Wir beraten

Menschen der Bibel: zum Beispiel Simon von Zyrene   

Dieter Bauer, forum 15/2006, S.25

Simon – ein Vorübergehender

Die meisten Menschen kennen ihn als «Kreuzwegstation»:
V. Station: Simon von Zyrene hilft Jesus das Kreuz tragen.

Nach seiner Verurteilung zum Tode hat Jesus sein Kreuz auf die Schulter genommen, ist bereits einmal gestürzt und ist seiner tief betrübten Mutter begegnet, bevor ihm Simon von Zyrene beim Kreuztragen hilft. So hat sich christliche Frömmigkeit über Jahrhunderte ein Bild vom Leidensweg Jesu ausgemalt.
Die biblische Überlieferung ist da wesentlich nüchterner – und brutaler. Nach Jesu Geisselung und Verspottung – so das älteste Evangelium – «führten sie (die römischen Legionäre) Jesus hinaus, um ihn zu kreuzigen» (Mk 15,20). Und unmittelbar darauf heisst es: «Einen Mann, der gerade vom Feld kam, Simon von Zyrene, den Vater des Alexander und des Rufus, zwangen sie, sein Kreuz zu tragen.»
Die römische Besatzungsmacht sah es als ihr Recht an, die einheimische Bevölkerung zum Frondienst heranzuziehen. Und so ereilt den zufällig vorübergehenden Simon das Schicksal: Er – nicht Jesus! – muss den Kreuzbalken tragen, an dem dieser gehenkt werden soll. Dass dahinter historische Erinnerung steht, sieht man daran, dass zur Zeit des Evangelisten Markus die Söhne des Simon noch namentlich bekannt waren. Offensichtlich verbirgt sich in diesen so kurzen Hinweisen eine ganze Geschichte: Wenn die christliche Gemeinde fast ein halbes Jahrhundert nach den Ereignissen von Simon und seinen beiden Söhnen weiss, dann werden diese wohl Christen geworden sein. Und es ist wahrscheinlich, dass der Frondienst des Simon, zu dem er durch die römische Besatzungsmacht gezwungen worden war, ihm eine Begegnung mit Jesus ermöglicht hat, die nicht folgenlos geblieben ist.
Nach dem Evangelisten Markus hat Jesus das Thema des «Kreuztragens» schon einmal vorher angesprochen: Nachdem er Petrus als «Satan» beschimpft hat, weil der sich nicht auf das Leiden des Menschensohnes einlassen wollte, erklärt Jesus: «Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach» (8,34). Wozu Petrus (noch) nicht bereit war, das tut jetzt Simon von Zyrene.
Und die Geschichte lässt vermuten, dass die ersten Christen dieses «Kreuztragen» sehr ernst genommen haben. Menschen aus Zyrene erleben das Pfingstwunder (Apg 2,10) und treten später als Missionarinnen und Missionare auf (Apg 11,20). Ein weiterer von ihnen ist uns ebenfalls namentlich bekannt: Luzius von Zyrene, der als christlicher Prophet oder Lehrer gewirkt hat (Apg 13,1).
Er lässt mich einfach nicht los, dieser Simon von Zyrene. «Vom Feld kommend», also wahrscheinlich von seiner täglichen Arbeit, ereilt ihn das Schicksal, unfreiwillig und ungefragt. Eine brutale Besatzungsmacht zwingt ihn, bei ihrem mörderischen Tun auch noch mitzuhelfen. Wir erfahren nichts darüber, was sich zwischen dem Opfer Jesus und dem Opfer Simon abgespielt hat. Wir dürfen uns nur ziemlich sicher sein, dass Simon im Laufe seines späteren Lebens noch mehr Kreuze getragen hat, eigene und fremde, und wahrscheinlich auch nicht immer freiwillig.
Mich macht das nachdenklich, wenn ich darüber nachdenke, von wem und wozu ich mich in die Pflicht nehmen lasse, so im Vorübergehen, auf dem Weg vom Büro …