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Der «Sakrileg-Decoder» (V) – War Jesus verheiratet?   

Dieter Bauer, forum 25/2006

Behauptung: Jesus war verheiratet. Und zwar mit Maria Magdalena. Das «beweisen» von der Kirche unterdrückte Evangelien wie das Philippusevangelium oder das Evangelium der Maria Magdalena.

Und das meint der Decoder dazu: Die Vermutung, Jesus von Nazaret sei wie die meisten jüdischen Menschen seiner Zeit verheiratet gewesen, ist nicht ganz neu. So hat bereits der jüdische Religionswissenschaftler Schalom Ben-Chorin in seinem bemerkenswerten Buch «Bruder Jesus» (1967) geschlussfolgert: «Jesus wurde von seinen Jüngern und der grossen Gemeinde seiner Nachfolger als Rabbi angeredet. Ein unverheirateter Rabbi ist kaum denkbar. Ich bin also der Ansicht, dass Jesus von Nazaret, wie jeder Rabbi in Israel, verheiratet war.» Ganz ähnlich klingt die Argumentation bei Dan Brown: «Nach den Anstandsregeln der damaligen Zeit war es einem jüdischen Mann praktisch verboten, unverheiratet zu bleiben. Ein zölibatäres Leben war nach jüdischem Brauch undenkbar». Stimmt das aber?
Ich meine, dass es doch einige gewichtige Gegenargumente gibt:
1. Dass man zur Zeit Jesu als Jude nicht ehelos leben konnte, stimmt einfach nicht. Auch wenn wir davon ausgehen dürfen, dass Petrus, der ja bekanntlich eine Schwiegermutter hatte, und die «anderen Apostel» (1 Kor 9,5) verheiratet waren: Andere wichtige jüdische Persönlichkeiten wie etwa der Apostel Paulus waren es nicht! Und er gehörte immerhin zu den streng religiösen Pharisäern! Aber auch sonst gibt es in der Bibel genügend Beispiele für unverheiratete Männer, die trotz dieses «Mangels» eine wichtige Rolle in der Glaubensüberlieferung Israels gespielt haben, angefangen beim Propheten Elija bis hin zu Jeremia, der sogar auf Befehl Gottes ehelos bleiben soll (Jer 16,2ff). Auch im späteren Judentum sind unverheiratete Rabbiner bekannt.
2. Kein einziges Evangelium des Neuen Testaments (und auch nicht Paulus) weiss etwas von einer Ehe Jesu. Jesus scheint eher ein gespanntes Verhältnis zu seiner Mutter (Joh 2,4) und seiner Familie gehabt zu haben, die ihn für «verrückt» hielt (Mk 3,21). «Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder (und Schwestern)?» fragt Jesus (Mk 3,33).
3. Die von Dan Brown ins Feld geführten apokryphen Evangelien können die Beweislast nicht tragen. Sie sind allesamt lang nach den neutestamentlichen Evangelien entstanden (Ende 2. / Anfang 3. Jahrhundert n. Chr.) und sprechen im Übrigen an keiner einzigen Stelle von einer Ehe Jesu. Was Dan Brown ins Feld führt, «Gefährtenschaft» und Küsse, sind in diesen Evangelien durchweg Hinweise auf spirituelle Beziehungen wie bereits die Briefe des Mystikers Paulus zeigen. Auch er empfiehlt seinen Gemeinden den «heiligen Kuss» (Röm 16,16 u. ö.).
Alle diese Argumente lassen es höchst unwahrscheinlich erscheinen, dass Jesus von Nazaret verheiratet war.
Aber eine entscheidende Frage ist noch gar nicht gestellt: Was wäre denn so schlimm an der Vorstellung eines verheirateten Jesus, dass die Kirche sie hätte unterdrücken müssen? Spätestens hier wird deutlich, wie Dan Brown Klischees bedient, hier speziell das von einer in mittelalterlichen, Zölibats- und Keuschheitsidealen verhafteten, römisch-katholischen Kirche, die mit diesem frauenfreundlichen und seine Sexualität lebenden Menschen Jesus von Nazaret nichts anfangen kann. Das ist aber – Gott sei Dank – Vergangenheit und taugt gerade noch als Stoff für Kirchen-Krimis.