Wir beraten

«Und was bringt mir das?» Dieter Bauer zur Lesung am 18. Sonntag im Jahreskreis SKZ 29-30/2007   

Alttestamentliche Lesung: Koh 1,2; 2,21–23
Evangelium: Lk 12,13–21

«Und was bringt mir das?» Wie oft habe ich diese Frage schon von meinen Kindern gehört? Oft habe ich mich darüber geärgert. Eine Welt, in der alles nur nach dem bemessen wird, «was es bringt», mag ich nicht. Und oft habe ich meinen Kindern deshalb auch Vorträge darüber gehalten, dass sich im Leben nicht alles einfach nur nach diesem Massstab berechnen lässt. Doch immer wieder musste ich ihnen auch Recht geben. Beim genaueren Hinschauen merkte selbst ich, dass es wirklich nichts für meine Kinder war, was ich da von ihnen verlangt hatte. «Und was bringt mir das?» ist nicht die schlechteste Frage, um genau zu analysieren, was im Leben wirklich wichtig ist.

Mit Israel lesen

«Und was bringt mir das?» Das ist auch die Frage, die das Buch Kohelet durchzieht. «Was hat der Mensch davon, dass er…» fragt er immer wieder (Koh 2,22 u.ö.). Es ist die Frage eines Analytikers, der alles genau prüft und beurteilt. Und sein Urteil ist zum grossen Teil vernichtend: «Windhauch, Windhauch, sagte Kohelet, Windhauch, Windhauch, das ist alles Windhauch» (Koh 1,2).

Wer war Kohelet? In der jüdischen Tradition war der Verfasser des Buches König Salomo selbst. Man schloss das aus dem Buchtitel:«Worte Kohelets, des Davidsohnes, der König in Jerusalem war» (Koh 1,1). Der einzige Sohn Davids, der in Jerusalem zur Herrschaft gelangte, war aber Salomo gewesen, der Sohn der Batseba. Und so hatte das Buch bereits in frühester Zeit seinen Platz zwischen den beiden ausdrücklich Salomo zugeschriebenen Büchern Sprichwörter und Hohelied.

Trotz dieser traditionell salomonischen Verfasserschaft war das Buch im Judentum lange umstritten gewesen. In der Mischna ist ein Streit zwischen den Schulen des strengen Schammai und des liberaleren Hillel überliefert. Während das Buch von der Schule Hillels zu den Heiligen Schriften gerechnet wurde, lehnte die Schule Schammais dies ab.Warum? Das strenge Kriterium für Heilige Schriften war, dass sie die Tora lehren. Davon fand sich aber im Buch Kohelet auf weite Strecken nichts. Ja, für viele wirkte es geradezu «gottlos». Der Gottesname kommt in diesem Buch überhaupt nicht vor. Und auch sein überschwänglicher Aufruf zur Freude angesichts des Todes (Koh 9,7ff.) wirkte manchen Frommen dann doch zu epikureisch. Dass das Buch trotzdem im Kanon der Heiligen Schriften verblieb, hatte es letztlich seinem vom Herausgeber hinzugefügten Rahmen zu verdanken. Er hatte am Anfang den Hinweis auf die salomonische Verfasserschaft angebracht und am Ende eine Art Zusammenfassung des Buches geliefert: «Hast du alles gehört, so lautet der Schluss: Fürchte Gott, und achte auf seine Gebote» (Koh 12,13).

Das Buch Kohelet hat im Judentum schliesslich seinen Weg in die «Festrollen» (Megillot) gefunden und wird bis heute am Laubhüttenfest feierlich verlesen. Das Laubhüttenfest will traditionell an die Unbehaustheit Israels auf dem Weg ins Gelobte Land erinnern (Lev 23,42 f.). Das ist der eine Aspekt, der Grund, warum noch heute zum Fest Laubhütten gebaut werden, die kein wirkliches Dach haben. Dass es für den Menschen keine letzte Sicherheit gibt, fand das Judentum offensichtlich besonders gut im Buch Kohelet ausgedrückt. Unser heutiger Lesungstext gibt davon eindrucksvoll Zeugnis (Koh 2,21–23). Wie von einem «Memento Mori» ist das Buch Kohelet von dem Gedanken an den Tod durchzogen, der alles, aber auch wirklich alles relativiert.

Doch genau so wichtig ist ein zweiter Aspekt des Buches Kohelet, der ebenfalls im Laubhüttenfest seinen Ausdruck findet: die Freude! «Du sollst an deinem Fest fröhlich sein, du, dein Sohn und deine Tochter, dein Sklave und deine Sklavin, die Leviten und die Fremden,Waisen und Witwen, die in deinen Stadtbereichen wohnen. Sieben Tage lang sollst du dem Herrn, deinem Gott, das Fest feiern an der Stätte, die der Herr auswählt. Wenn dich der Herr, dein Gott, in allem gesegnet hat, in deiner Ernte und in der Arbeit deiner Hände, dann sollst du wirklich fröhlich sein» lautet die Anweisung zum Fest (Dtn 16,14 f.). Bei keinem jüdischen Fest wird so darauf bestanden, dass sich alle freuen sollen! Und was würde da besser passen, als der Aufruf Kohelets: «Also: Iss freudig dein Brot und trink vergnügt deinen Wein; denn das, was du tust, hat Gott längst so festgelegt, wie es ihm gefiel. Trag jederzeit frische Kleider und nie fehle duftendes Öl auf deinem Haupt. Mit einer Frau, die du liebst, geniess das Leben alle Tage deines Lebens voll Windhauch, die er dir unter der Sonne geschenkt hat, alle deine Tage voll Windhauch. Denn das ist dein Anteil am Leben und an dem Besitz, für den du dich unter der Sonne anstrengst » (Koh 9,7–9). Und das Laubhüttenfest endet mit dem Fest der Torafreude (Simchat Tora) – wie das Buch Kohelet mit dem Aufruf endet, die Gesetze zu halten (s. o.).

Mit der Kirche lesen

Vielleicht ist das ja für manche verwunderlich. Aber Jesus von Nazaret und der Verfasser des Buches Kohelet haben viel gemeinsam. Auch Jesus von Nazaret hatte Schwierigkeiten mit den «Frommen», die ihm seine «gottlosen» Freundinnen und Freunde («Zöllner und Sünder») vorhielten, mit denen er Festmähler feierte. Der Schimpfname «Fresser und Säufer» (Mt 11,19; Lk 7,34) wird wohl noch einer der harmloseren gewesen sein, wenn man bedenkt, dass er immerhin Aufnahme ins Neue Testament gefunden hat. Und auch Jesus hat sich als Rabbi, als Lehrer verstanden, der – vor allem in seiner Gleichnisverkündigung – mahnend den Finger hob und die Menschen davor warnte, auf falsche Sicherheiten zu setzen. Das heutige Evangelium ist dafür ein gutes Beispiel, wie auch für Jesus der allzeit drohende Tod zum Massstab wird, auf falsche Sicherheiten zu verzichten: «Du Narr! Noch in dieser Nacht wird man dein Leben von dir zurückfordern» (Lk 12,20).

Während Kohelet das Streben nach Besitz als «Windhauch» entlarvt hat, wenn es nur noch Sorge, Ärger und Ruhelosigkeit bedeutet, prangert Jesus die Illusion an, man hätte in seiner Verfügungsgewalt, sich später einmal des Lebens freuen zu können. «Der Sinn des Lebens besteht nicht darin, dass ein Mensch aufgrund seines grossen Vermögens im Überfluss lebt» (Lk 12,15). Und niemand weiss wirklich, ob er das noch erlebt, dass er sagen kann: «Ruh dich aus, iss und trink und freu dich des Lebens!» (Lk 12,19). «Narretei» nennt dies Jesus. «Windhauch» nennt es Kohelet. Sie waren sich darin einig, dass es nur einen Reichtum vor Gott gibt, nämlich das, was uns Gott in diesem Leben beschert, dankbar als sein Geschenk anzunehmen und sich jetzt des Lebens zu freuen. Denn: «Könnt ihr denn die Hochzeitsgäste fasten lassen, solange der Bräutigam bei ihnen ist?» (Lk 5,34).Wer glauben kann, dass das Reich Gottes bereits angebrochen ist, der darf es ruhig feiern!

Das Buch Kohelet
Das Buch Kohelet ist – anders als der Buchtitel suggeriert – kein Buch des weisen Salomo, sondern ist erst im 3. Jhdt. v. Chr. entstanden. In der Zeit der ptolemäischen Herrschaft über Palästina, die eine Entmachtung der alten Eliten und ein Vordringen hellenistischen Gedankengutes in den Schulen und im Wirtschaftsleben bedeutete, versuchte ein jüdischer Weisheitslehrer, moderne griechische Philosophie und traditionelle Gotteslehre miteinander zu verbinden. Kohelet gelang es, eine Sprache zu finden, die in ihrer Moderne noch heutige Menschen unmittelbar anzusprechen vermag: «Für manchen modernen Agnostiker ist Koh die letzte Brücke zur Bibel» (Norbert Lohfink).

Lesetipps: Norbert Lohfink: Kohelet (Neue Echter Bibel). Würzburg 51999; Katholisches Bibelwerk e.V. (Hsrg.): entdecken: kohelet. Lese- und Arbeitsbuch zur Bibel. Stuttgart 2005.