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Was ist Bibliodrama?   

Peter Zürn, Unterlagen zum Bibelsonntag 2007: Netz mit Zwischenräumen

«Menschen, die zu einem Bibliodrama kommen, lesen gemeinsam einen biblischen Text, setzen sich mit ihm auseinander und finden eine für diese Zeit und diese Menschen gültige … Auslegung. Dies ist – darin sind sich bei aller methodischen Verschiedenheit alle einige – das zentrale Anliegen» (Dorothee Dieterich in: WerkstattBibel 4, S. 29). Bibliodrama ist eine Form der Auseinandersetzung mit biblischen Texten und Bibliodrama gibt es in unterschiedlichen methodischen Ausprägungen. Was ist das Gemeinsame und Besondere am Bibliodrama?

Verkörperung und Vergegenwärtigung

«Anders als beim rein sprachlichen Auslegen, bleiben die Teilnehmenden nicht vor dem Text sitzen, sondern gehen in den Text hinein, betreten ihn körperlich, emotional und intellektuell, erleben, was sich im Text ereignet und verdichten dies zu einer eigenen Erfahrung, möglicherweise zu einer Text- oder Selbsterkenntnis ... Darum wird im Bibliodrama vom «Textraum» gesprochen» (ebd.). `Verkörperung` ist eines der Grundanliegen des Bibliodramas. Der Körper erfährt mehr vom Text als der Verstand alleine. Das andere Grundanliegen ist `Vergegenwärtigung`. An dem Ort im Text, in der Rolle, die ich wähle, begegnen sich die biblische Geschichte und meine Lebens- und Glaubensgeschichte, der biblische Text spricht – als Frage oder Zusage oder … – in meine Gegenwart. Bibliodrama hat nichts mit der Aufführung eines Bibeltextes zu tun, bei der Rollen und Texte auswendig gelernt werden. Der Text ist der Ausgangspunkt, wer aber den Textraum betritt, weiss noch nicht, was er/sie dabei erfahren und erleben wird.

Erfahrung und Deutung

Zur körperlichen Erfahrung im Spiel gehört im Bibliodrama wesentlich die Deutung des Erfahrenen im Gespräch. Dabei geht es nicht darum, die eine «richtige» Deutung zu finden. Die Deutung folgt der Erfahrung und die ist individuell und vielschichtig. Jede Person kennt immer nur einen Teil der gesamten Auseinandersetzung mit dem Text und kann durch die Erfahrungen anderer bereichert werden. Das entspricht der Vielschichtigkeit der biblischen Texte. Und trotzdem führen Spiel und Gespräch sehr oft dazu, dass Text und Deutungen existentielle Gültigkeit für Einzelne und die Gruppe erhalten. Dabei ist die Deutung eines Textes niemals abgeschlossen, weil die aktuelle und sich ändernde Situation der Teilnehmenden immer mit einfliesst.

Vielfalt und Ausbildung

Die Art, wie ein Bibliodrama gespielt wird, ist ganz unterschiedlich. Es kann um den gesamten Text einer Perikope gehen oder um einzelne Worte oder Elemente daraus. Es gibt Bibliodramen über 3 Stunden oder über eine ganze Woche hinweg, Rollen können frei gewählt oder gemeinsam erarbeitet und verteilt werden, verschiedene Materialien können zur Gestaltung der Rollen und des Raumes eingesetzt werden…
Die Leitung eines Bibliodramas setzt intensive eigene Erfahrungen im Bibliodrama und eine fundierte Ausbildung voraus. In der Schweiz werden verschiedene solcher Ausbildungen angeboten. Einen Überblick darüber verschafft man sich am Besten auf der Homepage der Intereressengemeinschaft Bibliodrama Schweiz, Liechtenstein und Vorarlberg (IGB) unter www.bibliodrama.ch. Dort finden Sie auch eine Liste ausgebildeter Leiterinnen und Leiter, die Sie für ein Bibliodrama in Ihrer Gemeinde oder Pfarrei engagieren können.

Bibliodramatische Elemente in Pastoral und Seelsorge

Aus dem Bibliodrama heraus werden Elemente entwickelt, die sich bei Bibelarbeiten, in Liturgien, in der Katechese, in seelsorgerlichen Begegnungen etc. einsetzen lassen. Eine Bibelarbeit mit bibliodramatischen Elementen finden Sie in diesem Heft, weitere bietet Band 4 der Reihe WerkstattBibel (siehe Literaturangabe unten). In der Propstei Wislikofen ist der Zusammenhang von Bibliodrama und Seelsorge zum Schwerpunkt mit vielfältigen Angeboten geworden (www.propstei.ch). Dort fand vom 11.-13. Mai 2006 auch das Erste Schweizerische Bibliodrama-Symposion der IGB unter dem Titel «Dem Lebendigen begegnen» statt. Mehr als 40 Personen beschäftigten sich 3 Tage lang intensiv mit dem Text aus Joh 21 und erlebten dabei vier verschiedene Formen von Bibliodrama. Die Leitungspersonen und die Teilnehmenden sind in der katholischen und reformierten Kirche beheimatet und in unterschiedlichen pastoralen Arbeitsfeldern tätig. Im Anschluss an das Symposion wurden sie gebeten, ihre Erfahrungen aufzuschreiben, damit sie für dieses Bibelsonntagsheft verwendet werden können. In der Einführung und in den Zugängen zum Text können Sie lesen, was dabei entstand. Auch die Predigtskizze wurzelt in den Erfahrungen beim Symposion. Nicht alle Texte haben in dieser Broschüre Verwendung gefunden. Unser ganz herzlicher Dank geht an alle, die ihre Erfahrungen aufgeschrieben haben.

Eine Bemerkung noch: «Begegnungen mit dem Lebendigen» sind selbstverständlich nicht nur im Bibliodrama möglich. Auch die Auseinandersetzung mit der Bibel lebt von der Vielfalt verschiedener Zugänge und Blickwinkel. Bettina Schulze hat dafür ein schönes Bild gefunden:
Wie das so ist bei Bibeltexten, habe ich den Text von Johannes 21 schon oft gelesen und kannte ihn … Bildhaft gesagt, kam er mir vor, wie die Kirche von Wassen, die man auf der Gotthardstrecke mit dem Zug mehrmals von verschiedenen Seiten sieht. Man staunt, kann sich die verschiedenen Perspektiven aber nicht richtig erklären, da man Wassen und die Zugstrecke zuwenig gut kennt und bevor man sich versieht, ist man schon im Gotthardtunnel und gedanklich bereits schon halb im Tessin. In den drei Bibliodrama-Tagen im Mai 2006 in Wislikofen wurde der Text immer wieder gelesen ... Das zwang mich dazu, genau hinzuschauen … Immer wieder brachte mich ein neuer Aspekt ins Grübeln und dazu, mich mit den anderen Teilnehmern auszutauschen.

Literatur: Dorothee Dieterich, Brigitte Schäfer (Hg.), Zwischen Himmel und Erde. WerkstattBibel Band 4, Verlag Katholisches Bibelwerk (2003). Erhältlich bei der Bibelpastoralen Arbeitsstelle