Wir beraten

Paulus, Markus, Maria Magdalena – 3 Modelle für die Auseinandersetzung mit dem Da-Vinci-Code   

Predigt von Peter Zürn in St. Gallus, Zürich-Schwamendingen am Mediensonntag 27./28.5.2006

Evangelium: Joh 20,1.11-18

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

der Theologe und Bischof und Johannes Chrysostomos lebte im vierten Jahrhundert in Konstantinopel. Er berichtet, dass damals überall in der Stadt Gespräche über Fragen des christlichen Glaubens geführt wurden. Eine der Fragen, die die Menschen beschäftigten, war, ob Jesus Christus nun ein Mensch oder Gott war oder beides und wenn beides, wie man sich sein Verhältnis zum Gott der Bibel vorstellen konnte, für die es doch nur einen einzigen Gott gibt. Johannes Chrysostomos erzählt, dass man nicht zum Bäcker gehen und Brot kaufen konnte, ohne in ein Gespräch über Jesus Christus verwickelt zu werden.

Wir erleben gerade etwas Vergleichbares. Wenn wir die Zeitung aufschlagen oder das Fernsehen einschalten, begegnen wir der Frage ob Jesus und Maria Magdalena verheiratet waren und Kinder hatten. Der Zischtigs-Club diskutiert darüber, das Zürcher Tagblatt berichtet. Menschen in der S-Bahn sprechen darüber und vermutlich werden solche Gespräche auch beim Bäcker geführt.

Grund dafür ist ein Kinofilm und das Buch auf dem der Film beruht: Der Da-Vinci-Code oder Sakrileg. Grund dafür ist ausserdem eine gigantische und gekonnt gestaltete Medienkampagne und Grund dafür sind nicht zuletzt die Reaktionen, die Film und Buch bei Vertreterinnen und Vertretern der christlichen Kirchen ausgelöst haben.

Ganz egal ob Sie das Buch gelesen und den Film gesehen haben, sie werden auf jeden Fall etwas davon wahrgenommen haben, was dadurch ausgelöst wurde.

Ich habe das Buch gelesen, den Film habe ich noch nicht gesehen, ich gehe demnächst ins Kino, gemeinsam mit den Frauen und Männern einer ökumenischen Bibelgruppe. Wir haben uns bereits ein halbes Jahr lang mit Maria Magdalena beschäftigt, mit ihrer Bedeutung in den biblischen Schriften, mit den Evangelien, die nicht in die Bibel aufgenommen wurden, mit den Bildern und Legenden von ihr quer durch die Geschichte des Christentums, der Kunst und der Literatur bis heute. Uns ist klar geworden: Der Autor von Sakrileg, Dan Brown, hat an einer Geschichte weitergeschrieben, die Menschen seit 2000 Jahren beschäftigt.

Dan Brown geht davon aus, dass Jesus und Maria Magdalena ein Liebespaar waren, ein Ehepaar und ein gemeinsames Kind hatten. Ausserdem erzählt er, dass sich diese Abstammungslinie bis heute fortgesetzt hat. Ja, die weibliche Hauptfigur, Sophie Neveau, entdeckt, dass sie eine direkte Nachfahrin Jesu und Marias ist. Schliesslich verbindet Brown das mit dem mittelalterlichen Mythos vom Heiligen Gral: Der Heilige Gral sei nicht wie oft gedacht, ein Kelch, gar der Kelch des letzten Abendmahls, Nein, Maria Magdalena ist der Heilige Gral, sie bewahrt das Blut Christi. Gleichzeitig verkörpert sie die Macht des Weiblichen in den Religionen und auch im Christentum. Die Katholische Kirche hat – so Brown – diese Wahrheiten und die Texte, die davon erzählen – eben die Evangelien, die nicht in die Bibel aufgenommen wurden – , unterdrückt und verborgen und tut dies bis heute. Die Wahrheit wurde aber von einer geheimen Gesellschaft gehütet, zu der unter anderem Leonardo da Vinci gehörte, der in seinen Bildern Hinweise auf diese verborgene Wahrheit gegeben hat. Zentral dabei ist da Vincis Bild «Das letzte Abendmahl». Darauf seien nicht Jesus und seine 12 Jünger abgebildet, sondern direkt neben Jesus sitzt Maria Magdalena. Der Roman «Sakrileg» erzählt davon, wie die zwei Hauptfiguren auf dieses Geheimnis stossen und es im Stil einer abenteuerlichen Schatzsuche quer durch Europa und durch die Kunst- und Religionsgeschichte auflösen. Dabei werden sie von einem Miglied von Opus Dei verfolgt und geraten in Lebensgefahr.

Was davon historisch stimmt – eher wenig – und was davon frei erfunden ist – das meiste – ist inzwischen ausführlich dargelegt worden. Ich werde später auf zwei Punkte näher eingehen.

Die wichtigste Erfahrung rund um das Buch und den Film ist für mich aber diese: Sie haben weltweit das Interesse von Menschen an der Bibel, an Personen und Geschichten aus der jüdisch-christlichen Tradition geweckt. Sie haben Interesse geweckt, das heisst sie haben etwas etwas geweckt, das bereits da war, sie haben es nicht geschaffen. Das gelingt meiner Meinung nach nicht einmal der grössten Werbekampagne. Und dass dieses Interesse wach geworden ist, freut mich. Ich stehe in der jüdisch-christlichen Tradition, sie ist mir ein kostbarer Schatz, ich möchte dazu beitragen, dass sie weiter erzählt wird und weiter geht, die Geschichte Gottes mit den Menschen.

Was ist für unsere heutige Zeit besonders wichtig an unserer jüdisch-christlichen Tradition? Wie können wir das, was uns wichtig ist, in die öffentliche Auseinandersetzung z.B. um den Film und das Buch einbringen. Ich möchte Ihnen drei Formen dafür beschreiben. Ich verbinde die drei Formen mit biblischen Figuren. Damit will ich zeigen: alle drei sind sinnvoll, sie ergänzen und korrigieiren sich gegenseitig, es gibt nicht die eine richtige Form. Und – wir stehen nicht vor einer völlig neuen Situation, sondern vor Herausforderungen, wie es sie immer schon gegeben hat. Das zeigt ja auch der Blick nach Konstantinopel ins vierte Jahrhundert. In der Bibel finden wir Modelle, an denen wir uns orientieren können.

1. Ein erstes Modell: Paulus

(Mit einem Tuch einen Ort gestalten und Kerze anzünden)

In der Apostelgeschichte wird erzählt, wie Paulus nach Athen kommt. Er geht auf den Markt und diskutiert täglich mit Philosophen, was so viel heisst wie, er geht in die Öffentlichkeit, er nutzt die Medien seiner Zeit, den öffentlichen Raum und das öffentliche Gespräch. Er knüpft an das an, was er in Athen vorfindet, er entdeckt nämlich einen Altar mit der Aufschrift: dem unbekannten Gott. Paulus knüpft daran an: Diesen Gott verkünde ich euch. Er beginnt von seinem Glauben, seinen Erfahrungen mit Gott, seinen Vorstellungen von Gott zu erzählen. Er führt in Kürze die gesamte biblische Tradition an und verknüpft sie immer wieder mit den Erfahrungen und Überlegungen der Menschen in Athen. Sein zentraler Satz lautet: Wir alle suchen diesen Gott, ertasten ihn und keinem ist er fern. Wir sind von seiner Art.
Woran können wir nach dem Modell des Paulus bei der Auseinandersetzung um den Da-Vinci-Code anknüpfen? Womit können wir die jüdisch-christliche Tradition in Verbindung bringen? Ich sehe zwei Anknüpfungspunkte:

Die grosse Aufmerksamkeit für das Buch und den Film zeigt, dass viele sich für Jesus von Nazaret und die Menschen in seinem Umfeld interessieren. Es gibt ein Bedürfnis nach Lebensgeschichten, nach konkreten lebensnahen Glaubensgeschichten. Wie war dieser Jesus? Wie lebte er Beziehungen? Was lockte Menschen, sich ihm anzuschliessen? Was erlebten sie dabei? Gab es auch Jüngerinnen wie Maria von Magdala? Wie gingen die Menschen im Umfeld Jesu mit ihren Erfahrungen um, mit heilsamen Erfahrungen genauso wie mit den Brüchen in ihrem Leben? Was bedeutete das alles für ihren Glauben?

Ich hoffe sehr, dass aus diesem Interesse eine neue Aufmerksamkeit für die biblischen Geschichten wächst, die ja genau von solchen Erfahrungen erzählen. Noch wichtiger ist es aber, wenn wir von unseren Lebens- und Glaubensgeschichten erzählen.

Ein Zweites: der da-Vinci-Code erzählt von einem grossen Geheimnis. Natürlich gehört das zu einem Thriller. Ich lese aber aus der Faszination so vieler Menschen für geheimnisvolle Geschichten noch mehr. Ich erkenne darin eine Sehnsucht, die Sehnsucht nach der Begegnung mit dem Geheimnis unseres Lebens. Wenn alle wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, sind unsere Lebensfragen noch nicht einmal berührt, hat einmal der Philosoph Ludwig Wittgenstein geschrieben. Die Wissenschaft hat uns sehr viel weiter gebracht in unserem Verständnis für die Welt, in der wir leben. Aber es bleibt ein Geheimnis und wird wohl immer bleiben: Warum leben wir? Warum lieben und leiden wir? Sind wir getragen? Im Tod und über den Tod hinaus?
Auch wir Christinnen und Christen haben keine endgültigen Antworten auf diese Fragen. Wir bewegen uns zwischen Vertrauen und Zweifel. Aber wir können von unseren Erfahrungen dabei erzählen. Wir leben in einer Tradition, die Raum schafft für Begegnungen mit dem Geheimnis und Worte, Bilder, Rituale anbietet, mit denen wir diese Erfahrungen teilen können. Gestalten wir diesen Raum, üben wir uns in dieser Sprache. Je mehr wir darin wohnen, desto einladender werden wir sein.

2. Ein zweites Modell: Markus

(Mit einem weiteren Tuch einen zweiten Ort gestalten und Kerze anzünden)

Auch die Evangelien haben an die Kultur ihrer Zeit angeknüpft. Ich möchte dien Evangelisten Markus hier aber für eine andere Haltung als Modell nehmen: für klare Abgrenzung.
Markus hat das erste Evangelium von Jesus Christus verfasst. Er hat aber den Begriff «Evangelium» nicht erfunden. Zur Zeit des Markus galten die Botschaften des römischen Kaisers als Evangelium, als gute Nachricht, sei es die Verkündigung eines militärischen Sieges oder das Erlassen eines Gesetzes. Markus – und in seiner Tradition die anderen Evangelisten – grenzten sich klar dagegen ab. Evangelium, gute Nachricht, ist, wenn von Botschaft und Praxis des Jesus von Nazaret erzählt wird, von Gottes Gegenwart mitten unter den Menschen, von Gottes Vorliebe für die Ausgeschlossenen, vom Leben in Fülle für alle – vor dem Tod und über den Tod hinaus. Der Evangelist Lukas hat das wunderbar in einer Geschichte erzählt: der Kaiser Augustus erlässt den Befehl, dass alle Welt geschätzt werde und setzt so die Geschichte in Gang, die frohe Botschaft aber ist die Geburt eines Kindes im Stall.

Wogegen sollten wir uns nach dem Modell des Markus beim Da-Vinci-Code abgrenzen?
Dan Brown sieht aus Jesus und Maria Magdalena eine Linie biologischer Abstammung entstehen, die bis heute besteht. Mehr noch: Ihre Nachkommen wandern nach Frankreich aus und werden zum Fürstengeschlecht der Merowinger, die den rechtmässigen Königstitel Frankreichs beanspruchen. Eine Dynastie Jesu. Das verkehrt die Anliegen der Jesusbewegung ins Gegenteil. Sie brach mit Familienbindungen und mit Vorrechten je nach Abstammung. Sie begründete eine Gemeinschaft derer, die sich zum Dienst am Reich Gottes rufen liessen. Im Markusevangelium sagt Jesus: «Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? Und er blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsassen und sagte: Das sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter» (Mk 3,33-35)

In dieser Tradition habe ich Sie am Anfang meiner Predigt mit «liebe Schwestern und Brüder» begrüsst.
Die weibliche Hauptfigur des Da-Vinci-Codes erkennt am Endedass sie eine Nachfahrin Jesu ist, dass sie zur Familie Jesu gehört. Wir können sagen: Das gilt für uns alle. Willkommen in unserer Familie! Es ist keine Frage der Gene, des Blutes, der Nationalität oder Ähnlichem. Dan Brown fällt hier in ein völlig veraltetes und hochgefährliches Denkmuster zurück. Da hat die jüdisch-christliche Tradition viel Besseres zu bieten.

3. Ein drittes Modell: Maria Magdalena

(Mit drittem Tuch dritten Ort gestalten und Kerze anzünden)

Wir haben heute im Evangelium von Maria Magdalena als erster Zeugin der Auferstehung gehört. Sie empfängt vom Auferstandenen den Auftrag ihre Erfahrung den Jüngern zu verkünden. Sie wird zur Apostelin, gar zur Apostelin der Apostel. Maria von Magdala war eine Jüngerin Jesu, es gab im engsten Kreis um Jesus mehrere Frauen. Auch in den ersten christlichen Gemeinden, das bezeugen die Paulusbriefe trugen Frauen Verantwortung, übernahmen Ämter. Die Figur des Maria Magdalena hätte sich durchaus geeignet, um ein weibliches Leitungsamt in der Kirche zu begründen. Es kam anders. Maria Magdalena wurde als Sünderin, als Prostituierte abgewertet, Frauen wurden aus den Leitungsämtern der Kirche verdrängt. Hier setzt Dan Browns Kritik zu recht an.
Ich denke, wir sollten diese berechtigte Kritik annehmen und uns für mehr Gerechtigkeit für beide Geschlechter innerhalb der Kirche engagieren. Mit der Bibel können wir sogar ein gutes Stück weiter gehen als Dan Brown. Denn bei ihm verbleibt Maria Magdalena als Ehefrau Jesu und Mutter «seiner» Kinder letztlich doch in einer traditionellen Frauenrolle. Ihre Möglichkeiten als Jüngerin und als Apostelin werden nicht ausgeschöpft. Dan Brown geht letztlich nicht über das hinaus, was er an der Kirche kritisiert. Schade, aber es liegt an uns, diese Geschichte weiter zu schreiben. Die Apostelin Maria Magdalena hat ihr letzes Wort noch nicht gesprochen.

Ich möchte Sie zum Schluss einladen, Ihren Ort in der Auseinandersetzung um den Film und das Buch zu finden. Welche der drei Formen der Auseinandersetzung spricht sie am stärksten an? Welche biblische Figur ist Ihnen am Nächsten?

Paulus und das Anknüpfen der alten Geschichten unserer Tradition an die Fragen und Gedanken der Gegenwart

Markus und die klare Abgrenzung von dem, was nicht der grösseren Gerechtigkeit Gottes entspricht, von der unsere Tradition erzählt.

Maria Magdalena und die Bereitschaft aus der Vergangenheit zu lernen und neue Wege zu gehen.

Wohin geht Ihre Aufmerksamkeit? Mit wem fühlen Sie sich am stärksten verbunden? Wo ist Ihr Ort, ihre Rolle in der Auseinandersetzung?

Klangschale oder Stille

Paulus, Markus, Maria Magdalena. Wir stehen in ihrer Tradition. In einer guten Tradition.

Amen