Wir bringen die Bibel ins Gespräch

Von Dornbüschen, Feigenbäumen und Berufenen   

Peter Zürn zu Ex 3,1–8; 2.13-15 und Lk 13,1–9 in: Dein Wort. Mein Weg. Zeitschrift für Bibel im Alltag 2/2010, S. 25-28.

Der Lesungstext erzählt die Berufung des Mose und stellt eine Frage, die mir vertraut ist: Bin ich – so wie ich bin – nicht völlig überfordert mit meiner Berufung?


Mit Israel lesen
Ich gehe Vers für Vers durch den Text. Eine Form der Bibelauslegung, wie sie im Judentum gepflegt wird.
Ex 3,1: Moses ist Hirte – unspektakulärer Alltag und zugleich Verweis auf seine spätere Aufgabe. Er ist aus Ägypten geflohen, wo er zum Mörder wurde (Ex 2,11). Midian ist ein Fluchtpunkt. Hier kann er wieder zum Menschen in Beziehung werden, zum Ehemann, Schwiegersohn, Vater. Midian eröffnet Raum dafür, dass «eines Tages» etwas Neues geschieht. Nicht aus Not, nicht durch Zwang, nicht logisch, sondern geradezu verspielt und unbeschwert. Etwas führt Moses in die Wüste – in der Bibel oft Ort wesentlicher Erfahrungen. Sie macht erfahrbar wie zerbrechlich und kostbar das Leben ist. In Ex 3 ist sie das Gegenbild zu Ägypten, wo man ein Dach über dem Kopf und genug zu essen hat – zum Preis von Unfreiheit. Moses geht den Weg aus Ägypten in die Wüste und kommt zum Gottesberg. Er geht die Wege voraus, die später das Volk mit ihm gehen wird. Er erlebt verdichtet, wozu alle herausgefordert und berufen sind.
3,2–3: Das hebräische Wort für Dornbusch, senä, schlägt als Wortspiel den Bogen zu den Ereignissen am Sinai. Der Dornbusch ist Bild für die geheimnisvolle Gegenwart Gottes an diesem Ort. Eine Macht, die nicht von Zerstörung lebt. Gleichzeitig kann sich auch Moses im dürren Gestrüpp wiedererkennen: Dürre und Fruchtlosigkeit beschreiben auch seine Situation: ein Mörder auf der Flucht, ein Hirte fremder Schafe. Andererseits bildet der brennende und nicht verbrennende Dornbusch seine Sehnsucht ab: für etwas begeistert und entflammt zu werden und dabei nicht auszubrennen.
3,4: Mose hört seinen Namen. Im Namen kommt nach altorientalischem Verständnis das Wesen eines Menschen zum Ausdruck. Er ist der Entwurf oder das Programm eines Lebens. Mose wird bei seinem Namen gerufen. Er ist gemeint, persönlich, unverwechselbar, unersetzlich. Der Name steht für die Person als Ganze. Es geht ums Ganze. Mose antwortet auf den Ruf schlicht: «Hier bin ich!» Das heisst: Ich bin präsent mit allem, was war und ist und werden kann.
3,5: Mose geht nicht ganz zum Dornbusch hin. Ein Zwischenraum bleibt. Das Göttliche, das er in Beziehung erfährt, entzieht sich ihm zugleich. Gott bleibt unverfügbar, Geheimnis. Letztlich ist das das Geheimnis jeder Beziehung: einander nahe kommen und sich dabei unverfügbar lassen. Moses wird angewiesen, die Schuhe auszuziehen. Ein jüdischer Rabbi verknüpft das mit dem späteren Auftrag: Nur wer barfuss geht, kann die kleinen Steine unter den Füssen spüren. Nur wer die kleinsten Sorgen der Nächsten spürt, ist fähig, Menschen im Leiden beizustehen und sie daraus zu befreien.
3,6: Moses’ Geschichte verbindet sich mit der seiner Vorfahrinnen und Vorfahren. Sein Gott ist auch ihr Gott. Leider spricht der Text nur von den Vätern. Selbstverständlich gehören auch die Mütter zu dieser Geschichte, von denen die Bibel ja ausführlich erzählt: Sara und Hagar, Rebekka, Lea und Rahel. Mose steht in einer langen Tradition, muss nicht völlig neu anfangen. Er kann darauf zurückgreifen, dass sich der Glaube an diesen Gott bewährt hat. Mose ist Teil einer grösseren Geschichte. Er darf und soll an dieser Geschichte anknüpfen. Das gehört zu seiner Berufung.
3,8: Not – Schrei – Hören – Rettung. In Ex 3 wird ein liturgisches Ritual sichtbar, wie es auch in den Klagepsalmen (z.B. Ps 13; Ps 17; Ps 18,5 ff.) Gestalt angenommen hat. Moses wird an die Realität seines Volkes erinnert, die er hinter sich gelassen hatte. Seine Geschichte holt ihn ein. Die Begegnung mit dem Gott der offenen Sinne öffnet sie auch ihm. Elend wird sichtbar, Klagen werden hörbar. Gleichzeitig hört Mose eine Verheissung. Der Weg in ein neues Land, anderes Leben, wird erkennbar.
Ab 3,10 folgt die Geschichte dem Schema biblischer Berufungsgeschichten: Erscheinung – Auftrag – Bedenken – Beseitigung der Bedenken – Bekräftigung durch Zeichen. Im Fall von Moses wird das voller Details und nicht ohne Ironie entfaltet (3,11– 4,17). Seine Einwände lauten: Wer bin ich denn? Wer bist du denn eigentlich (was ist dein Name?) Man wird mir nicht glauben. Ich kann nicht reden. Und dann der Klassiker: Kann nicht ein anderer? Die Psychologie erkennt hier den typischen Verlauf von Reifungsprozessen. Sie sind geprägt vom Wechsel zwischen Anruf und Angst, Auftrag und Zweifel, mangelndem Selbstvertrauen und Selbstannahme. Die Mosesgeschichte fragt: Kann Gott einen unvollkommenen, fehlerhaften Menschen berufen, ohne ihn zu überfordern? Kann ich in meiner Schwäche und Unzulänglichkeit von Gott in Dienst genommen werden? Kann das Göttliche in einem Dornstrauch aufleuchten? Gott hat viel Geduld, geht auf alle Einwände ein und gibt sich in einem Namen zu erkennen, der bleibende Beziehung verspricht. Für Moses heisst das: «Ich-bin-da bei dir, so wie du bist.» Und Gott stellt ihm seinen Bruder Aaron zur Seite. Moses ist verbunden mit Brüdern – und Schwestern. Im Talmud heisst es: «Drei gute Fürsorger standen Israel bei. Diese sind’s: Mose, Aaron und Mirjam. Und drei gute Gaben wurden ihretwegen gegeben. Und diese sind’s: Der Brunnen, die Wolke und das Manna; der Brunnen Mirjam zuliebe (Ex 17,1–7), die Wolkensäule Aaron zuliebe (Ex 13,21) und das Manna Mose zuliebe (Num 11, 4–9; Ex 16,13–36) (Taanit 9a)
3,14-15: Im altorientalischen Kontext ist die Frage nach dem Namen eine Frage nach dem Wesen des Gegenübers. In der Antwort an Mose gibt Gott sein Wesen als etwas Dynamisches zu erkennen, die dauerhafte, verlässliche Gegenwart und Beziehung. Der Name ist Programm eines Lebens, hiess es damals. Also bedeutet der Name Gottes die bleibende Zusage, dass wir zur Befreiung aus versklavenden Verhältnissen berufen sind und dass uns das Land, in dem Milch und Honig fliessen, verheissen ist. Der Name Gottes ist das bleibende Exodusereignis. Den Namen Gottes auszusprechen und anzurufen, heisst von befreienden und erlösenden Erfahrungen erzählen. In der Auseinandersetzung mit Gott, beispielsweise in den Psalmen, haben Menschen immer wieder Gott auf seinen Namen behaftet, wenn es ihnen schlecht ging. «Denn was taugt eine Gottheit, von der nichts zu sehen, nichts zu hören, nichts zu spüren ist?»(Silvia Schroer). Gott hat einen grossen Namen, wenn Menschen das Leben haben und es in Fülle haben.

Mit der Kirche lesen
Das Evangelium beginnt als Drohbotschaft: Die Verknüpfung mit der alttestamentlichen Lesung macht daraus eine Frohbotschaft. Die Leute, die zu Jesus kommen, sind Überlebende. Sie sind nicht von Pilatus ermordet, nicht vom einstürzenden Turm erschlagen worden. Dabei sind sie nicht besser oder schlechter als die Toten. Sie sind ganz normale Menschen, mit ihren Grenzen, ihrer Schuld, ihren Sünden. Aber auch mit ihren Möglichkeiten das Leben zu gestalten, mit ihrer Freiheit, in diese oder jene Richtung zu gehen. Es sind Menschen auf der Suche nach ihrer Berufung. Der Dornbusch in der Wüste – der Feigenbaum im Gleichnis: Bilder für Menschen angesichts ihrer Berufung? Bin ich wirklich berufen angesichts meiner Unzulänglichkeiten? Kann das Göttliche in einem Dornstrauch aufleuchten? Kann ein Feigenbaum, der seit Jahren nur Platz wegnimmt und den Boden auslaugt, doch noch Früchte bringen?

Peter Zürn

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