Wir beraten

Glaube ist Vertrauen in die Welt   

Winfried Bader zur Lesung am 27. Sonntag im Jahreskreis SKZ 39/2007

Alttestamentliche Lesung: Habakuk 1,2-3; 2,2-4
Evangelium: Lukas 17,5-10

Glaube ist zu einem Schlagwort geworden. Die einen führen es auf den Lippen, um ihrer kirchentreuen Gesinnung Ausdruck zu verleihen, die anderen benutzen es, um ihre Kritik an der Kirche zu begründen. In beiden Fällen bleibt Glaube im persönlichen Bereich, als individuelle Verbindung vom Hier in ein wie immer vorstellbares Jenseits. Gerühmt wird vielleicht noch die Grösse des Glaubens; kaum einer vergleicht es mit der Winzigkeit eines Senfkorns wie im heutigen Evangelium, das uns dieses Thema Glauben vorgibt. Und wer vertraut Bäume entwurzeln zu können? Liegt aber dann nicht die Überschrift, Glaube als Vertrauen in die Welt, vollkommen quer dazu?

Mit Israel lesen

Die Lesung aus dem Propheten Habakuk führt uns in drei Schritten dieser These näher.
Habakuk ist ein Prophet. So steht es explizit in der Überschrift, dem ersten Satz dieses kleinen Büchleins. Er ist ein Prophet, dem eine Last – so eine andere Übersetzungsvariante des im Hebräischen bewusst doppeldeutigen Ausdrucks für «Ausspruch» – auferlegt ist. Diese Last –wir könnten auch sagen: Bürde des Amtes oder vielleicht noch besser: Verantwortung für die ihm Anvertrauten – nimmt er wahr. Er tut dies aber – und das ist der erste Schritt auf unserem Denkweg –nicht, wie von einem Propheten erwartet durch eine grosse Drohrede an das Volk. Habakuk betet. Betend beklagt er die Missstände, trägt diese zu Gott. Gewalt, Unterdrückung, Zwietracht und Streit, sind die Sozialgewalt, die er um sich beobachtet, von Menschen gemacht. Habakuk predigt nun nicht zuerst diesen Menschen, sondern er wendet sich betend an Gott, klagt ihm dieses Leid. Das ist eine grossartige Haltung, die Mut erfordert. Sie lässt sich leicht auf die Haltung eines jeden Verantwortlichen für eine Gruppe von Menschen übertragen: Der Abteilungsleiter, der für sein Team beim Chef kämpft, der Politiker, der für das Wohlergehen im Land von aussen um Hilfe bittet, der Bischof, der für seine Diözese und deren besonderen Verhältnisse in Rom einsteht.
Habakuk ist mit seinen Worten zu Gott eindeutig und wenig zimperlich: «Du hörst nicht! Du hilfst nicht! Du siehst der Unterdrückung zu!». Es sind konkrete Vorwürfe, die sich auf konkrete Situationen beziehen. Die Vorwürfe bleiben aber sachlich und wenden sich nicht höhnisch gegen Gott. Sie stellen Gottes Fähigkeiten und seinen guten Willen nicht in Frage. Die Eingangsfrage – und damit sind wir beim zweiten Schritt – «Wie lange noch?» spricht ein Vertrauen in Gott aus. Er wird nicht selbst in Frage gestellt, sondern es wird im Gegenteil gerade ihm – und vielleicht nur ihm – zugetraut, die Probleme lösen zu können. Die Frage an ihn ist das menschlich typische, ungeduldige Herbeisehnen des Endes von Schmerzen. Es ist ein Glauben an seine Göttlichkeit und ein Vertrauen in seine Wirkung in der Welt.
Der dritte Schritt hin zu der These, Glauben ist Vertrauen in die Welt, liegt in der Antwort Gottes – im Original entwickelt sich in den Kapiteln 1-2 ein Gespräch mit zweimaliger Rede und Gegenrede, in der Lesungsperikope ist nur die zweite Antwort von Gott wiedergegeben.
Der eigentlichen Antwort Gottes geht eine Erklärung des Habakuk voraus (Hab 2,1 – nicht Teil der Lesung), nach Gottes Antwort Ausschau zu halten – Habakuk vertraut, dass die Antwort kommt. Von Seiten Gottes wird der Auftrag zur schriftlichen Dokumentation der folgenden Offenbarung vorausgeschickt (Hab 2,2-3). Beides hat verzögernde Wirkung, so dass Habakuk auf die Antwort warten muss, die offensichtlich gründlich bedacht sein will. Der Text zeigt damit, dass er nun seinem kerygmatischen Höhepunkt zustrebt. Die Verzögerung ist auch schon Teil der Antwort: Ein Durchhaltevermögen ist gefordert, die menschlich ungeduldige Frage nach dem «Wie lange?» mit anderen Massstäben zu messen. Die eigentliche Antwort Gottes besteht aus zwei Teilen, einer umfassenden Sentenz (Hab 2,4) und der konkreten Anwendung in der politischen Situation der Welt (Hab 2,5 – einem allgemeinen Trend der Perikopenabgrenzung folgend, gehört dieser konkrete Weltbezug nicht mehr zum Lesungstext).
Die Kernaussage in Hab 2,4 ist das Festhalten im Glauben an Gott: Der Gerechte bleibt wegen seiner Treue am Leben. Treue ist das Hebräische aman, das uns geläufige Amen. Es drückt das Vertrauen aus, das intellektuelle Fürwahrhalten gleichermassen wie das existentielle sich Hingeben. Dieses Vertrauen des Gerechten wendet sich gegen den Glauben an die eigene Kraft und den Wahn der Machbarkeit, wie es in er ersten Antwort Gottes den Babyloniern vorgeworfen wird. Die Rettung des Gerechten durch seine Glaubenstreue ist eine dogmatische Korrektur des Habakuk-Buches und anderer Propheten, wo die Rettung des Gerechten durch die Ausrottung der Feinde gesehen wird. Es lenkt den Blick von Gottes Heilshandeln in der Geschichte auf die Verantwortung jedes Einzelnen. Die letztliche Rettung in der Geschichte wird dadurch in einem gewaltfreien Umfeld gesehen. Aber – und damit sind wir wieder bei der Überschrift – Vers 4 ist nur die Vorbereitung auf die konkrete politische Lösung in Vers 5. Es geht letztlich um ein Vertrauen an das Gute in der Welt.
Der Kernsatz der Antwort Gottes korrigiert auch manch verzerrte Vorstellung gegen die Gebotefrömmigkeit. Rabbi Schimlaj (um 250 n.Chr.) sagt: Die 613 Gebote am Sinai sind durch David zusammengefasst in 11 Gebote in Psalm 15 (eine Liste konkrete Empfehlungen für den mitmenschlichen Umgang), Jesaja – so der Rabbi weiter – hat sie auf 6 reduziert (Jes 33,15: u.a. Wahrheit sagen, keinen Mordplan hören, das Böse nicht sehen), Micha reduzierte sie auf 3 (Mi 6,8: Recht tun, Güte und Treue lieben, in Ehrfurcht den Weg gehen mit deinem Gott), Amos auf zwei (Am 5,4: Gott suchen) und schliesslich hat Habakuk alles in einem einzigen Gebot zusammengefasst: Der Gerechte vertraut.

Mit der Kirche lesen

Habakuk hat eine grosse Wirkungsgeschichte. Die Essener von Qumran deuteten die «für eine bestimmte Zeit geschriebene Botschaft» (2,3) aktuell auf die Plünderung des Tempels durch die Römer im Jahre 54 v.Chr. Hab 2,4 bezogen sie auf das Ausharren in der eschatologischen Wartezeit und auf das Sich-Einrichten der Gemeinde über das selbst errechnete Datum des Endgerichts hinaus.
Dies ist auch die Grundkonstellation des neutestamentlichen Hebräerbriefes, den die Leseordnung in den vergangen Wochen an den Sonntagen verlas. Dort setzt man sich Auseinander mit dem Ausbleiben des nahen Endes, erkennt in der Welt viel Unglück und Lied, und versucht gerade hier den Glauben aufrechtzuerhalten und als Hilfe und Lösung zu sehen. So zitiert Hebr 10,38 die Habakuk-Stelle, um gleich darauf die Definition zu geben: Glaube ist, Feststehen in dem, was man erhofft (Hebr 11,1). Paulus nimmt Hab 2,4 als Ausgangspunkt für seine Rechtfertigungslehre und seinen Glaubensbegriff (Röm 1,17; Gal 3,11).
All diesen Ansätzen aber ist gemeinsam: Es geht um ein Vertrauen der Wirkung des Glaubens in der Welt.

Winfried Bader