Wir bringen die Bibel ins Gespräch

Dieter Bauer, Überlieferungen aus Prophetie, Weisheit und Apokalyptik   

Buch des Monats Januar 2012

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 »Das Allerwenigste von dem, was ich hier schreibe, ist originell. So gut wie alles fusst auf dem von Menschen Erarbeiteten, die sich längst vor mir mit dieser Materie auseinandergesetzt haben». Wer Dieter Bauer kennt, liest in diesem bescheidenen Bekenntnis zur Unoriginalität im Vorwort die Qualitätsaussage mit. So gut wie alles, was bisher zu dieser Materie erarbeitet wurde, ist von ihm gelesen und – wenn als brauchbar bewertet – eingearbeitet worden. Was hier fusst, steht stabil. Die Kriterien für das, was in diesem Band brauchbar ist, gibt die Reihe Studiengang Theologie vor, von der mit dem besprochenen Buch jetzt 5 von 16 geplanten Bänden, realisiert ist. Sie will – wie es im Geleitwort zur Reihe heisst – den aktuellen Stand des theologischen Nachdenkens, elementare Glaubensinformation und das alles gut lesbar vermitteln. Und sie will Lern- und Lehrbücher bereitstellen für den Studiengang Theologie und für das Selbststudium. Im besten Fall gehören das Lehren und das Lernen eng zusammen, wie bei Dieter Bauers Buch. Es verdankt sich – so noch einmal das Vorwort – den Gesprächen in vielen Jahren biblischer Erwachsenenbildung und es ist Ausdruck von Bauers eigenem lebenslangem Lernen und Lehren: «Ich habe versucht, das, was ich vom Alten Testament verstanden zu haben glaube, in verständlicher Form aufzubereiten und weiterzugeben». Das Buch erschliesst die Überlieferungen aus Prophetie, Weisheit und Apokalyptik und reiht sich selbst in die andauernde Überlieferung ein. Dabei versteht Bauer das Lehren und Lernen dieser Überlieferung auch als «den gewohnten Rahmen sprengende Erfahrung», entsprechend dem hebräischen Buchstaben «Lamed», der «Lernen» bedeutet und den Rahmen der hebräischen Quadratschrift sprengt.  


Doch jetzt vom Vorwort zum Buch: Was Dieter Bauer hier unternimmt, ist im «Kleinen» genauso ambitioniert wie das Unternehmen der gesamten Reihe Studiengang Theologie im Grossen. Bauer führt auf weniger als 400 Seiten ein in die biblische Prophetie und prophetische Gestalten, die Schriftpropheten Amos, Hosea, Jesaja, Micha, Jeremia, Ezechiel und Sacharja, die biblischen Prophetinnen Mirjam, Debora, Hulda und Noadja (inklusive der negativen und positiven Seiten ihrer Stellung im Kanon der Schrift), das Buch Jona, die Weisheitsliteratur des Alten Testaments im Rahmen der altorientalischen Weisheit, das Buch der Sprichwörter, das Hohelied, das Buch Ijob, die Bücher Kohelet, Jesus Sirach und Weisheit, die Apokalyptik und das Buch Daniel und in die Psalmen.
Jedes der entsprechenden Kapitel eignet sich als erster grundlegender und richtungsweisender Zugang zum entsprechenden Thema und ist über zwei Inhaltsverzeichnisse (ein detailliertes am Ende des Buches) gut zu finden. Einziges Manko dabei ist, dass die interessanten thematischen Exkurse (z.B. über die Auferstehungsvorstellungen im AT im Kapitel über das Buch der Weisheit S. 304f.) nicht im Verzeichnis aufgeführt sind.
Der rote Faden durch das Buch ist die Geschichte Israels als Teil der Gesamtgeschichte der Region. So werden die einzelnen biblischen Überlieferungen durchgehend als Reaktionen auf historische Ereignisse und Prozesse und als weiterreichender  Überschuss darüber hinaus erkennbar. So sind denn auch viele Hauptkapitel nach historischen Epochen gegliedert: Die Assyrische Zeit (2), die babylonische Zeit (3), die Perserzeit (4), die hellenistisch-römische Zeit (9). Dazwischen finden sich systematische Kapitel wie die bereits erwähnten über die Prophetinnen (5), die Einführung in die Welt der Prophetie (1), den Abschluss der Prophetie im Alten Testament (6), die Einführung in die Weisheitsliteratur (7 und 8), die Apokalyptik (10) und die Einführung in das Buch der Psalmen (11).
Das Kapitel über den Abschluss der Prophetie (6), das zurückblickt auf die detaillierte Darstellung der Prophetinnen und Propheten, analysiert den Umgang mit den prophetischen Überlieferungen in Israel entlang der historischen Umwälzungen der Geschichte. Aus dem Scheitern der Gerichtsprophetie wird ihre Anerkennung nach der Katastrophe des Exils, worauf nachexilisch ein neuer Streit um die Prophetie entbrennt, der sie aus den verfassungsgebenden Texten der Tora weitgehend entfernt, was zu ihrer neuen Oppositionsrolle im Gewand der Eschatologie führt. In diesem Kapitel ist die Beziehung zwischen Geschichte und Bibeltext am überzeugendsten dargestellt. In anderen v.a. den vorausgehenden Kapiteln droht diese Beziehung manchmal hinter der Fülle von historischem Material (Jahreszahlen, Königsnamen etc.) zu verschwinden.

Alle Kapitel sind vergleichbar aufgebaut. So wird bei jedem biblischen Buch nach der Person des Namensgebers und seiner Zeit gefragt, werden Angaben zur Entstehungszeit des Buches gemacht und eine Gliederung (meistens mit Schaubild) vorgestellt sowie (in der Regel) drei wesentliche Texte detailliert analysiert. Ein weiteres durchgehendes Element ist der Einbezug von Bildmaterial aus der Umwelt der Texte (insgesamt 52 Abbildungen). Am Ende findet sich jeweils unter der Überschrift «Zum Weiterlesen» eine kleine, nie mehr als 3-4 Titel umfassende Liste mit gut lesbarer Literatur. Ausserdem schliesst beinahe jedes Kapiteln mit einem Abschnitt über die Aktualität der biblischen Figur bzw. des Buches in existentieller, kirchlicher oder gesellschaftlicher Hinsicht. Ein letztes durchgehendes, allerdings nicht systematisch ausgewiesenes Element sind die Bezüge zwischen den vorgestellten Alttestamentlichen Texten und dem Neuen Testament. Es findet sich z.B. bei der Immanuelsweissagung in Jes 7 (2.5.5.3.), der Ankündigung eines «Neuen Bundes» in Jer 31 ((3.3.5.3.) und bei der «Nachgeschichte» des Jonabuches (7.7.).
Eine besondere Qualität hat das Buch bei der Erschliessung von Überlieferungen aus dem dritten Teil der hebräischen Bibel (der «Schriften», nach den beiden ersten Kanonteilen «Tora» und «Propheten») bzw. der Spätschriften des Alten Testamentes. Bücher wie Jesus Sirach, Kohelet oder Weisheit, aber auch die apokalyptische Literatur werden heute nur wenig wahrgenommen. Aber auch das Buch Jona wird ausserhalb der Katechese unterschätzt. Diese Schriften bergen aber Schätze, die noch zu heben sind. Dieter Bauers Buch hat das Potential nicht nur hier ein Handbuch für Schatzsucherinnen und Schatzsucher zu werden.

Peter Zürn

Dieter Bauer, Überlieferungen aus Prophetie, Weisheit und Apokalyptik, Studiengang Theologie Band I,2 (Altes Testament, Teil 2), Edition NZN beim Theologischen Verlag Zürich TVZ 2011, ISBN 978-3-290-20072-5, CHF 42.00 - EUR 30.00

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