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Spielraum für Gott und Menschen   

Die Theologin Dorothee Sölle wurde einmal gefragt: «Wie würden Sie einem Kind erklären, was «Glück» ist?» – «Ich würde es ihm nicht erklären» gab sie zurück. «Ich würde ihm einfach einen Ball zuwerfen, damit es spielt.» Spielen macht erfahrbar, was sich mit Worten nicht erklären lässt. Lässt sich im Spiel auch Gott erfahren?
Etwa im Spiel mit Bibeltexten? Eine Form der Bibel spielerisch zu begegnen ist das Bibliodrama.

Wer bin ich in dieser Geschichte?

Im Bibliodrama spielen Menschen von heute eine Rolle in einem Bibeltext. Lebensgeschichten begegnen Bibelgeschichten. Im Spiel erfahre ich mehr über den Text und gleichzeitig mehr über mich, über meine Lebens- und Glaubensgeschichte.
Im Mai 2006 fand das erste Schweizer Bibliodrama-Symposion statt. 50 Menschen spielten 3 Tage lang die Begegnung der Jüngerinnen und Jünger mit dem Auferstandenen am Ufer des See Genezaret (Joh 21,1-14). Viermal wechselte die Spielleitung, die Methoden und Spielregeln, gleich blieb jedes Mal die Einladung, sich eine Rolle in dieser Geschichte zu suchen und «dem Lebendigen zu begegnen».

Im Spiel dem begegnen, was mich lebendig macht

Ich habe mitgespielt und möchte Ihnen von einer meiner Spielerfahrungen erzählen.
Ich spielte den Jünger Jakobus, den Sohn des Zebedäus, von dem ich schon in meinen letzten Beitrag an dieser Stelle berichtet habe, wie er von Jesus zur Nachfolge berufen wurde (unter dem Titel «Achtsamkeit – die Kunst der Berufenen im Heft 5/2006). Jetzt war ich also dieser Jakobus, der offenbar am Ende seines Weges mit Jesus angekommen ist. Jesus ist auf schreckliche Weise am Kreuz gestorben. All meine Hoffnungen haben sich zerschlagen. Ich stehe vor dem Scherbenhaufen meines Lebens. Wie weiter? Was tun?

Zurück zum Start

Wenn man nicht weiter weiss, geht man oft dahin zurück, wo alles anfing. Zurück zum Start sozusagen. So machten es auch einige von uns Jüngerinnen und Jüngern. Wir gingen zurück zum See Genezaret und fingen wieder mit dem an, was wir einmal gelernt hatten: Wir gingen fischen. Aber – eigentlich gar nicht unerwartet – fischten wir eine Nacht lang vergeblich, wir fingen nichts.

Die Butter aufs Brot

Dann aber wurde uns ein Ball zugespielt. Plötzlich stand jemand am Ufer und fragte: «Habt ihr etwas zum Essen?» Jemand wollte etwas von uns, wir waren gefragt, wir wurden gebraucht. Und als ich genau hinhörte (und genau auf den Bibeltext achtete), merkte ich, dass da nicht nach dem gefragt wurde, was zum Überleben nötig ist, nicht nur nach einem Bissen Brot, sondern nach dem, was aufs Brot kommt, nach den Fischen oder – in heutiger Sprache – nach der Butter aufs Brot. Ich wurde nach dem gefragt, was über das Notwendige hinaus dem Leben Geschmack und Würze gibt, was wirklich nährt, was das Leben lebenswert und zu einem Fest macht. Nach der Fülle des Lebens. Plötzlich ist all das wieder da, weswegen ich damals diesem Jesus nachgefolgt bin, weswegen ich mich zu einem anderen Leben rufen liess. Ich hatte das Leben in der Fülle seiner Möglichkeiten aus den Augen verloren. Ich war gefangen in der Nacht und im Netz der Vergeblichkeit.

Werft das Netz auf der anderen Seite aus!

Die Bibelgeschichte wirft den nächsten Ball zu: «Werft das Netz auf der rechten Seite des Bootes aus!» Und plötzlich war es bis zum Rand gefüllt mit Fischen. Woher kam die Fülle? War sie schon vorher da gewesen und ich hatte sie einfach nicht gesehen? Ist in meinem Leben – trotz der Erfahrung des Leidens und des Todes, die nicht weg zu diskutieren und nicht schön zu reden ist – mehr vorhanden als ich sehe, ist mehr Leben möglich als ich glaube? Ich glaube Ja. Ein anderer Jünger im Boot, mein Bruder Johannes, sagt plötzlich über die Gestalt am Ufer: «Es ist der Herr!» Es ist mehr eine Feststellung als ein überraschter Ausruf und eigentlich ist es mir auch klar. Es ist ja kein Wunder, sondern offensichtlich geworden, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, dass das Leben stärker ist als der Tod.
Gemeinschaft der Lebenden und der Toten
Ein weiterer Ball wird mir zugespielt. Ich werde zum Essen eingeladen. Ich bringe Fische zu einem Kohlenfeuer am Ufer. Ich sitze mit anderen zusammen. Wir teilen Fisch und Brot, Enttäuschungen und Ängste. Wir teilen die Erfahrung, dass wir spielerisch, zärtlich und doch unübersehbar berührt wurden von der Möglichkeit des Lebens in Fülle. Wir nennen diese geheimnisvolle Möglichkeit «Gott», probieren aus, wie dieser Name auf uns wirkt. Wir werden zu einer Gruppe, in der Raum ist für alle Erfahrungen, für Tod und Leben. Wir beginnen vorsichtig, tastend, spielerisch, uns in diesem Raum, in dieser Gemeinschaft von Lebenden und von Toten zu bewegen. Wir beginnen diese Gemeinschaft «Kirche» zu nennen.

Bibliodrama ist ein Heilmittel…

Soweit meine Erfahrungen im Spielraum für Gott und Menschen, im Bibliodrama. Sind Sie neugierig geworden? Wollen Sie mal mitspielen? Eine Möglichkeit dazu sind zum Beispiel die «Bibliodrama-Spieltage» in der Propstei Wislikofen im Aargau (die nächsten Termine sind der 22. September und der 6. November – Adresse siehe unten). Bibliodrama wird an verschiedenen Orten und in verschiedener Form angeboten. Nicht alles, was sich Bibliodrama nennt, kann ich empfehlen. Bibliodrama ist ein Heilmittel. Lassen Sie sich von einer Fachperson beraten. Sie finden solche Fachpersonen zum Beispiel bei der Bibelpastoralen Arbeitsstelle oder bei der Interessengemeinschaft Bibliodrama.
Peter Zürn

Adressen:
Propstei Wislikofen, Bildungshaus der Römisch-Katholischen Kirche im Aargau, 5463 Wislikofen, Tel. 056 201 40 40, Mail: info@propstei.ch, www.propstei.ch
Bibelpastorale Arbeitsstelle, Bederstr. 76, 8002 Zürich, Tel. 044 205 99 60, Mail: info@bibelwerk.ch, www.bibelwerk.ch
Interessengemeinschaft Bibliodrama Schweiz – Liechtenstein – Vorarlberg IGB, www.bibliodrama.ch