Wir beraten

Denn das Gute liegt so nah   

Winfried Bader zur Lesung am 2. Sonntag im Jahreskreis SKZ 51-52/2006

Alttestamentliche Lesung: Jes 62,1–5
Evangelium: Joh 2,1–11

Enttäuschte Versprechungen – damit umzugehen fällt nicht nur Kindern schwer, wie man jetzt an Weihnachten gesehen hat, wenn unter dem Weihnachtsbaum doch nicht wieder alle ersehnten Geschenke lagen. Auch Erwachsene müssen damit zurechtkommen: Wenn im Betrieb die Umsatzprognose nicht erreicht wird, wenn die Gehaltserhöhung ausbleibt, wenn die Beziehung zu einem wichtigen Menschen doch nicht besser wird, wenn auch in diesem Jahr nicht mehr Zeit für die Familie und die Kinder blieb. Die Reaktionen darauf sind unterschiedlich: Der eine tröstet sich mit der zukünftigen Hoffnung, die andere verfällt in eine lähmende Resignation, die dritten verlieren sich in Aktionismus. Nur selten schöpft man daraus einen positiven Blick in die Gegenwart.

Mit Israel lesen

Auch der Prophet, der unter dem Namen des Jesaja schreibt und als der dritte Jesaja (III-Jes) bezeichnet wird, hatte dieses Problem mit noch nicht eingetretenen Hoffnungen umzugehen. Er selbst begann seine grossen Licht- Verheissungen mit dem Versprechen, dass Licht in der Stadt Jerusalem werde und die Herrlichkeit Gottes in ihr sei (Jes 60,1). Hier nun eröffnet der Prophet sein Wort mit dem Ausruf, er könne wegen Jerusalem nicht schweigen. Er reflektiert damit das Problem, dass die Hoffnungen, die mit der Errichtung des Tempels in der Stadt verbunden waren, nicht eingetreten sind. Als erste Reaktion in die Gegenwart hinein ergreift der Prophet das Wort, hört auf zu schweigen. Implizit klagt er den an, der eigentlich reden und handeln sollte: Gott, der aber schweigt.

In die Gegenwart hinein spricht der Prophet nochmals vom Kommen Gottes. Es war in Jes 60,1 schon angekündigt, hier in Jes 62,2 wird es konkretisiert, wie dieses Kommen aussieht, wie man es erfahren kann: Heil und Gerechtigkeit sollen in Jerusalem herrschen. Mit dieser Konkretion wird auch dem Letzten klar, dass diese Verheissung in Jerusalem noch nicht erfüllt ist, denn es herrscht immer noch Chaos und Ungerechtigkeit. Der Prophet weicht der Gegenwart nicht aus, sondern in einem ersten Schritt verdeutlicht er, was fehlt.

Jesaja führt dann die Beschreibung der Zukunftshoffnung fort. Die Stadt wird einen neuen Namen bekommen (V. 2b). Neuer Name bedeutet ein neues Dasein. Es zeigt das Defizit im Jetzt und weist darauf hin, die Zukunft gelingt nur durch eine Änderung.

V.3 geht auf die Rahmenbedingungen für diese Änderung ein. Es ist die Verbindung von Gott mit seiner Stadt. In königlicher Terminologie wird davon gesprochen. Jerusalem ist gleichsam die Krone und das Diadem, das sich Gott als König auf sein Haupt setzt. Es zeigt das Interesse Gottes an der Stadt: Er will sich mit ihr schmücken und sein Königtum krönen.

Der angedeutete Namenswechsel wird explizit: Die Vergangenheit wird in den alten Namen «Verlassene» und «Verwüstete» (Ödland) beschrieben, greift damit auf frühere Aussagen zurück (Jes 41,14; 54,1) und zeigt eindrücklich die aufgekündigte Beziehung zu Gott und die damit verbundene Schutzlosigkeit der Stadt. Als Blick in die Zukunft wird neu die Stadt «Meine Wonne» und das Land «Meine Vermählte» benannt. Geradezu lustbetont wird die neue Verbindung der Stadt zu Gott ausgedrückt. Gott hat an der Stadt seine Wonne (so richtig in V. 4b , wo «Wonne» statt Freude zu lesen ist). Mit dem Bild der Stadt als Geliebte und des Landes als Vermählte Braut Gottes greift III-Jes auf ein altes Bild zurück: Seit Hosea wird immer wieder das Verhältnis von Gott mit Israel im Bild der Ehe beschrieben, bei Hosea als negatives Bild des Ehebruchs, sehr positiv dann in der Auslegungstradition des Hohen Liedes, wo die menschliche Liebe uns als Bild für die Beziehung zu Gott dient.

Diese menschliche Dimension findet sich auch am Ende unseres Textes (V. 5). Ein Mann, der sich mit einer Jungfrau vermählt, wird als Bild für die Beziehung Gottes mit Jerusalem genannt. Die Freude des Bräutigams über seine Braut wird verglichen mit Gottes Freude über sein Land. Die freudigen Höhepunkte der menschlichen Biographie sind Bilder für Gottes Beziehung zu den Menschen – und anders als in solchen Analogien können wir gar nicht von Gott denken. Und was macht man, wenn das Kommen Gottes ausbleibt, wenn sich die religiösen und sozialen Zustände in der Stadt nicht verbessern? Dann darf man die Bildvergleiche ruhig umkehren und sie als ermutigenden Blick in die Gegenwart verstehen: Seht her, seht die Brautleute, die jungen Verliebten, die sich aneinander freuen. Da sind konkrete Menschen, hier ist konkrete Freude. Müssen wir überhaupt noch auf anderes warten, oder geht es nicht einfach darum, diese Zeichen in der Gegenwart zu sehen? Wenn es Brautleute und junge Verliebte in der Stadt gibt, dann ist Gott und sein Heil schon angekommen.

Mit der Kirche lesen

Damit haben wir auch einen besonderen Schlüssel für das heutige Evangelium.

Der Lesungstext lenkt den Blick auf die Brautleute, ohne die es keine Hochzeit geben kann – die Braut wird übrigens im Evangelium gar nicht erwähnt. Braut und Bräutigam sind an ihrem Hochzeitstag in gegenwärtiger Freude, da ist keine Vertröstung in eine Zukunft, sie feiern im Hier und Jetzt, die Hoch- Zeit findet in der Gegenwart statt. Sie sind reales Zeichen des Kommen Gottes.Würden alle Menschen Hochzeit feiern, wäre der ideale Zustand des Himmelreiches schon da.

Und es geht im Evangelium um Wein. Wein das Zeichen der Fülle des Lebens, Symbol der Lebensfreude,Wein braucht man nicht zum Überleben, aber zum Leben, zum Leben in Freude. Jesus, der antritt mit seiner Botschaft des Reiches Gottes (Mk 1,15), lässt es durch den Wein schon anfangen. Ist bei Mk das Wort «Das Reich Gottes ist nahe» noch umstritten, so ist es jetzt in Kana konkrete Wirklichkeit.

So ermutigen uns die Lesungen des Sonntags in unserem Leben nach Spuren zu suchen, im Hier und Jetzt unserer Gemeinschaft zu erkennen, was schon alles da und vorhanden ist. Gerade zur Jahreswende, der Zeit der grossen Pläne und Vorsätze, ist es wichtig, die Hoffnung nicht vertröstend oder resignativ in die Zukunft zu richten, sondern jetzt schon das Kommen Gottes in Heil und Gerechtigkeit in menschlichen Zeichen zu erkennen.

Historische Informationen: Der dritte Jesaja
Die gesonderte Betrachtung der Kap 56–66 und ihre Zuweisung an einen anonymen Propheten, den die wissenschaftliche Exegese seit Bernhard Duhm (1892) als «Tritojesaja» (dritter Jesaja, III-Jes) bezeichnet, hat sich nicht komplett durchgesetzt. Dieser These des Tritojesaja wird die Theorie einer rein redaktionellen Fortschreibungsprophetie entgegengesetzt. Doch der konzentrische Aufbau rund um die Licht-Verheissung über Jerusalem lässt vermuten, dass hier eine dritte prophetische Einzelstimme zu hören ist, die die Einweihung des wiedererbauten Jerusalemer Tempels im Jahre 515 v. Chr. zum Anlass nahm, der Gottesstadt eine strahlende Zukunft anzusagen. Reflektiert wird in III-Jes aber auch, dass trotz der Einweihung des Tempels kein heiles Jerusalem entstand, sondern soziale Ungerechtigkeit und die Bedrohung des reinen Glaubens durch Nichtbeachtung kultischer Regeln und dem Eingehen von Mischehen fortbestand.