Wir bringen die Bibel ins Gespräch

Mit hörendem Herzen unterscheiden   

Peter Zürn zu 1 Kön 3,5.7-12 und Mt 13,44-52 in: Dein Wort. Mein Weg. Zeitschrift für Bibel im Alltag 3/2011, S. 26-27.

Dem König Salomo erscheint Gott im Traum und fragt: «Was soll ich dir geben?» Salomo wünscht sich ein hörendes Herz, damit er Recht sprechen und gut und böse unterscheiden kann. Was folgt – «das Wort war gut in den Augen Gottes» – verweist auf die Schöpfungsgeschichten der Bibel. «Gott sah, dass es gut war» heisst es mehrfach in Gen 1. Salomos Wunsch entspricht der Schöpfungsordnung Gottes. Aber was ist mit dem Unterscheiden von gut und böse? Kommt darin nicht gerade der Bruch mit der Schöpfungsordnung zum Ausdruck? Eva und Adam essen vom Baum der Erkenntnis von gut und böse, obwohl Gott ihnen geboten hatte, genau das nicht zu tun. Hier, im ersten Buch der Könige, ist es gut in den Augen Gottes, dass ein Mensch gut und böse unterscheiden möchte. Ein Widerspruch? Gibt es einen Unterschied zwischen der Erkenntnis von und der Unterscheidung zwischen gut und böse? Das Unterscheiden zwischen Verschiedenem ist das typische Wirken Gottes bei der Schöpfung. Gott unterscheidet zwischen Licht und Dunkelheit, zwischen Wasser oberhalb und Wasser unterhalb des Gewölbes, zwischen Wasser und Land und zwischen all den Lebewesen nach ihrer Art. Unterschiede machen, differenziert wahrnehmen, ist Schöpfungshandeln. Ist die Erkenntnis von Gut und Böse etwas Anderes? Gar etwas Gegensätzliches?

Adam erkannte Eva

Das Wort «erkennen» gebraucht die Bibel auch für die intime Beziehung zwischen Menschen. «Adam erkannte Eva und sie gebar» heisst es in Gen 4,1. Im Erkennen liegt ein Anerkennen gegründet: das Anerkennen des Anderen, des Verschiedenen, das miteinander – und nur miteinander – fruchtbar sein kann. Aber dass es neben dem Guten auch gleichberechtigt das Böse gibt, das soll in Gottes guter Schöpfung nicht anerkannt werden. Das Leben entsteht nicht aus dem Miteinander von gut und böse. Das Leben ist kein ewiger Kreislauf von gut und böse, auch wenn es so scheint, vor allem beim Blick auf die Menschheitsgeschichte. Nein, der Glaube an den Gott der Schöpfung und der Befreiung, der Glaube an den Gott der Bibel, ist die radikale Absage an den Sinn des Bösen und an das unabänderliche Schicksal. Dieser Glaube erkennt das Böse neben dem Guten nicht an. Es soll nicht sein und es muss nicht sein.

Gott ist anders

Gott ist anders. Die Schöpfung ist anders, das Leben des Menschen kann anders sein. Damit diese andere Möglichkeit des Lebens nicht vergessen geht und damit sie das Zusammenleben von Menschen prägen kann, braucht es die Unterscheidung, zwischen gut und böse. So kann Recht gesprochen und Gerechtigkeit geschaffen werden. Darum bittet Salomo. Damit diese andere Möglichkeit des Lebens nicht vergessen geht und damit sie das Zusammenleben von Menschen prägen kann, braucht es Geschichten davon und Bilder dafür. Bilder für den Himmel auf Erden und wie er mitten unter uns werden kann. Bildworte wie in den Gleichnissen Jesu. Zum Beispiel das vom Schatz im Acker und der kostbaren Perle und den Menschen, die Schatz und Perle erkennen. Der Schatz im Acker kehrt den Fluch der Vertreibung aus dem Paradies um. Der Ackerboden gibt seine Schätze frei, ganz ohne Schweiss und Mühe. Das daran anschliessende, eher unbekannte Gleichnis führt zurück zu Salomo: «Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Netz, das man ins Meer warf, um Fische aller Art zu fangen. Als es voll war, zogen es die Fischer ans Ufer; sie setzten sich, lasen die guten Fische aus und legten sie in Körbe, die schlechten aber warfen sie weg» (Mt 13,47-48). Die Unterscheidung zwischen gut und böse dient dem Himmel auf Erden, dem guten Leben in Fülle. Salomo bittet um ein hörendes Herz. Das Herz ist in der Bibel der Sitz des Verstandes. Ein hörendes Herz ist ein Verstand, der differenziert wahrnimmt. Der hört, dass es auch ganz anders sein kann.

Peter Zürn

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