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Drei «ungläubige Thomasse» schreiben ein Jesusbuch: Armin Maiwald, Dieter Saldecki, Peter Brandt, Jesus, Jeschua, Iesous   

Buch des Monats Oktober 2007

Jeden Sonntag um 11.30 Uhr ertönt bei uns zuhause die unverkennbare Melodie der «Sendung mit der Maus» mit ihren Lach-und Sachgeschichten. Und jeden Sonntag lerne ich dabei etwas über die Welt, in der ich lebe: Warum das Meer blau ist oder wie die Bleistiftminen in die Bleistifte kommen oder... Jetzt haben Armin Maiwald, einer der Miterfinder der Maus und Dieter Saldecki, der 30 Jahre lang an den Sachgeschichten der Sendung mitgearbeitet und früher einmal Theologie studiert hat, ein Buch über Jesus geschrieben. Der dritte im Bunde ist der Fotograf und Kameramann Peter Brandt, der einen Erfahrungsbericht über das Leben in der Wüste beisteuert. Und wieder lerne ich etwas. Zum Beispiel, dass Jesus Gleichnisse auf die selbe Art erzählt, wie in der Sendung mit der Maus die Sachgeschichten erzählt werden. Mit den ersten drei Sätzen bzw. den ersten 30 Sekunden müssen die Zuhörenden bzw. Zuschauenden so neugierig gemacht werden, dass sie unbedingt mehr erfahren wollen. Danach kann das Thema weiter entfaltet werden bis zum ersten «Gipfel» oder erstaunten Aha! «Anschliessend lässt man den überraschten Zuhörer bzw. Zuschauer Atem holen – und nimmt ihn dann mit bis zum zweiten und letzten Höhepunkt des Gleichnisses oder der Sachgeschichte» (S. 100f., die Theorie wird aufgezeigt am Gleichnis vom verlorenen Sohn).

Was mich an diesem Jesusbuch beeindruckt, sind eben die Qualitäten, die ich auch an der Sendung mit der Maus schätze: an dem anzusetzen, was in der Lebenswelt von Kindern eben so vorkommt ( «Das Kreuz mit diesem Jesus dran»), der Neugier zu folgen und direkte Fragen zu stellen («Wie ist das nun mit Weihnachten?»), komplexe Sachverhalte nachvollziehbar darzustellen (zum Beispiel die Frage an welchem Tag das letzte Abendmahl stattfand auf dem Hintergrund des jüdischen Mondkalenders), die Bereitschaft sich und den Lesenden (ab 10 Jahren) auch Schwieriges zuzumuten und zuzutrauen (etwas Details über jüdische und römische Prozessordnungen) und die unverkrampfte, lockere, aber trotzdem verbindliche Sprache («Wie das Kind zur Jungfrau kam»).
Eigentliche Hauptpersonen des Buches sind die vier Evangelisten («die siegreichen Vier») mit ihren vier unterschiedlichen Geschichten von Jesus. Ihre unterschiedlichen Zielgruppen und Absichten werden vorgestellt und immer wieder verglichen. Bei der Rückfrage, was historisch wohl wirklich passiert ist, werden jeweils verschiedene Möglichkeiten diskutiert und auf ihre Wahrscheinlichkeit hin bewertet. Das kommt nicht belehrend daher, sondern lädt zum Selberdenken ein. Entscheidend ist die Wahrnehmung der Evangelien als «gute Geschichten».

Das Buch endet mit einem Kapitel über Pfingsten und Auferstehung in Form einer Predigt. Diese Pfingstpredigt, von Dieter Saldecki 2006 in der evangelischen Gemeinde Emsdetten gehalten, macht die Position deutlich, aus der heraus das Buch geschrieben ist. Es ist die Position des «ungläubigen», besser des zweifelnden, des kritisch nachfragenden Thomas. Sie ist auch Leitfigur für die angesprochenen Leserinnen und Leser: «Menschen, die jede Autorität nachdenklich befragen, bevor sie sich auf ihr Angebot einlassen. «Ungläubige», die suchen, weil sie keine ewigen Wahrheiten besitzen. Brauchen wir nicht gerade sie in unseren Religionen? In jeder Kirche, in jeder Schule, in jedem Kindergarten? Bei uns! Im Nahen Osten? Weltweit?!» (S. 148). Meine Antwort auf diese Fragen ist ein klares JA. Noch mehr als danach auch noch Raum ist für eine zweite Botschaft in der Geschichte vom «ungläubigen Thomas», für ein berührendes Bekenntnis zur Fähigkeit, der Wahrheit, auch der bittersten ins Auge zu sehen. «Das Unabänderliche anzunehmen, nur das schafft die Freiheit neu anzufangen.» (S. 148).

Das Buch ist sehr schön und aufwendig ausgestattet, mit Bildern aus der Kunstgeschichte, mit Zeichnungen und Karten und mit farbig abgesetzten Kästchen mit Fakten und Informationen.
Ein besonderes, beinahe bibliodramatisches Element sind 4 Texte in Ich-Form von David, der von seinem Kampf gegen Goliath erzählt; von Isaak, der als alter Mann auf den Schrecken zurückblickt als sein Vater ihn beinahe geopfert hätte; von Josef, der nach der Geburt des dritten Kindes mit Maria nach Jerusalem zieht, um im Tempel zu opfern; und von Tobias, dem Zwillingsbruder des Thomas, der nicht wie sein Bruder zum Jünger Jesu wurde.

Streiten kann man sicherlich über die ausführlich dargestellte These von der Nähe Jesu und seiner Jünger zum bewaffneten Widerstand gegen die Römer, die sich durch das ganze Buch zieht. Sie wird allerdings überzeugend begründet und entfaltet, wirkt auf mich aber insgesamt etwas zu dominant und monokausal. Dadurch geraten auch die Evangelien, die zunächst in ihrer jeweiligen Eigenart dargestellt und als gute Geschichten gewertet werden, immer mehr in den Generalverdacht, diesen politischen, antirömischen Jesus verschweigen zu wollen, um das christliche Leben unter der Herrschaft des römischen Imperiums nicht zu belasten. Und noch schärfer: die Evangelien werden meiner Ansicht nach gegen Ende des Buches zu pauschal als antijüdische Schriften gelesen, die statt der Römer die Juden für den Tod Jesu verantwortlich machen. Da legt das Buch zurecht den Finger auf die dunklen Seiten der Wirkungsgeschichte, ist aber meiner Meinung nach nicht auf dem aktuellen Stand der theologischen und exegetischen Auseinandersetzung – gerade mit Blick auf das Johannesevangelium, dem wenig Positives abgewonnen wird. Auch beim Vergleich verschiedener Übersetzungen eines Bibelverses (die erste Seligpreisung) – grundsätzlich ein begrüssenswertes Element – fehlen leider völlig die aktuellen Übersetzungen (Bibel in gerechter Sprache, Neue Zürcher Übersetzung bei der die Evangelienübersetzungen ja schon vor 2007 publiziert waren).

Trotzdem ein sehr empfehlenswertes Buch für Menschen von 10 bis 99.

Peter Zürn

Armin Maiwald, Dieter Saldecki, Peter Brandt, Jesus, Jeschua, Iesous. Illutrationen von Hauke Koch. Reihe Entdeckungsreisen. Arena Verlag Würzburg 2007, 158 S. CHF 26,90 Euro 14,95. ISBN: 978-3-401-054948-8.

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