Wir bringen die Bibel ins Gespräch

Mit der Bibel vor der Eisdiele herumhängen   

Erfahrungen mit FACEBOOK in der Pastoral, SKZ 24/2012

 

Der Börsengang von FACEBOOK vor ein paar Tagen war ja keine Erfolgsgeschichte. Was das für die Zukunft der Internetplattform bedeutet, wird sich erst zeigen. Die Zahlen der Nutzerinnen und Nutzer von FACEBOOK steigen jedenfalls weiter. Wikipedia gibt für die Schweiz 2,73 Millionen an und für Deutschland 22,1 Millionen. Die wenigsten Mitglieder hat FACEBOOK im Vatikanstaat mit weniger als 20. FACEBOOK ist besonders beliebt in der jüngeren Generation, die prozentual grössten Zuwächse verzeichnen aber die über 45jährigen. Pro Stunde kommen in der Schweiz 141 neue Mitglieder hinzu. Der Spiegel stellt in seiner Ausgabe vom 7.5. bei aller Kritik an FACEBOOK fest: «Der Neuigkeitseffekt ist vorbei, FACEBOOK ist Alltag.»

 

FACEBOOK im Alltag

Lässt sich FACEBOOK auch in den Alltag einer kirchlichen Fachstelle, eben der Bibelpastoralen Arbeitsstelle integrieren? Können wir es nutzen für die Auseinandersetzung mit der Bibel? Gar für unser Projekt der «biblischen Beseelung der Pastoral»?

Ende Januar ging die Bibelpastorale Arbeitsstelle mit dem «Modell zur biblischen Beseelung der Pastoral» an die (kirchliche) Öffentlichkeit. Neben der Broschüre in Papierform und den ergänzenden Informationen auf der Homepage (www.bibelwerk.ch/beseelung) haben wir dazu eine FACEBOOK-Gruppe mit dem Namen «Biblische Beseelung» angeboten. Die Gruppe hat im Moment 171 Mitglieder (Stand 01.06.). Seit ihrem Start sind ca. 80 Beiträge erstellt worden, die 500-600x mit dem «Gefällt mir»-Button angeklickt oder mit einem Wortbeitrag kommentiert wurden. In globalen oder auch schweizerischen FACEBOOK-Massstäben  eine ganz kleine Sache. Für uns, die wir damit Neuland betreten haben, bemerkenswerte Zahlen. Seit dem 12.3 gibt die Bibelpastorale Arbeitsstelle regelmässige Impulse in die Gruppe. Jetzt ist es Zeit für eine ersten Rück- und Ausblick.

FACEBOOK – wie geht das?

Zuvor die wichtigsten Informationen zur Orientierung: FACEBOOK ist ein soziales Netzwerk. Das bedeutet: Menschen können sich dort anmelden, ein persönliches Profilanlegen und dieses Profil mit den Profilen anderer vernetzen (das nennt FACEBOOK «Freund» werden). Über ein Suchfeld kann man Namen von Personen eingeben und dann, wenn sie auch auf FACEBOOK sind, Freundschaftsanfragen verschicken. Jedes persönliche Profil hat eine Pinnwand, auf der der Profilbesitzer und die mit ihm vernetzen Freunde etwas anbringen können (einen Text, ein Bild, einen Link…) Das nennt FACEBOOK posten. Diese Postings können kommentiert werden, man kann sie weitersagenoder zeigen, dass sie einem gefallen (indem man einen «Gefällt mir»-Button anklickt. So entstehen virtuelle Gespräche. Zusätzlich zu diesen persönlichen Profilen gibt es auch Sites, d.h. Seitenvon Unternehmen oder Institutionen. Das Schweizerische Katholische Bibelwerk hat so eine Seite: www.facebook.com/Bibelwerk. Und schliesslich gibt es Gruppen. Diese bringen Menschen zusammen, die sich für ein bestimmtes Thema interessieren. Mit Seiten vernetzt man sich, indem auf «Gefällt mir» klickt – mit Gruppen vernetzt man sich, indem man Mitglied wird. Sobald man mit einer Seite oder Gruppe vernetzt ist, kann man sich dort (wie auch in den normalen Profilen) am virtuellen Gespräch beteiligen.

«learning by doing» und «trial and error»

Wie gesagt: Die FACEBOOK-Gruppe ist Teil unserer Pastoralprojektes «Biblische Beseelung der gesamten Pastoral». Wir verfolgen damit die folgenden Ziele:

  • Das, was durch die Broschüre in Papierform und in unseren klassischen Verbreitungsformen (Vorstellung in pastoralen Gremien, Workshops in Dekanatsfortbildungen, Impulse in Dekanatsversammlungen, einzelne Nach- und Anfragen) in die kirchliche Öffentlichkeit gebracht wurde, begleiten und weiterführen;
  • Über unser bestehendes Netzwerk hinaus weitere Interessierte ansprechen (TheologInnen, die nicht in die pastoralen Strukturen der Kirche Schweiz eingebunden sind, ehrenamtlich Engagierte, Interessierte aus dem Ausland …) erreichen und einbeziehen;
  • Uns selbst Erfahrungen mit FACEBOOK als Vernetzungsform und Austauschforum verschaffen.

Beginnen wir mit dem dritten Ziel. Wir haben bereits intensive Erfahrungen auf FACEBOOK gemacht. Das Medium stellte uns aber auch vor einige Herausforderungen. So liess sich gleich zu Beginn unser Vorhaben, die Gruppe auf der FACEBOOK-Seite des Bibelwerks anzusiedeln, nicht realisieren. Denn FACEBOOK erlaubt es nur Privatpersonen, nicht jedoch Institutionen, Gruppen zu gründen. So entschieden wir uns, die Gruppe bei Maria von Magdala anzusiedeln. Dieser biblischen Figur haben wir ein FACEBOOK-Profil gegeben, um sie als «Patronin der Bibelpastoral», die sie seit dem Jubiläumsjahr des Bibelwerks 2010 ist, in die Öffentlichkeit treten zu lassen.
Für die inhaltliche Arbeit waren «learning by doing» und «trial and error» angesagt. Wir starteten aber dennoch mit einem Konzept, um es dann gegebenenfalls zu verändern oder über den Haufen zu werfen. Dabei liessen wir uns von der Broschüre zum Modellprojekt (»da schickte Gott einen Wurm») leiten:

  • Im Hauptteil der Broschüre stellen die Mitglieder der Therwiler Projektgruppe biblische Leittexte vor, die für sie persönlich und dadurch auch für das Projekt in Therwil von besonderer Bedeutung sind. Und stellen Fragen an die Leserinnen und Leser, die sie leiten und begleiten sollen auf den eigenen Wegen der biblischen Beseelung der Pastoral. Wir beschlossen, diese Fragen auch in der FACEBOOK-Gruppe zu stellen. Der Mehrwert gegenüber den Fragen in der Broschüre wäre es, die Antworten Anderer lesen und mit ihnen ins Gespräch kommen zu können.
  • An den Austausch über diese Leitfragen sollte sich eine Ideenbörse anschliessen, bei der wir die Gruppemitglieder nach konkreten Erfahrungen und Praxistipps fragen, aber auch Erfahrungen aus dem Modellprojekt und weitere vertiefende Materialien aus dem Bibelwerk einspeisen würden.
  • Dazwischen wollten wir erproben, ob sich nicht auch eine konkrete Bibelarbeit, in diesem Fall ein Bibliolog zu einem der Leittexte, auf FACEBOOK gestalten lässt. Da sich die Teilnehmenden beim Bibliolog ganz persönlich zeigen, gründeten wir dafür eine eigene FACEBOOK-Gruppe, die wir als geschlossene (oder «geheime» wie es bei FACEBOOK heisst) Gruppe organisierten. Das heisst, dass nur die Gruppenmitglieder selbst und keine Aussenstehenden die Beiträge zu Gesicht bekommen. Als zeitlicher Rhythmus erschien es uns sinnvoll, einmal pro Woche (jeweils montags) einen Impuls zu lancieren. Die Impulse starteten am 12.3.

 

Austausch über biblische Leittexte

Im 1. Impuls fragten wir die Gruppenmitglieder nach ihren eigenen existentiell und pastoral wichtigen Bibeltexten. Es entstand ein intensiver Austausch, viele verschiedene Texte wurden genannt und mit Erfahrungen verknüpft, die Nennung eines Textes löste bei anderen Erinnerungen an wichtige Erfahrungen mit diesem Text aus. Bei aller Vielfalt zeigte sich, dass die Emmaus-Erzählung (Lk 24) für viele Gruppenmitglieder ein besonders wichtiger Text für den eigenen Glaubensweg und für die eigene Pastoral ist.

Der 4. Impuls fragte nach Auferstehungserfahrungen in der Gemeinde und nach dem «Galiläa der Zukunft» für die eigene Pfarrei. Diese Frage ging aus von einem der Leittexte im Modellprojekt in Therwil, Mk 12,18-27, einem Streitgespräch über Auferstehung und der theologischen Bedeutung Galiläas im gesamten Kontext des Markusevangeliums, ganz besonders im Auftrag des Engels am leeren Grab, Mk 16,7. Da machte die Offenheit des Mediums auch einen Beitrag «aus muslimischer Sicht» möglich, in Auferstehungserfahrungen pragmatisch-dicht so beschrieben wurden: «Es soll nicht einfach so weitergehen wie sonst.»

Der 7. Impuls wird direkt nach Erscheinen dieses Artikels am 18.6. starten und stellt ausgehend von Ex 3,1-12, der Gotteserfahrung des Mose am brennenden Dornbusch, folgende Fragen:

  • Wer sind deine Mütter und Väter im Glauben?
  • Welche ihrer Geschichten möchtest du weiter erzählen?
  • Wo erlebst du deine Pfarrei als Erzählgemeinschaft?

 

Bibliolog

Bibliolog auf FACEBOOK: Das war das bisher grösste Experiment. Geht das überhaupt? Und wenn ja, in welcher Form?

Bisher wurden 3 Bibliologe durchgeführt, an denen 30 Personen teilnahmen. Die Erfahrungen zeigen: Es geht. Es macht Sinn. Die Form gilt es noch weiter zu entwickeln. Zentral ist die Frage, über welchen Zeitraum sich ein Bibliolog erstreckt und wie schnell neue Rollen angeboten und Fragen gestellt werden. Es ist einfach völlig unterschiedlich, wann wie oft und wie lange sich Menschen in FACEBOOK aufhalten.

Für den ersten Bibliolog vertrauten wir uns der Leseordnung der Römisch-Katholischen Kirche an und wählten als Bibeltext das Tagesevangelium vom 19.3., die Erzählung von der Wallfahrt der Heiligen Familie am Pessachfest nach Jerusalem und vom  12jährigen Jesus im Tempel (Lk 2,41-51). Der Bibliolog erstreckte sich über eine Woche. Es gab insgesamt 6 Rollen mit Fragen, d.h. für die Antworten einer Figur war jeweils etwa 1 Tag lang Zeit. Insgesamt wurden 38 Antworten gegeben.

Der zweite Bibliolog fand zu Mk 12,18-27 statt. Vor dessen Start war die Mitgliederzahl der Gruppe gewachsen und unter den Neumitgliedern fanden sich auch Menschen aus den USA mit wenig Deutschkenntnissen. So beschlossen wir, den zweiten Bibliolog zweisprachig, deutsch und englisch durchzuführen.  Das erwies sich dann aber doch als problematisch. Obwohl es den Teilnehmenden freigestellt war, auch nur in einer Sprache zu reagieren, wurde dadurch eine Schwelle aufgebaut. Das zeigte sich zwar nicht in der Zahl der Antworten (26 bei 4 Fragen/Rollen), aber in der anschliessenden Auswertung. Vor allem sorgte die Zweisprachigkeit dafür, dass die einführenden Texte sehr lang wurden. Das sprengte mehr und mehr den Rahmen der FACEBOOK-Kommunikation. Dazu kam aber auch, dass sich der Bibeltext und die gewählten Rollen als sperrig  erwiesen. Die spielerische Leichtigkeit, die sowohl zum Bibliolog als auch zu FACEBOOK gehört, ging etwas verloren. So schloss sich an den zweiten Bibliolog eine ausführliche Auswertung und danach eine Neuausrichtung an. Der Bibliolog sollte schneller ablaufen, innerhalb eines Tages, er sollte leichter und spielerischer angelegt sein und nicht mehr zweisprachig.

Die neue Bibliologform wurde denn auch rasch erprobt mit einem dritten Bibliolog zu Jona 4, der Erzählung, in der Gott «einen Wurm» schickte. In der Exegese wird dieser Text als «Gottes Seelsorge an Jona» bezeichnet. So ergaben sich in der Auswertung auch wichtige Fragen nach dem eigenen Seelsorgeverständnis. Es zeigte sich aber, dass ein Bibliolog in dieser eintägigen Form viele ausschliesst, die tagsüber nicht auf FACEBOOK gehen können oder wollen. Die ideale Form ist noch nicht gefunden, wenn es sie denn gibt. Aber wir setzen das «learning by doing» fort.

 

Ideenbörse

An den ersten Bibliolog zum Text, den die Leseordnung vorgab, schloss sich eine Ideenbörse zum Umgang mit der Leseordnung und dem Lesejahr an. Sie war so interessant und ergiebig, dass wir nach Rücksprache mit den TeilnehmerInnen beschlossen, sie auf der Homepage des Bibelwerks zu veröffentlichen: www.bibelwerk.ch/beseelung. Der Austausch zeigte, dass die Leseordnung bei den Pastoralverantwortlichen grösstenteils als Hilfe und Herausforderung erlebt wird, was einen kritischen Umgang damit nicht ausschliesst.
Nach der Unterbrechung der wöchentlichen Impulse durch die Auswertung des Bibliologs beschlossen wir, die Themen der Ideenbörse von den Bibeltexten und Themen der vorhergehenden Impulse abzulösen. Es erschien uns sinnvoller, Ideen zu dem zu sammeln und auszutauschen, womit die Seelsorgenden in der Gemeindepastoral eh aktuell beschäftigt sind. So starteten wir im Mai eine Ideenbörse zu Firmung und Konfirmation, die im Moment noch läuft. Leitfragen sind:

  • Mit welchen biblischen Texten, Motiven oder Themen gestaltet ihr die Vorbereitung auf Firmung bzw. Konfirmation und die Feier selbst?
  • Welche Lebensfragen der Jugendlichen sprecht ihr damit an?
  • Wie verbindet ihr Leben und Bibel bei Firmung/Konf?

 

Wie weiter?

Alle drei Formen der Impulse zeigen, dass wir unsere Ziele erreicht haben: Die FACEBOOK-Gruppe  führt unser Projekt der biblischen Beseelung der Pastoral weiter, vertieft und begleitet es und bezieht Menschen ein, die wir mit unseren bisherigen Medien und auf unseren gewohnten Wegen nicht erreicht hätten. Auch das Vorgehen, einfach mal etwas zu erproben, Erfahrungen zu machen, Rückmeldungen einzuholen und daraufhin das Vorgehen zu verändern, hat sich bewährt. Es entspricht dem experimentellen, kommunikativen und dynamischen Medium FACEBOOK. Natürlich machte uns das Medium FACEBOOK auch einschränkende Vorgaben und gab es technische Reibungsverluste, aber auf der anderen Seite ist es eine wichtige Herausforderung, sich dem FACEBOOK-Kommunikationsstil zu stellen, d.h. prägnant, leicht, spielerisch, vernetzt zu denken und zu schreiben.
Die Gruppe «Biblische Beseelung» im Profil von Maria von Magdala ist, wie gesagt, nur ein Element unserer Präsenz in den Social Media. Daneben unterhalten und gestalten wir die Seite www.facebook.com/Bibelwerk. Mit ihr sind wir jetzt genau ein Jahr auf FACEBOOK präsent. Über 100 Personen haben inzwischen angeklickt, dass ihnen die Seite «gefällt». Wir haben einen Redaktionsplan für Beiträge (»postings») erstellt, der dafür sorgt, dass mindestens jeden zweiten Tag ein Beitrag erscheint. Dreh- und Angelpunkt für unsere Aktivitäten in den Social Media ist unsere Homepage www.bibelwerk.ch. Jede Neuigkeit auf der Homepage wird über FACEBOOK weitergegeben.
Wir werden mit unseren Internetaktivitäten fortfahren und uns weiter entwickeln. Wir laden Sie alle herzlich ein, dabei zu sein. Im bereits genannten Spiegel-Artikel wird FACEBOOK verglichen mit dem «Herumhängen vor der Eisdiele. Man ist zusammen, jeder kann etwas sagen, niemand muss. Aber jederzeit könnte sich alles Mögliche ergeben … Wer nicht zugeschaltet ist, kriegt es nicht mit.»

Dieter Bauer und Peter Zürn

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