gerechtfertigt.

Schon im ersten Vers unseres Textes haben wir sprachlich einen Grundkonflikt ausgedrückt, der in der deutschen Übersetzung sehr gut hörbar ist. Von Anfang an geht es um zwei «Herren», nämlich den König von Aram, dessen Untergebener Naaman ist, und JHWH, den «Herrn», der – für Naaman verborgen – die Fäden zieht und ihm zum Sieg (gegen Israel!) verhilft. Im Erzählbogen der Geschichte wird der «grosse» Naaman, der Zweite nach dem König, noch weit herabsteigen müssen. Das sieht man am Anfang noch nicht. Und dann kommt ganz überraschend: Dieser mächtige Mann hat ein Problem. Er ist krank. Sein Aussatz hindert ihn zwar nicht daran, seine Tätigkeit auszuüben, aber er behindert ihn. Mit «Aussatz» ist übrigens nicht – wie oft angenommen – Lepra gemeint (sie wurde erst im 3. Jhdt. v.Chr. durch die Griechen in Palästina eingeschleppt), sondern eine Art von Hautkrankheit, welche die Haut weiss erscheinen lässt (vgl. 2 Kön 5,27).

Eine mögliche Lösung für die Not Naamans deutet sich bereits in V. 2 an, wenn auch von unerwarteter Seite: Eine kriegsgefangene Sklavin befi ndet sich im Hause Naamans: Sie ist eine Sklavin seiner Frau. Und sie ist Israelitin. Sie weiss von einem Propheten in Israel, der Naaman helfen könnte. Wir lernen nun eine weitere – für mich sehr sympathische – Seite des «grossen» Naaman kennen: Er hört auf seine Frau und damit auch auf deren Untergebene (V. 3). Das wird ihm im Verlauf der Geschichte noch mehrmals weiterhelfen.

Die guten Beziehungen Naamans verhelfen ihm zu einem Empfehlungsschreiben an den König von Israel (V. 5). Nur: Was die beiden «Herren» Könige hier miteinander verhandeln, hilft Naaman nicht weiter. Die göttliche Heilkraft, die der eine «Herr» dem anderen zutraut, wird von diesem als reine Provokation empfunden. Dass Naaman mit vollem Kriegsgespann (s. u. V. 9) aufgekreuzt war, war vielleicht auch nicht gerade vertrauensbildend gewesen. Jedenfalls wittert der König von Israel Krieg (V. 7). Der König von Israel ist kein Gott. Es braucht deshalb den «Gottesmann», um Naaman helfen zu können. Dieser tritt nun auf den Plan.

Elischa lässt Naaman zu sich rufen (V. 8). Als Naaman vor seiner Haustür erscheint, lässt er ihm einfach nur ausrichten, wie er gesund werden könnte: durch ein Bad im Jordan (VV.9–12).

Das ist der «grosse» Naaman nicht gewohnt. Er hat eine sehr genaue Vorstellung davon, wie der Prophet ihn zu heilen hat. Mit «Pferden und Wagen» (vgl. Ex 15,1.21), den Panzern der Antike, war er vorgefahren. Und dass Elischa sich nun nicht einmal bequemt, zu ihm herauszukommen, macht Naaman wütend. Baden kann er auch wo anders, in angenehmeren Gewässern als dem schlammigen Jordan! Und erneut hilft es dem «grossen» Naaman weiter, dass er auf seine Untergebenen hört:

Naaman lässt sich von seinen Dienern überzeugen und tut, was der Gottesmann befi ehlt (VV. 13 f.). Er steigt herab vom Wagen, entledigt sich seiner Kleider, wird nackt und bloss und taucht sieben Mal in die Fluten des Jordan. Nun ist er auf der Stufe des «jungen Mädchens» (naarah qatanah; V. 2) angelangt. Stufe um Stufe ist er bis hierher herabgestiegen: Er hat auf die Sklavin seiner Frau gehört, er hat den König von Israel um Hilfe gebeten, er hat sich zu Elischa schicken lassen, er hat sich von Elischa vor der Haustüre abfertigen lassen, er hat sich von seinen Dienern überzeugen lassen und ist vom Burgberg Samariens zum Jordan hinab gestiegen, er hat sich seiner Kleider entledigt und steht nun nackt und bloss wie ein «junger Knabe » (hebr.: naar qatan) vor JHWH, gesund und rein. Und so wie das «Fleisch zu ihm zurückgekehrt » war (so wörtlich V. 14), kann er selbst nun umkehren. Was auf den ersten Blick (monotheistisch) wie ein Bekenntnis zum einzigen Gott aussieht («Jetzt weiss ich, dass es nirgends auf der Erde einen Gott gibt ausser in Israel»), wird sich im Folgenden erweisen als ein (henotheistisches) Bekenntnis zu dem einen Gott, neben dem es zwar an dere gibt (wie Rimmon von Aram; s. u.), die aber weniger bedeutend sind. Diesem einen Gott will Naaman nun mit seinem Geschenk danken. Doch Elischa macht deutlich, dass diese Heilung «umsonst» war, also gratis. JHWH war dem Naaman, der nackt und bloss wie ein «junger Knabe» in den Wassern des Jordan stand, heilend ent gegengekommen. Ihn, den Gott Israels, darf er nun verehren, auf seinem eigenen Grund und Boden – deshalb der Transport der Erde nach Aram (V. 17). Elischa erweist sich dem Glauben Naamans gegenüber als äusserst grosszügig. Nicht auf den Kult kommt es an, sondern auf die Gesinnung, in welcher dieser vollzogen wird (V. 18). Fünfmal nun schon hat sich Naaman dem Elischa gegen über als «dein Knecht» bezeichnet. Er wird nicht als der «Kriegsherr» nach Aram zurückkehren, sondern im Frieden JHWHs, den ihm Elischa wünscht (V. 19a).

Mit der Kirche lesen

Die liturgische Leseordnung hat der Aussätzigenheilung eines Einzelnen durch Elischa die Heilung von zehn Aussätzigen durch Jesus (Lk 17,11–19) gegenüber gestellt. Damit nicht der Eindruck entsteht, die neutestamentliche Geschichte wolle die alttestamentliche überbieten, möchte ich auf einen entscheidenden Unterschied aufmerksam machen:

Auch wenn immer wieder darauf abgehoben wird, dass es in der Erzählung des Lk um neun Undankbare gegenüber dem einen Dankbaren ginge, der zudem als «Fremder» noch aus Samarien kommt, ist doch nicht zu übersehen, dass die Schicksale in den beiden Geschichten sehr unterschiedlich gelagert sind. Während von dem «grossen» Naaman erwartet wird, dass er «herabsteigt» und selbst etwas zu seiner Heilung beiträgt, kann das von den zehn Aussätzigen, die isoliert am Rande der Gesellschaft leben und zu den Ärmsten der Armen gehören, einfach nicht erwartet werden. Wohin sollen sie denn noch herabsteigen? Wenn einer von ihnen trotzdem dankbar ist, dann ist das das eigentliche «Wunder ». Sich über die Undankbarkeit der neun Anderen zu echauffi eren ist in meinen Augen scheinheilig und zeigt nur, dass man von der eigentlichen Not solcher Menschen keine Ahnung hat. Gottes Barmherzigkeit zeigt sich an allen zehn Aussätzigen – bedingungslos!

Die Sklavin des Naaman

Eine ganz hervorragende Exegese von 2 Kön 5,1–27 mit vielen Hinweisen für die Bibelarbeit bietet:
Ulrike Beckmann: Die Sklavin des Naaman. Kriegsgefangene – Prophetin – Friedensfrau. Stuttgart 2004.
Das kleine Büchlein (64 S.) ist für 9 Franken (+ Porto) erhältlich bei: Bibelpastorale Arbeitsstelle, Bederstrasse 76, 8002 Zürich, Tel. 044 205 99 60, infobibelwerk.ch