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Noah – Filmerfahrungen von Nicolaas Derksen, Pastoral-Theologe und Bibliodrama-Ausbilder   

Teil 2

Es wird deutlich, dass Noah, als von Gott Gerufener, eigene Wege geht. Er übernimmt die Interpretation des Schöpfers, die Gerechten zu retten und interpretiert  seine Aufgabe so: die Mitglieder seiner Familie sind die Letztlebenden und wenn wir tot sind, ist das Leben von Menschen definitiv vorbei:  Jafet als der Jüngste wird der letzte sein, die anderen beerdigen und dann wird er sterben.

Noah wird Ideologe, Utopist, verliert hier den Kontakt mit Gott und geht seinen eigenen Weg; immer härter, auch gegenüber seiner Frau und seinen Kinder. Gleicht er immer mehr Tubal-Kain? Er ist jedenfalls mehr mit Tod als mit Leben verbunden.  Ist er noch mit Gott verbunden, der lebensrettend zu Gange ist?

Ila und Sem haben sich verliebt. Der Segen, den die Frau von Noah von Methusalem erbeten hat, ist furchtbar geworden: im Kasten entdecken sie, dass Ila schwanger ist – eine wunderbare Scene schon, wo Methusalem über ihren Bauch streicht – und sie freuen sich. Aber nicht lange. Noah in seiner Ideologie und Härte sagt einfach: Das geht nicht. Wenn es ein Junge ist, wird er in der Reihe nach Jafet kommen. Wenn es ein Mädchen ist, werde ich es töten. Ich muss das tun. Die schärfsten Proteste helfen nicht. Hier werden alle zu Noahs Gegenüber, ausser Ham. Noahs Frau macht ihm deutlich, dass sie das nicht akzeptiert und ihn verlassen werde,  wenn er das tut. Sem und Ila bauen ein Floss, um weg zu fahren und so ihr Kind zu retten. Sie wollen leben. Sie leben. «Leben, lieben, Adonai» (Gott) gehören für mich untrennbar zusammen.

Im letzten Moment verhindert Noah die Flucht  und steckt dieses Floss in Brand.

Nachdem die Flucht verhindert ist kommt die beeindruckende Scene, in der Ila ihr Kind bekommt. Es ist ein Mädchen. Und dann bemerkt sie, dass sie noch ein Kind bekommt: ein Zwilling, noch ein Mädchen. Also zwei Mädchen, zwei Frauen. Hier wird das biblische Thema deutlich, dass ER, Gott, Zukunft eröffnet:  Fruchtbarkeit wo Unfruchtbarkeit ist, Vorsehung wo die Situation aussichtslos ist. Jetzt steht Noah zwischen Gott und dem neuen Leben. Sem und Ila flüchten auf das Dach des Kastens: gross ist der Kasten und das Wasser ist da ohne Ende. Noah kommt mit seinem Messer. Die Kinder sind ängstlich, unruhig und schreien sehr laut. Ila sagt gegen Noah: Lass mich die Kinder erst zu Ruhe bringen und dann, wenn sie ruhig sind, tue es schnell.

Sie bringt die Kinder zur Ruhe und sagt nochmals: Tue es schnell.  Die Kinder werden ruhig durch Ila, ihre Liebe. Und  ihr Entsetzen ist auch da. Da steht Noah. Mit seinem Messer. Genauso wie Chagall das gezeigt hat in seinen Bilder von Abraham und Isaak.  Das Messer schwebt über den Kindern. Noah schaut und schaut. Er sieht. Gegen seinen Willen geht er in Kontakt, sieht den Kindern in die Augen. Genau wie Levinas, der Philosoph, beschreibt, dass wenn ein Mensch  einem anderen Menschen in die Augen schaut, ihr  Geheimnis offenbar wird. Noah sieht, hört und fühlt endlich. Das Messer geht zur Seite und er küsst die beide Mädchen. «Ich kann es nicht», sagt er. Seine Ideologie, sein «Gott in den Weg treten», seine Rigidität wird durchbrochen. Er wird wieder Mensch.

Dann kommt noch eine letzte Scene. Tubal-Kain hat Ham verlockt und überzeugt, dass es gut ist seinen Vater zu töten und die Macht im Kasten und auf der Erde zu übernehmen. Ham lockt seinen Vater weiter in den Kasten hinein, indem er sagt: Da ist ein Tier gestorben.  Tubal-Kain hat das Tier abgeschlachtet, um seine Todesmacht zu zeigen. Als Noah sieht,  dass Tubal-Kain da ist und ihn töten will, findet dort der tödliche Machtkampf statt. Auch Ham steht mit seinem Messer bereit. Im Endeffekt ist es Ham, der Tubal-Kain tötet. Soweit kann er doch nicht gehen, dass er sein Vater tötet oder zulässt, dass Tubal-Kain das tut.

Dann kommt die Szene, dass die Familie aussteigt aus dem Boot und merkt, dass die Sippe selbst keine heile Welt ist. Vorläufig sind sie Einzelgänger. Jede und jeder muss erst zu sich selbst kommen. Vollkommen durcheinander sind sie.

Noah wird von Sem und Jafet gefunden, nackt, betrunken. Ich habe noch nie so gut verstanden wie jetzt, warum er sich betrinkt: Er weiss, dass und wie er, gerecht und untadelig, Mist gebaut hat: Gott gegenüber, gegenüber seiner Frau und gegenüber all seinen Kindern.

Ham packt seine Sachen und geht. Er ist genau wie wir; nur er ist noch mehr gefährdet, weil er so nah an den Todeskräften  lebt, an Rache und an Wut und so leicht dabei bleibt. Hier wird kein Fluch ausgesprochen. Ham sagt nur: hier ist nicht mehr mein Wohnplatz.

Gott kann neu anfangen. Aber es sind noch immer die Menschen, die vor der  Entscheidung stehen: Leben oder Tod, Segen oder Fluch: Wählt das Leben!

Die Frau von Noah fängt an zu pflanzen. Sie ist und bleibt Eva, Mutter Erde.  Und Noah, seinen Rausch ausgeschlafen, wieder bekleidet, kommt demütig, still und kniet bei seiner Frau, die pflanzt. Stille, es braucht Zeit. Und sie nimmt ihn wieder an. Neuer Anfang. Sie, sein Gegenüber.

Der Film endet mit dem Regenbogen. Zeichen der Hoffnung. Zeichen das Gott sich umkehrt, weil ER weiss: so kann und will ich das nie wieder machen. Gott hängt seinen Bogen – den Kriegsbogen – in die Wolken. Es sind nur noch kleine Anweisungen im Film. Die Menschen bleiben und werden sich wieder vermehren. Mit ihrer Freiheit, mit ihrem Gelingen und Misslingen. Und Gott? Vielleicht fängt jetzt an, dass ER auch seine Schattenseite, seine finstere Seite hat. Freiheit, Schöpfung, Entscheidungen, Freude, Finsternis, Schatten, Heil und Unheil: Sie sind immer wieder da. Hier ist wirklich ein neuer Anfang.

Bestätigt hat dieser Film für mich meine Erfahrung und Überzeugung: ausserhalb von Beziehung kein Heil. Noah hat die Beziehung mit Gott verloren. Und mit seiner Frau. Und er hat zu ihr zurück gefunden. Nur wenn die Beziehungen wieder ins Spiel kommen, kann Heil geschehen.

Ich habe den Film nur einmal gesehen. Ich habe noch lang nicht alles gesehen. Er war so viel. So viel Schönes, so viel Beeindruckendes, soviel Böses und Vernichtung. So viel durchgehalten Liebe. Ich will und kann nicht vollständig sein. Ich möchte, dass ihr ins Kino geht und selbst höret, sehet und fühlet. Geh zu Noah.