Wir beraten

Ein Gott, der Unheil bringt?   

Dieter Bauer zur alttestamentlichen Lesung am 10. Sonntag im Jahreskreis SKZ 21-22/»007

Alttestamentliche Lesung: 1 Kön 17,17–24
Evangelium: Lk 7,11–17

Es ist doch heute noch so:Wenn Katastrophen über die Menschheit hereinbrechen, dann trifft es die sowieso schon Armen und Not Leidenden am schwersten. Dieses Unrecht schreit zum Himmel! Der Protest dagegen ist so alt wie die Menschheit. Und er hat auch Eingang gefunden in unsere Heilige Schrift: «Willst du denn auch über die Witwe, in deren Haus ich wohne, Unheil bringen und ihren Sohn sterben lassen?» (1 Kön 17,20). Diese Anklage schleudert der Prophet Elija seinem Gott entgegen. Seinen Gott JHWH und niemand anderen macht er für das unsägliche Leid verantwortlich, das über die Witwe gekommen ist, deren Gastfreundschaft er geniesst. Für ihn, dessen Name bereits Programm ist – Eli-Jah = Mein Gott ist JHWH (und keiner sonst) – ist das ein absoluter Skandal. Er, der «Mann Gottes» (17,18.24), wird von der Witwe persönlich dafür haftbar gemacht, dass ihr Sohn im Sterben liegt: «Was habe ich mit Dir zu schaffen, Mann Gottes? Bist du nur zu mir gekommen, um an meine Sünde zu erinnern und meinem Sohn den Tod zu bringen?» (17,18).Was soll Elija dazu sagen?

Mit Israel lesen
Wie ein roter Faden ziehen sich durch die Bibel Geschichten von grossen Hungersnöten: von Abraham, der nach Ägypten ausweichen muss (Gen 12,10ff.), über die Josefsgeschichte, in welcher der Hunger die Jakobssöhne nach Ägypten treibt, bis zum makkabäischen Aufstand unter Jonatan (1 Makk 9,24 ff.). So setzen auch die Elijageschichten sehr abrupt mit der Ankündigung einer Hungersnot ein: «So wahr der Herr, der Gott Israels, lebt, in dessen Dienst ich stehe: in diesen Tagen sollen weder Tau noch Regen fallen, es sei denn auf mein Wort hin» (1 Kön 17,1). Diese Worte spricht Elija zu König Ahab und benennt dadurch auch gleich ganz eindeutig den Verantwortlichen für die kommende Not: JHWH, den Gott Israels!

Natürlich gehört es zur Pointe der Geschichte, dass nicht Baal, der Fruchtbarkeits- und Regengott Kanaans, dem Ahab einen Tempel in seiner Hauptstadt Samarien errichtet hat (16,32), über das Wetter bestimmen kann. Den Hungernden und Dürstenden im Land kann das aber egal sein. Sie leiden und sterben.

Was das konkret heisst, erfahren wir durch den Besuch Elijas in Sarepta: Dort trifft er bezeichnenderweise eine Witwe – die Witwen und Waisen stehen in der Bibel stets für die Schwächsten der Schwachen. Und diese Witwe ist gerade dabei, die letzten Vorräte für ein letztes Hungermahl für sich und ihr Kind zusammenzukratzen: «Das wollen wir noch essen und (müssen) dann sterben» (16,12). Mit einem märchenhaft erzählten «Tischlein deck dich»-Wunder kann der Prophet die beiden zwar vor dem Hungertod bewahren, aber die Not nimmt kein Ende. Schon naht das nächste Unheil: Das Kind liegt im Sterben.

Nicht nur der Glaube der Witwe an den lebenschaffenden Gott Elijas wird überstrapaziert: «Was habe ich mit Dir zu schaffen, Mann Gottes?» (17,18). Auch der Glaube Elijas gerät an die Grenze: «Willst du denn auch über die Witwe, in deren Haus ich wohne, Unheil bringen und ihren Sohn sterben lassen?» (1 Kön 17, 20). Das Unheil einer Hungersnot, welche Menschen wie die Witwe und ihr Kind mit dem Tod bedroht, lässt auch uns heute noch nicht kalt, wenn Bilder von solchen Katastrophen über den Bildschirm flimmern.

Doch nicht nur das. Noch ein Zweites ist ein Skandal: Dass die Betroffenen auch noch die Schuld an ihrem Elend bei sich selber suchen wie die Witwe: «Bist du nur zu mir gekommen, um an meine Sünde zu erinnern?» (17,18).Wer ist – nach unserer Erzählung – schuld an dieser Hungersnot? Doch wohl König Ahab bzw. Elijas Gott, der in der Hungersnot seine strafende Macht demonstriert. So will es jedenfalls unser Text. Dass der Prophet allerdings in irgendeiner Weise mit diesem Handeln Gottes einverstanden gewesen sei, sagt er nicht. Eher scheint das Gegenteil der Fall zu sein:

Hier befinden sich Menschen wirklich am Ende, und zwar nicht nur die Witwe und ihr Kind, sondern auch der Prophet selbst. Das wird allzu leicht vergessen. In unserer Geschichte entsteht so etwas wie eine Solidarität der Ärmsten der Armen. Elija, für den das Handeln seines Gottes ein inakzeptabler Skandal ist, schleudert ihm seine Anklage ins Gesicht. Und er setzt alles auf eine Karte. Er nimmt das Kind zu sich und gibt ihm alles, was er ihm geben kann: seine körperliche Nähe und Wärme. Das Kind darf nicht sterben! Und tatsächlich: Das Wunder geschieht. Elija ringt seinem Gott das Leben dieses Kindes ab. Gerade noch einmal kann er der Mutter das Kind lebendig zurückgeben. Und beide können wieder daran glauben, dass der Gott Elijas (auch) ein lebenschaffender Gott ist.Warum er allerdings so viel Leid über sie geschickt hat, diese Frage ist damit längst nicht beantwortet. Angesichts der vielen Hungernden und Dürstenden bleibt es der berühmte «Tropfen auf den heissen Stein».

Mit der Kirche lesen

Nicht viel anders sieht die Fragestellung in der Jesusgeschichte aus, die uns das Lukasevangelium überliefert (Lk 7,11–17). Auch da treffen wir auf eine Witwe. Deren einziger Sohn ist gerade gestorben, ohne dass Gott rettend eingegriffen hätte. Auch für Jesus scheint dies ein Skandal zu sein: dass dieser Witwe auch noch das genommen wird, was ihr als Einziges Zukunft gewährleisten könnte. Wie den barmherzigen Samariter, der den unter die Räuber Gefallenen nicht einfach liegen lassen kann (Lk 10,33), oder den barmherzigen Vater bei der Heimkehr seines Sohnes (Lk 15,20) «ergreift ihn Mitleid».

Das griechische Wort esplagchnisthe, welches das Lukasevangelium hier gebraucht, heisst wörtlich: Ihm krampften sich die Eingeweide zusammen. Im Hebräischen steht dahinter das Bild von JHWHs rachamim, was oft mit «Barmherzigkeit» übersetzt wird. Es kommt von rächäm und bedeutet «Mutterschoss», Heute, wo das Wort «Mitleid» – meiner Meinung nach völlig zu Unrecht! – ein eher negatives Image hat, würde man vielleicht sagen: Er handelt «aus dem Bauch heraus», ohne viel zu überlegen. Er kann gar nicht anders: «Er sah die Frau und hatte Mitleid mit ihr» (Lk 7,13).

Nach allem, was wir von Jesus wissen, konnte er sich nicht vorstellen, dass das Leid von Menschen irgendwie gottgewollt sei. In all seinem Reden und Tun hat er sich dagegengestellt, dass Menschen leiden müssen. Er sucht nicht erst die Ursachen für das Leid – womöglich gar bei den Leidenden selbst –, sondern greift rettend ein, wo er kann. Wie der Prophet Elija, der den Hinweis der Frau auf ihre eigenen Sünden einfach ignoriert.

Kein Wunder, dass die Menschen, die Jesus so erlebt haben, ihn für den wiedergekommenen Elija hielten (z.B. Mk 8,28). Jesus jedoch hat dies für sich abgelehnt. Und die «Verklärungsgeschichte», die wohl eher die Geschichte einer «Klärung» ist, hebt ihn klar aus den alttestamentlichen Prophetengestalten wie Mose und Elija heraus: «Das ist mein geliebter Sohn. Auf ihn sollt ihr hören» (Mk 9,7 parr). Der Gott allerdings, der in seinem Handeln sichtbar geworden ist, ist derselbe lebenschaffende Gott wie der des Elija.