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Karl-Josef Kuschel, Juden – Christen – Muslime. Herkunft und Zukunft   

Buch des Monats Februar 2008

«Ein mustergültiges Buch zum interreligiösen Gespräch» nannte Norbert Copray in seiner Besprechung in Publik Forum (19/2007) das Buch von Karl.Josef Kuschel, dem Professor für die Theologie der Kultur und des interreligiösen Dialogs in Tübingen und schloss mit dem Satz: «Es hat das Zeug zu einem Standardwerk». Der positiven Bewertung des Buches für den interreligiösen «Trialog» zwischen Juden, Christen und Muslimen schliesse ich mich denn auch gerne an. Ich möchte im Folgenden besonders auf ein zentrales Anliegen des Buches eingehen, nämlich die gegenseitige, «trialogische» Auslegung der Heiligen Schriften in den drei Buchreligionen (zu den Konsequenzen eines solchen Ansatzes etwa für die theologische Ausbildung vgl. Zitat der Woche 7/2007). Gerade im Blick auf das BPA-Projekt der Lesungsauslegungen in der SKZ, bei dem wir altestamentliche Texte «mit Israel lesen», entnehme ich dem Buch wesentliche Anregungen und Perspektiven.

Kuschels vernetztes interreligiöses und trialogisches Denken hat drei Grundlagen:

  • die innere unauflösliche Beziehung der drei Religionen
  • die Theologie des Anderen nicht nur als «Anders-Gläubigen», sondern als «Anders-Gläubigen» (S. 25)
  • und die Orientierung an den Quellen der Religionen

Daraus ergeben sich entscheidende Fragen und Grundhaltungen:
«Was bedeutet das muslimische und jüdische Glaubenszeugnis für mich als Christen und meinen Christusglauben? Was bedeutet das Leben mit der Tora angesichts des christlichen und muslimischen Glaubenszeugnisses? Was bedeutet eine Lebensordnung im Lichte des Korans angesichts der Tatsache, das Christen und Muslime den einen und wahren Gott je anders bezeugen? Grundvoraussetzung für vernetztes Denken ist somit ein Nachdenken darüber, warum Gott für die Menschen diesen und nicht einen anderen Weg gewählt hat. Warum er die Existenz dieser drei Religionen miteinander, gegeneinander, jedenfalls nicht ohneeinander wollte» (S. 73f)

 

Mit dem Blick auf die Heiligen Schriften der drei Religionen klärt Kuschel zunächst kurz und prägnant die Voraussetzungen: den unterschiedlichen jüdischen und christlichen Kanon, die Tradition der jüdischen und christlichen Koranlektüre sowie die Art wie der Koran die ihm vorausgehenden Überlieferungen liest.
Den Hauptteil des Buches (S. 114-625) bilden vier thematische Durchgänge durch die Heiligen Schriften. Sie orientieren sich an den grundlegenden Gestalten Adam, Noach, Mose, Maria und Jesus sowie Abraham. Die vier Durchgänge sind mit einer Ausnahme jeweils gleich strukturiert:
In einem ersten Schritt benennt Kuschel, welche menschlichen «Urformen» oder «Urnormen» des menschlichen Lebens für ihn in dieser Gestalt zum Ausdruck kommen (Thomas Manns Josephromane stehen hierfür Pate). Ein zweiter Schritt zeigt die Spiegelungen dieser Urstoffe im Koran, daran schliesst sich die Ausarbeitung der jüdischen und schliesslich der christlichen Tradition an. Leitfrage ist hier jeweils: Was hat die jeweilige Religion als spezifisch Eigenes in de Trialog einzubringen? In einem letzten Schritt werden die aktuellen Folgerungen für den Trialog im Kontext der heutigen globalen Welt gezogen. Die Ausnahme von dieser Struktur bildet der Teil über Jesus und Maria. Hier besteht der erste Schritt in einer Darstellung der belasteten Geschichte der jüdisch-christlichen Beziehung und von neueren jüdischen Annäherungen an und Distanzierungen von Jesus (Jacob Neusner).
Am meisten Raum wird in den einzelnen Teilen der koranischen Tradition eingeräumt, einzelne Suren werden im Wortlaut abgedruckt und interpretiert. Die Kapitel über die jüdische Tradition sind sind eher kurz gehalten. Das spezifisch Jüdische an der Mosesgestalt wird stark durch die Auseinandersetzung mit dem Ägyptologen Jan Assmann und dem Literaten Thomas Mann geprägt. Hier hätte ich mir mehr Raum für die rabbinische Auslegungstradition gewünscht. Die ist allerdings in der Auseinandersetzung mit Adam oder Noach gut vertreten. In der Beschäftigung mit Abraham werden die Ansätze von Irving Greenberg («der offene Bund») und von Abraham Joshua Heschel («Keine Religion ist ein Eiland») vorgestellt.
In diesem Kontext ist auch die Darstellung des Dokumentes «Dabru emet – Redet Wahrheit» als positives Zeichen für vernetztes interreligiöses Denken aus jüdischer Perspektive und der berührende persönliche Epilog mit Erfahrungen in Cordoba zu erwähnen. Das Literaturverzeichnis ist exzellent aufbereitet und weiterführend. Genauso hilfreich ist das Personenregister.

Das gesamte Buch von Karl-Josef Kuschel stellt eine grosse Herausforderung dar, die Heiligen Schriften von Judentum, Christentum und Islam gegenseitig, trialogisch zu lesen und auszulegen und ist eine richtungsweisende Begleitung auf diesem Weg. Vielleicht ist die Fortsetzung unserer Auslegungsreihe «mit Israel lesen» hier schon grundlegend entworfen. Neben der Ausweitung auf die muslimische Tradition, zu der Kuschel anregt und die er mit grosser Kenntnis vollzieht, bedarf es aber einer weiteren Ausweitung: auf Frauengestalten in den Heiligen Schriften und auf die feministischen bzw. genderorientierten Auslegungstraditionen. Kuschels Buch ist sehr männerzentriert ohne dass das näher reflektiert wird.

Peter Zürn

Karl-Josef Kuschel, Juden – Christen – Muslime. Herkunft und Zukunft, Patmos Verlag Düsseldorf 2007, 680 S., Euro 29,90 CHF 49,90, ISBN 3-491-72500-3

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