Wir bringen die Bibel ins Gespräch

Nicht einfach narbenlos – Nachgang zur neu formulierten Karfreitagsbitte   

Zur Wirkung eines Zitates der Woche: Horizonte 15-16/2008

«Auch wenn die von Benedikt XVI. wieder zugelassene tridentinische Liturgie von sehr wenigen Menschen gefeiert wird: diese wenigen Menschen haben an Karfreitag eine Fürbitte gebetet, die zwar in ihrer antisemitischen Aussage abgeschwächt wurde, deren Inhalt für uns aber nicht akzeptabel ist.» Mit diesen Worten drücken auch Tage nach Ostern Aargauer Seelsorgende ihre Sorge aus.

So zum Beispiel Monika Lauper-Keller, Spitalseelsorgerin am Kantonsspital Baden (KSB) und bei den Psychiatrischen Diensten in Königsfelden, Karin Klemm, Spitalseelsorgerin am KSB, Stephan Lauper, Leiter Fachbereich Solidarische Welt, Hans Niggeli, Gemeindeleiter in Oberrohrdorf, Peter Zürn, Theologe und Erwachsenenbildner. Und sie ergänzen: «Wir setzen uns dafür ein, dass antisemitische Interpretationen in unserer christlichen Tradition erkannt und überwunden werden, damit das Bewusstsein der Geschwisterlichkeit wachsen kann.»

Unmissverständlich darum beim ökumenisch gefeierten Karfreitag im Kantonsspital Baden die Fürbitte, formuliert vom reformierten Seelsorger Jürg Blösch: «Wir bitten für all die Menschen in dieser Welt, deren Leid in Vergessenheit zu geraten droht. Insbesondere für unsere jüdischen Mitmenschen, deren Wunden aus der unmenschlichen Verfolgungszeit nicht einfach narbenlos zuheilen. Sie mögen erleben, dass ihr menschengemachtes Schicksal gewürdigt und niemals vergessen wird.»

Dies fordert auch die Christlich-Jüdische Arbeitsgemeinschaft (CJA) im Aargau. Die beanstandete Karfreitagsbitte sei ein «Rückschritt» und ein «Hindernis für die Fortsetzung des christlich-jüdischen Gesprächs». Dialog sei «nur möglich unter gleichberechtigten Partnern».

Zum Hintergrund: Nach der Wiederzulassung der tridentinischen Liturgie Mitte 2007 wurde bereits Kritik laut, weil damit die Karfreitagsbitte von 1962 wieder in Geltung kam. Daraufhin hat der Papst am 4. Februar 2008 eine korrigierte Form vorgelegt. Diese lautet: «Lasst uns auch beten für die Juden, auf dass Gott unser Herr ihre Herzen erleuchtet, damit sie Jesus Christus erkennen, den Retter aller Menschen (...). Allmächtiger, ewiger Gott, der Du willst, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Gewähre gnädig, dass beim Eintritt der Fülle aller Völker in Deine Kirche ganz Israel gerettet wird (...)»

Käthi Frenkel, Vorsitzende der CJA Aargau, schreibt dazu in einer Stellungnahme: «Zwar werden in dieser Formulierung die Juden nicht mehr als ´perfid´ und ´verblendet´ bezeichnet, dennoch stellt sich die Frage, ob nicht die hinter der Formulierung stehende Grundeinstellung letztlich die gleiche ist: Die jüdische Identität wird aus christlicher Sicht in Frage gestellt und ihr spezifischer Wert – auch für Christinnen und Christen – nicht anerkannt.» Dagegen bezeichnet die Karfreitagsfürbitte des 1970 approbierten und bis heute grossmehrheitlich gefeierten Ritus die Juden quasi als «grosse Geschwister» im Glauben: «Lasst uns auch beten für die Juden, zu denen Gott, unser Herr, zuerst gesprochen hat: Er bewahre sie in der Treue zu seinem Bund und in der Liebe zu seinem Namen, damit sie das Ziel erreichen, zu dem sein Ratschluss sie führen will (...). Allmächtiger, ewiger Gott, du hast Abraham und seinen Kindern deine Verheissung gegeben. Erhöre das Gebet deiner Kirche für das Volk, das du als erstes zu deinem Eigentum erwählt hast: Gib, dass es zur Fülle der Erlösung gelangt.»

Peter Zürn weist als Anregung für den weiteren Weg hin auf ein «Zitat der Woche» auf www.bibelwerk.ch: «Die Bibel bringt mit ihrer eigenen Logik das zusammen, was für unser Denken immer auseinander fällt: die Auserwähltheit des einen Volkes und die Berufung der Heiden, das Wirken Gottes und die Verantwortung der Menschen, Gottes Allmacht und die Zeit des Bösen, Gottes Liebe und sein Gericht. Seit vielen Jahrhunderten sind wir dabei, jeweils nur die eine Seite dieser scheinbaren Gegensätze herauszukehren und die andere zu kappen. Unsere einzige Chance: Noch einmal versuchen, sich auf die Logik der Bibel einzulassen.»

Carmen Frei

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