Wir bringen die Bibel ins Gespräch

«Beschäftigung mit der Bibel hat etwas Subversives»   

Dieter Bauer, Leiter des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks, im Interview mit Stephan Landis, Reformierte Presse Nr. 49 / Dezember 2010

Reformierte Presse: Zum Katholischen Bibelwerk gehört eine Bibelpastorale Arbeitsstelle. Das klingt ziemlich katholisch, oder nicht?

Dieter Bauer: Das ist mir noch nie aufgefallen. Es heisst einfach «Pastoral», weil wir für die Gemeinde arbeiten. Da muss man ja nicht gleich an «Schäfchen» denken. Insofern sind unsere reformierten Pendants weniger die Bibelgesellschaften, denen es ja um das Übersetzen und Vertreiben von Bibeln geht. Wir aber sind in der Erwachsenenarbeit tätig. Und unsere Partner sind darum eher Fachstellen für Weiterbildung und Theologiekurse.

Aber gibt es nicht konfessionelle Unterschiede? Sie selber haben von Katholiken gesagt: «Wer eine Bibel zu Hause hatte, galt als Protestant.» Stimmt das Klischee noch: Protestantische Kirche des Wortes, katholische Kirche des Amtes?

Da ist schon was dran. Wenn ich jemandem sage, ich arbeite beim Bibelwerk, höre ich immer noch: «Dann sind Sie also Protestant.»

Hat Ihre Arbeit bei der Kirchenleitung einen schweren Stand?

Die Beschäftigung mit der Bibel hat immer und seit jeher etwas Subversives. Alle kirchlichen Erneuerungsbewegungen gehen auf eine neue Rückbindung an die Bibel zurück. Das Zweite Vatikanische Konzil etwa wäre ohne diese Rückbesinnung nicht zu denken. Das Konzil hat zum Beispiel den «Bibelfrühling» eines Stuttgarter Katholikentags 1964 ermöglicht und ein neues Denken gebracht. Leider aber hat bereits das Konzil selbst schon wieder manche Kompromisse geschlossen und auch die Kritiker einer zu starken biblischen Rückbindung gestärkt. Das hat sich auch später noch mehrmals wiederholt: Die Weltbischofssynode zur Bibel von 2008 hat zum Beispiel einerseits darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, dass die Leute zusammensitzen und die Bibel lesen. Gleichzeitig aber warnt sie vor protestantischen Zügen und Sektierertum.
Ähnliche Ängste gibt es übrigens auch bei den heutigen Protestanten. Da bilden sich seltsame Koalitionen zwischen Evangelikalen und manchen Katholiken in Richtung auf einen voraufklärerischen Umgang mit der Bibel. Alpha-Kurse werden ja auch für Katholiken propagiert.

Sie haben an Ihrem Jubiläumskongress im September in Visp kritische Thesen zur Bibelpastoral der Zukunft formuliert (www.). Sind sie bei der Kirchenleitung angekommen?

Erstens stammten die Thesen nicht von uns, sondern von der Weltbischofssynode selbst. Und traurigerweise werden sie wohl eher nicht rezipiert. Die Bischöfe scheinen andere Probleme zu haben als die Bibel. Auch in der Bischofskonferenz ist das Thema Bibel nicht verankert. Wir versuchen zum Beispiel seit Jahren einen Ökumenischen Bibelsonntag durchzusetzen – chancenlos. Bei den Reformierten ist es übrigens das selbe.
Als Verein sind wir zwar relativ unabhängig, weil wir Mitgliederbeiträge haben. Trotzdem sind wir angewiesen auf die Unterstützung durch die Römisch-Katholische Zentralkonferenz der Schweiz. Dort ist immerhin anerkannt, dass wir unverzichtbare Arbeit für die Schweizer Kirche leisten.

Der Jubiläumskongress hat Maria von Magdala offiziell zur Patronin der Bibelpastoral ernannt. Typisch katholisch?

Ja, und nein. Der Bezug auf eine Heilige ist typisch katholisch und ein Weg, etwas Wichtiges rüberzubringen. Wir wollten ein wichtiges Thema in unserer Kirche besetzen, z. B. die Verkündigung durch Frauen und unseren Umgang mit Randständigen. Aber natürlich ist das auch subversiv: Man muss manchmal die Einfalt der Taube mit der Klugheit der Schlange verbinden.

Katholiken haben den Umgang mit Autoritäten gelernt, und die Reformierten?

Manchmal ist es einfacher, mit einer Autorität umzugehen, die klar benennbar ist, als mit einer, die sich versteckt. Wir haben Bischöfe und einen Papst, die Reformierten haben deren viele. Da bin ich lieber katholisch.

Die Bibellektüre ist doch auch unabhängig von der Konfession gefährdet. Das Medium Buch hat einen schweren Stand. Wie sehen Sie da die Situation?

Die Plausibilität, Bücher zu lesen, nimmt tatsächlich ab. Andererseits hat die Bibellektüre für Katholiken noch immer den Reiz des Neuen. Reformierte hingegen meinen oft bereits genau zu wissen, was drinsteht. Katholiken drängen nach meiner Erfahrung bei Bibelarbeiten eher darauf, genau auf den Text zu sehen.

Sind Sie grundsätzlich pessimistisch?

Das kommt darauf an. Ich bin fest überzeugt, dass das Christentum ohne Rückbindung an die Bibel keine Zukunft hat. Die Bibel hat das Potenzial für eine Erneuerung. Kirchliche Tradition, katholisch wie reformiert, transportiert hingegen oft nur Asche statt des Feuers. Es wäre deshalb wichtig, dass die Kirchen gerade bei der Arbeit mit der Bibel zusammenspannen.

Wie sehen Sie den Ertrag Ihres Jubiläumsjahres?

Wir haben viel Öffentlichkeit mobilisieren können. Überall haben Leute die Bibel zum Thema gemacht. Wir hatten Kino, literarische Veranstaltungen, biblische Kunstausstellungen in Appenzell und Wislikofen AG. Da haben wir einiges investiert. Weitere Wirkungen erhoffe ich mir vom Kongress in Visp. Da waren wichtige Leute, auch Reformierte, die überrascht waren, was dort lief. Und es gab eine internationale Vernetzung. Zum Beispiel waren Kollegen aus Luxemburg anwesend, die einen unglaublichen Freiraum und die Rückendeckung der Kirchenleitung für ihre biblische Arbeit haben. Bei uns müssen nicht einmal «eineinhalb» Theologen die ganze Arbeit für die Deutschschweiz leisten. Da sind wir doch sehr auf Ehrenamtliche Bibelbegeisterte angewiesen.

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