Wir beraten

Menschen der Bibel: zum Beispiel Susanna   

Dieter Bauer, forum 22/2006, S. 25

Eine nackte Frau in der Bibel

Erotik und Verbrechen – auf neudeutsch: «Sex and Crime» – haben sich seit jeher gut verkauft. Das war schon in biblischen Zeiten so. Und so findet sich auch in der Bibel eine Fülle von Geschichten, die von körperlicher Liebe handeln, aber auch von vielerlei Verbrechen.
Allerdings: Diese Geschichten werden nicht – wie heute Krimis oder Liebesromane – zur reinen Unterhaltung erzählt. Vielmehr geht es darum, Unrecht beim Namen zu benennen und aufzurütteln. So auch bei der Geschichte der Susanna, die sich im 13. Kapitel des Buches Daniel findet.
Was wird erzählt? Eine junge Frau namens Susanna wird im Garten von zwei alten Herren beim mittäglichen Bad beobachtet. Diese beiden Voyeure wollen sich über die Badende hermachen und sie vergewaltigen. Susanna wehrt sich jedoch und schreit um Hilfe. Als die Beiden merken, dass sie ihr nicht beikommen können, erheben sie ebenfalls ein Geschrei und verklagen sie wegen Unzucht mit einem jungen Mann, den sie frei erfunden haben. Pech für das Mädchen ist, dass ihre eigene Aussage nichts gilt im Vergleich zu den beiden Männern, die zudem noch eine gewisse Rangstellung als Richter in der Gemeinde besitzen. So kommt es zum Todesurteil gegen Susanna. Sie kann nur noch beten. – In diesem Moment kommt tatsächlich der rettende Engel in Gestalt eines jungen Mannes namens Daniel (= «Gott hat gerichtet»). Dieser überführt die beiden Voyeure durch ein Kreuzverhör der Lüge und rettet Susanna das Leben. Ein Happy End in letzter Minute!
Fast scheint es, als prallten hier zwei Welten aufeinander: Einerseits eine Welt, in der die Frauen keine Chance haben, in der die (männlichen) Autoritäten ihre Macht schamlos ausnützen und das Volk gar nicht merkt, was hier gespielt wird. Auf der anderen Seite eine Welt, in der Unrecht beim Namen genannt wird und ein Gott eingreift, der auf Seiten der Verleumdeten steht. Für diese andere Welt steht der junge Daniel. Hat sich daran seit damals etwas geändert?
Schauen wir die Kunstgeschichte an – weltweit hängen die Gemäldegalerien voll von Bildern der «Susanna im Bade» – so dürfen wir nicht gerade optimistisch sein. So gut wie alle diese Bilder sind von Männern gemalt und wiederholen den voyeuristischen Blick der beiden Alten. Nackt und entblösst tritt uns die junge Frau entgegen und wird bis heute von Millionen Besuchern in den Museen angegafft. Selbst wenn wir uns inzwischen an manches gewöhnt haben was Darstellungen der Nacktheit angeht: Es bleiben schamlose Darstellungen. Und es ist kein Zufall, dass das einzige mir bekannte Bild, das eine Ausnahme darstellt, von einer Frau stammt: von Artemisia Gentileschi (1593 – 1653), der bedeutendsten Malerin des italienischen Barock.
Am eigenen Leib hatte diese Malerin erfahren müssen, wie sie nach einer Vergewaltigung durch ihren Lehrer auch noch von diesem der Prostitution beschuldigt worden war. Wen wundert es da noch, dass ihre «Susanna und die beiden Ältesten» in ihrer ganzen Not dargestellt wird und nicht wie sonst als «Verführerin im Bade». Die beiden Alten, die sich gegen sie verschworen haben und sich über sie erheben, sind ganz als abscheuliche Bedränger gemalt – als abschreckendes Beispiel. In diesem einen Bild der Kunstgeschichte habe ich wiedergefunden, was die biblische Erzählung erreichen will: Aufrütteln gegen das Unrecht, das Männer Frauen antun. Leider ist das nur sehr selten verstanden worden.