Wir beraten

Begegnung mit Psalmen im Religionsunterricht   

Ein Teilprojekt zur biblischen Beseelung der Pastoral

Vorüberlegungen und Ziele:

In der 4. Klasse der Primarschule Mühleboden in Therwil gestaltete Jutta Achhammer Moosbrugger, die Religionslehrerin, gemeinsam mit Peter Zürn 6 Unterrichtseinheiten. Auf dem Lehrplan stand «eigene Gefühle wahrnehmen und ausdrücken können». Die grundlegende Haltung dabei war es, Gefühle nicht zu bewerten. Alle Gefühle sind richtig und dürfen sein.
Ziel der Einheiten war es, die Sprache der Psalmen als Angebot für die Wahrnehmung und den Ausdruck von Gefühlen kennenzulernen und zu erproben. Dabei sollten gerade auch solche Gefühle Raum bekommen, die im gewöhnlichen Alltag der Kinder eher negativ besetzt sind oder gar tabuisiert sind, wie z.B. Wut, Zorn, Trauer, Verzweiflung, Aggressivität, Konkurrenz... Bieten die Psalmen Ausdrucksformen an, um auch mit solchen Gefühlen umgehen zu können?

Vorgehen und Methoden:

Gefühlskurve
Jede Stunde begann mit der Selbstwahrnehmung der Schülerinnen und Schüler. Sie gaben ihre aktuelle Befindlichkeit mit Hilfe von vier Smileys an und sagten, wenn sie wollten, kurz etwas dazu. Die gesamte Kurve der Klasse zeigte jeweils eine Bandbreite von Stimmungen.

Einzelne Verse

Inhaltliche Leitidee war die These: «Ein ganzer Text verschliesst,  ein einzelner Vers öffnet», die Ingo Baldermann für den Umgang von Kindern mit Psalmen formuliert hat. Entsprechend wählten wir immer wieder einzelne Verse aus Psalmen aus, mit denen wir die Kinder in Beziehung brachten. Einige Beispiele dafür:

-       Ps 84,4 «Ich fühle mich wie ein Spatz, der ein Haus gefunden hat und wie eine Schwalbe, die ein Nest für ihre Jungen hat.» Gruppengespräch: Sich in einen Menschen hineinversetzen, der diesen Satz sagt und Situationen dazu beschreiben

-       Ps 57,7: «Sie haben mir Füsschen gestellt. Sie haben eine Grube für mich gegraben». Gedanken und Gefühle dazu auf einem Blatt aufschreiben

-       Postkarten mit Psalmversen voll Wut und Anklage, mindestens so viele Verse wie Kinder da sind; jedes Kind darf sich ein Kärtchen nehmen und dazu etwas gestalten: malen, kneten, Gedicht schreiben, Brief schreiben, Geschichte zum Vers erfinden, Bild Kolorieren (Bsp. Ps 3,8; 5,7; 6,11; 9,21, 10,1; 10,12, 12,4; 17,14; 83,14-16; 120,3-4; 129,6; 139,22; 140,9-11)

-       Einen eigenen Psalmvers zur aktuellen Befindlichkeit oder zu einem vertrauten Gefühl dichten. Einige Beispiele für Psalmen, die entstanden sind:

«Ich fühle mich beschämt, wie ein Vogel, der nicht fliegen kann»
«Ich fühle mich erleichtert wie ein Pferd, das keinen Reiter mehr tragen muss»
«Ich fühle mich wie eine Biene, die an einem Sommertag das Bienenparadies gefunden hat»
«Gott, sag endlich der anderen Klasse, sie sollen fair Fussball spielen. Wenn man fair spielt, macht es viel mehr Spass. Wir dürfen auch mal bestimmen»
«Ich fühl mich durcheinander, mies und gleichzeitig toll. Welches Gefühl ist stärker, Gott?»
«AUA»
«Ich fühle mich wie ein Löwe, der am Verhungern ist»

Bibliolog

Wichtiger Hinweis: Bitte diesen Bibliolog nicht einfach für die eigene Praxis übernehmen! Einen Bibliolog zu leiten, erfordert Kompetenzen, die sich durch die Teilnahme an einem Bibliolog-Grundkurs erwerben lassen. Wir empfehlen sehr, einen solchen Grundkurs zu absolvieren. Kurse finden sich unter www.bibliolog.ch und www.bibliolog.de. Auch wenn es ganz leicht aussieht, ist es nicht sinnvoll, ohne eigene reflektierte Leitungserfahrungen, einen Bibliolog zu leiten. Es besteht die Gefahr damit den Teilnehmenden und dem guten Ruf der Bibliolog-Bewegung zu schaden. 

Ein Bibliolog zu einem Bibeltext, den die Kinder bereits kannten, der Geschichte vom barmherzigen Samariter (Lk 10,30-35), bot die Möglichkeit, sich in die verschiedenen Rollen zu versetzen und ganz unterschiedliche Gefühle wahrzunehmen und auszudrücken. Zwei Beispiele:

Lk 10,30: «Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab».
Leitung: «Du bist dieser Mann, der von der Stadt Jerusalem weg geht und in die Stadt Jericho gehen will. Der Weg führt vom Berg hinunter ins Tal und geht durch die Wüste. Mit welchem Gefühl bist du aufgebrochen? Mit welchem Gefühl bist du unterwegs?»
Kind 1: «Ich bin ganz aufgeregt, voller Freude, etwas von der Welt zu entdecken.»
Kind 2: «Ich bin aufgeregt, aber ein wenig ängstlich.»
Kind 3: «Ich freue mich auf die Wanderung und ich hoffe, sicher anzukommen.»
Kind 4: «Ich fühle mich ganz einsam hier in der Wüste.»
Kind 5: «Ich habe schon Halluzinationen, ich glaube ich sehe eine Fata Morgana.»

Lk 10,35: «Am andern Morgen holte der Samariter zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte: Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme.»
Leitung: «Du bist der Wirt. Du sollst für den Verletzten sorgen, bis der Samariter wieder kommt. Wie fühlst du dich? Was geht in dir vor?»
Kind 1: «Was fällt denn dem ein? Ist hier etwa ein Spital? Ich ärgere mich über den unverschämten Kerl.»
Kind 2: «Ich fühl mich ganz hilflos. Weiss gar nicht was ich machen soll.»
Kind 3: «Der traut mir ganz schön was zu. Das ist ein schönes Gefühl, auch wenn ich unsicher bin, ob ich wirklich schaffe.»
Kind 4: «Ich bin glücklich. Ich sehe, was meine Hilfe bewirkt.»
Kind 5: «Ich kann das. Ich habe ja Erfahrung mit so was.»

In der folgenden Lektion bildeten die Schülerinnen und Schüler Gruppen zu den einzelnen Personen des Bibliologs und ihren Gefühlen und fragten sich, welchen Psalmvers dieser Mensch wohl beten könnte. Zur Auswahl dienten ihnen die bisher bearbeiteten Verse und eine Liste mit weiteren Psalmversen zu verschiedenen Gefühlslagen. Wieder die beiden Beispiele:

Leitung: «Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab. Du bist dieser Mann. Mit welchem Gefühl bist du unterwegs? Wie betest du?»
Auswahl der Kinder: «Behüte mich Gott, denn ich vertraue dir. Ich sage zum Herrn: Du bist mein Herr; mein ganzes Glück bist du allein. Ich habe den Herrn beständig vor Augen. Er steht mir zur Rechten, ich wanke nicht.» (Ps 16,1)

Leitung: «Am andern Morgen holte der Samariter zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte: Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme. Du bist der Wirt. Wie fühlst du dich? Wie betest du?»

Auswahl der Kinder: «Wohlstand und Reichtum füllen sein Haus, sein Heim hat Bestand für immer.» (Ps 122,3)
«Gott ist uns Zuflucht und Stärke, ein bewährter Helfer in allen Nöten.» (Ps 42,6)

Bunte Stühle
Immer wieder wurde mit den Postkarten gearbeitet, auf denen der Kreis mit den bunten Stühlen zu sehen ist. Die einzelnen Psalmverse z.B. waren je auf eine Postkarte geschrieben. Einer der bemalten Stühle stand die gesamte Zeit über im Unterrichtsraum. Die Postkarten mit den eigenen Psalmversen z.B. wurden an den Stuhl gebunden.

Am Schluss des Unterrichtsprojektes entstand ein kleines Heft im Postkartenformat mit allen biblischen und selbstgeschriebenen Psalmtexten, das jedem Kind abgegeben wurde.

Die Lektionen und Methoden im Einzelnen:

Die erste Lektion am 6.5.2010
Die zweite Lektion am 20.5.2010
Die dritte Lektion am 27.5.2010
Die vierte Lektion am 3.6.2010
Die fünfte Lektion am 10.6.2010
Bibliolog zum Gleichnis vom barmherzigen Samariter Lk 10,30-35
Die sechste Lektion am 17.6.2010
Das Gleichnis mit eingefügten Psalmversen

Die Drachmen

Den Kindern kam die bildhafte Sprache der Psalmen sehr nahe. Sie fanden sich mit ihren Erfahrungen in ihr wieder. Gleichzeitig reizten die ungewohnten Bilder und Worte zu eigener Kreativität. Die Fremdheit und Direktheit der Sprachbilder brach allzu glatte und nichtssagende Ausdrucksformen auf.

Die These von Ingo Baldermann bestätigte sich: Einzelne Verse öffnen für eigenes Fühlen und Denken.

Die aggressiven Psalmverse eröffneten v.a. für die Jungs eine lustvolle Möglichkeit, eigenen aggressiven Gefühlen Raum geben zu können, geben zu dürfen. Sie schufen auch Raum für die Auseinandersetzung mit diesen aggressiven Seiten in Bezug auf das Selbstbild und das Gottesbild.

Die Ästhetik der Stühle und Karten verbunden mit der Ästhetik der Worte und Wortbilder der Psalmen trug zum achtsamen und würdevollen Umgang mit Gefühlen und Ausdrucksformen bei.

Die Psalmen dienten ausserdem in einer Art innerbiblischem Gespräch zur Vertiefung und Neuaneignung eines bereits bekannten Bibeltextes.

Der Wurm

Der Regenwurm als «Tier des Jahres» ist kein herziges Kuscheltier. Er ist uns eher fremd und je näher wir an ihn herangehen, vielleicht auch zunächst unangenehm. In einem Zeitungsartikel hiess es, der Regenwurm hat «optisch nicht die besten Karten». Das bringt ihn der Bibel, den Psalmen und ihrer Bildsprache nahe. Gerade in der Fremdheit und der Sperrigkeit liegen Chancen für die Aneignung.