Wir beraten

Gebt dem Kaiser nicht, was Gott gehört   

Hanspeter Ernst zum Evangelium am 29. Sonntag im Jahreskreis (16.10.): Mt 22,15–22, SKZ 39-40/2011

Da rauchen die Köpfe! Weshalb? Es geht um Steuern. Nicht alle halten es mit Altbundesrat Stich, der, sofern mich mein Gedächtnis nicht täuscht, gesagt hat, dass er gerne Steuern bezahle. Andere dagegen meinen, dass weniger Staat, weniger Steuern mehr Freiheit bringe. An Stammtischen besteht meistens Einigkeit darüber, dass man selbst zu viel Steuern bezahlen muss, während «die da oben» geschont werden. Kurz: Die Frage der Steuern bewegt die Gemüter, weil alle Steuern bezahlen müssen. Ohne Steuern geht es nicht. Jesus selbst hat ja gesagt: «Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist», womit wir mitten im Text wären.

«… was in den Schriften geschrieben steht»

Doch beginnen wir am Anfang. Pharisäer schicken ihre Schüler zusammen mit Hero-dianern zu Jesus, damit sie ihm die Frage nach den Steuern stellen. Ihre Absicht aber ist nicht lauter, sie möchten ihn «bei einem Ausspruch fangen» (Mt 22,15). Deshalb ist die Frage so gestellt, dass man sie nur mit Ja oder Nein beantworten kann: «Ist es erlaubt» oder «darf man dem Kaiser Steuern geben oder nicht» (V. 17)? Ihnen ist klar: Antwortet Jesus mit Nein, dann ist er ein Fall für die Römer. Denn er hätte sich einen zentralen Punkt der Zeloten zu eigen gemacht, die sich weigerten, dem Kaiser Steuern zu bezahlen, weil das Land Gott und nicht dem Kaiser gehört. Sie wurden deshalb auch verfolgt und gefoltert. Antwortet er mit Ja, dann verliert er seinen Rückhalt beim gemeinen Volk, das dem Anliegen der Zeloten wohlwollend gegenüberstand. Ein vorbehaltloses Ja würde heissen, dass er auf Seiten der Herodianer steht, jener Oberschicht also, die mit Rom kollaborierte und die für die Abgabe der Steuern zuständig war. Wäre es ein Ja mit Vorbehalt, dann machte er sich den Standpunkt der Pharisäer zu eigen, die einen «modus vivendi» mit der römischen Besatzung suchten. Das Kalkül der Fragesteller ist klar: Die Antwort Jesu hat, egal wie er antwortet, Konsequenzen für Jesus selbst. Und sie konnten sich auch denken, dass er sich nicht ihrem eigenen Standpunkt oder gar dem der Herodianer anschliessen wird.

Jesus antwortet nicht direkt, wenn er sagt: «Warum stellt ihr mich auf die Probe, ihr Heuchler (V. 18)?1 Tut doch nicht so, als wolltet ihr ein Lehrgespräch. Euch geht es gar nicht um diese Frage, sondern darum, mich loszuwerden.» Dann aber wird er offensiv: Er verlangt den Gegenstand der Sachfrage, um die es geht, die Steuermünze, und fragt: «Wessen Bild ist das und wessen Aufschrift ist das» (V. 20)? Auf der Vorderseite des Denars ist ein Brustbild des Kaisers mit Lorbeerkranz – ein Zeichen dafür, dass er sich Verdienste für das Gemeinwohl erworben hat –, auf der Rückseite die Göttin Pax. «Die vordere Umschrift lautet TI(BERIUS) CAESAR DIVI AUG(USTI) FI(LIUS) AUGUSTUS; die Titulatur auf der Rückseite PONTIF(EX) MAXIM(US).»2 Die Fragesteller ihrerseits können nun nicht anders, als eben dies zu antworten. Sie kennen die Münze, weil sie zu den im römischen Reich selbstverständlichen Zahlungsmitteln gehört. Ob sie aber wirklich wissen, was drauf steht, ist eine andere Frage – so wie wir Schweizer auch selten wissen, was auf unserem Geld steht. Einen Unterschied zu unserem Geld freilich gibt es: Diese Münze durfte nicht als Zahlungsmittel für einen Besuch im Bordell oder einer öffentlichen Bedürfnisanstalt verwendet werden, weil das die darauf abgebildete Person beleidigte. Dieses Verbrechen wurde mit dem Tod geahndet. Insofern ist die Münze weit mehr als ein Zahlungsgegenstand. Spätestens jetzt mussten die Fragesteller ahnen, in welche Richtung Jesu Antwort gehen würde. Denn sie kannten sehr wohl das erste Gebot: «Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. Du sollst dir kein Gottesbild machen noch irgendein Abbild von etwas, was oben im Himmel, was unten auf der Erde oder was im Wasser unter der Erde ist» (Ex 20,3 f.). Diese Münze widersprach dem, auch wenn sie Zahlungsmittel war. Das ist ein Kompromiss, den man der herrschenden Ordnung willen eingegangen ist. Aber Jesu Antwort fällt nicht ganz in diesem Sinne aus. Er sagt: Gebt dem Kaiser zurück, was ihm gehört, und gebt Gott zurück, was ihm gehört. An dieser Antwort bemerkenswert ist zunächst, dass es sich um ein Zurückgeben handelt (paradidomi). Damit ist nicht gemeint, was man lange davon ableitete, dass der Kaiser für das Leibliche, Gott jedoch für das Geistig-Religiöse zuständig sei, und dass man deshalb auch verpflichtet sei, dem Kaiser oder dem Staat Steuern zu bezahlen. Denn zurückgeben kann man nur, was man real hat und was jemandem anderen gehört. Soll der Kaiser seinen Silberdenar, der ihm gehört, haben. Aber der Machtanspruch, der damit verbunden ist, wird zurückgewiesen. Das wird in aller Deutlichkeit mit dem Nachsatz gesagt: Gebt Gott, was Gottes ist. Also: Gebt dem Kaiser nicht, was Gott gehört. Was gehört Gott? Ihm gehört alles, «die Erde und was sie erfüllt, der Erdkreis und alle, die darauf wohnen» (Ps 24,1). Von diesem Gott darf man kein Bild machen – aber der Mensch ist nach seinem Bilde geschaffen (Gen 1,27). Anders als der durch das Bild des Kaisers repräsentierte Machtanspruch, der mit Hilfe des Geldes Völker unterwirft und sie von sich abhängig macht, sind die Menschen Knechte Gottes, die nicht Knechtesknechte Sterblicher sein sollen (Lev 25,42).

Mit Matthäus im Gespräch

Dass die Fragesteller verwundert weggingen, ist nicht einfach eine Floskel. Sie sind nachdenklich geworden. Jesus hat mit der ihnen und ihm gemeinsamen Tradition argumentiert. Er hat das erste Gebot und die Gott-Ebenbildlichkeit aller Menschen in Erinnerung gerufen, selbst wenn er das nicht wörtlich macht. Das muss er auch nicht, denn diese Aussagen gehören zum unabdingbaren jüdischen Glaubensgut. Hat er wirklich Recht, wenn er das tut? Lässt sich unter den herrschenden Bedingungen eine solche Glaubensüberzeugung leben – oder ist es nicht viel einfacher, sich anzupassen und einige Kompromisse zu machen, selbst wenn man weiss, dass Teile der Bevölkerung aufgrund der Steuerlast verarmen und im schlimmsten Fall daran sterben? Aber ist nicht gerade das die Zerstörung des wahren Ebenbildes Gottes als Folge von Götzendienst?

Kehren wir zum Anfang zurück: Wie halten wir es mit dem Steuerzahlen? Sagt uns Matthäus, ja, das musst du tun? Oder sagt er, tue es nicht? Oder denken einige von denen, die bis hierher gelesen haben, man hat ja gar keine andere Wahl? Wir müssen doch Steuern bezahlen, denn ohne geht es nicht. Das dürften auch die mit der Frage zu Jesus Geschickten gedacht haben, sehen wir einmal von ihrer Absicht ab. Aber genau hier liegt der Knackpunkt: Welche Ansprüche werden damit verbunden? Dienen sie einzig der Akkumulation von Kapital – oder geht es um eine gerechte Verteilung der Güter? Ermöglichen sie eine solidarische Gemeinschaft, oder dienen sie dem Egoismus Einzelner? Bei den Steuern geht es um mehr als um Steuern. Es geht darum, wie Gesellschaft zu gestalten ist. Nicht die Steuer ist der Skandal, sondern die Macht, die den Menschen auch das noch nimmt, was sie zum Leben brauchen, damit sie ihre eigene Gier nach noch mehr befriedigen kann.