Wir bringen die Bibel ins Gespräch

Jüdischer Sabbat – christlicher Sonntag   

Dieter Bauer SKZ 42/2005

«Wenn wir sonntags nicht arbeiten, machen die Japaner das Rennen!» – Was die Karikatur rechts eher humorvoll auf den Punkt bringt, gehört in ähnlicher Form durchaus zu den Argumenten der Befürworter einer Revision des Arbeitsgesetzes in der Schweiz. Der Karikaturist hält dies für einen «Sündenfall» und bringt damit die Bibel ins Spiel.
Nun wird ja die Bibel bekanntlich für alles Mögliche gebraucht – und oft missbraucht. In Bezug auf den Sonntag bzw. den jüdischen Sabbat hat sie allerdings ganz sicher Massgebliches zu sagen.
Immerhin ist das Sabbatgebot eines der Zehn Gebote. Wie wichtig es die Überlieferer der Gebote mit dem Sabbatgebot genommen haben, sieht man daran, dass es – als Einziges innerhalb der «Zehn Gebote» – zwei verschiedene Begründungen erfahren hatte:

Die Erfahrung der Schöpfung Gottes
«Sechs Tage darfst du schaffen und jede Arbeit tun. Der siebte Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott, geweiht. An ihm darfst du keine Arbeit tun: du, dein Sohn und deine Tochter, dein Sklave und deine Sklavin, dein Vieh und der Fremde, der in deinen Stadtbereichen Wohnrecht hat. Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel, Erde und Meer gemacht und alles, was dazugehört; am siebten Tag ruhte er. Darum hat der Herr den Sabbattag gesegnet und ihn für heilig erklärt» (Ex 6,9–11).
Die erste Begründung nimmt Bezug auf das herrliche Schöpfungslied (Gen 1,1–2,4b), das der gesamten Bibel einen ganz eigenen Glanz verleiht. Die Sänger dieses Liedes bestanden darauf, dass diese Welt wunderbar geschaffen sei, in einer wohldurchdachten Ordnung, die jedem Chaos eine Grenze setzt. Ihre Erfahrung sagte ihnen, dass es auch einen Rhythmus von schöpferischem Tun und Ruhe geben muss. Das Recht auf den siebten Tag als Ruhetag ist durch höchste Autorität abgesichert: «Und Gott segnete den siebten Tag und erklärte ihn für heilig; denn an ihm ruhte Gott, nachdem er das ganze Werk der Schöpfung vollendet hatte» (Gen 2,3).

Die Erfahrung gewaltsamer Unterdrückung
Dieses Gebot der Heiligung des Sabbats findet sich innerhalb der Torah ein weiteres Mal, und zwar im Buch Deuteronomium. Als – nach der Erzählung der Mosegeschichte – die Zehn Gebote ein zweites Mal gegeben werden, findet sich überraschenderweise eine neue Begründung für das Sabbatgebot. Nach der fast gleichlautenden Erinnerung des Gebotes fährt der Text fort: «Dein Sklave und deine Sklavin sollen sich ausruhen wie du. Denk daran: Als du in Ägypten Sklave warst, hat dich der Herr, dein Gott, mit starker Hand und hoch erhobenem Arm dort herausgeführt. Darum hat es dir der Herr, dein Gott, zur Pflicht gemacht, den Sabbat zu halten» (Dtn 5,13–15).
Hier wird nicht von der Schöpfungsordnung her argumentiert, sondern sozial: Wer selbst die Erfahrung gnadenloser Ausbeutung und Sklaverei gemacht hat, wird doch dann nicht andere ausbeuten – oder gar sich selbst. Das Sabbatgebot möchte diese Erfahrung der aus Ägypten Befreiten schützen, damit sie nicht – einmal selbst zu Herren im eigenen Land geworden – in dieselben Mechanismen verfallen wie früher ihre pharaonischen Unterdrücker. Man kann es aber auch drastischer formulieren: Wer weiss, was es heisst, pausenlos durcharbeiten zu müssen, wird doch nicht nachher so blöd sein und freiwillig auf einen Ruhetag verzichten – oder ihn anderen nicht gönnen!

Jesus und der Sabbat
Auch Jesus von Nazaret hat den Sabbat – wie alle gläubigen Juden bis heute – heilig gehalten. So heilig, dass er sich deswegen selbst mit besserwisserischen (selbst ernannten) Hütern des Glaubens anlegte – und ziemlich sicher auch mit den Offiziellen. Und er sah sich damit durchaus in Einklang mit dem Gotteswillen. Wie wir aus dem Matthäusevangelium wissen, hat Jesus die Torah sogar sehr ernst genommen: «Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz (= die Torah) und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen» (Mt 5,17). Man kann geradezu sagen, Jesus habe die Auslegung der Torah als eine «Radikalisierung» verstanden, d. h. die Rückführung auf ihre «Wurzeln». Einer der «Spitzensätze », die uns die Evangelien überliefern, ist folgender: «Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat» (Mk 2,27). Interessanterweise fällt dieser Satz in einem Zusammenhang, der gar nicht so besonders aufregend ist: Seine Jünger machen sich des «Mundraubs» schuldig, indem sie die Ähren am Weg abreissen. Sie haben schlicht und ergreifend Hunger. Und sie – und Jesus – sehen nicht ein, warum sie ausgerechnet an einem Sabbat nicht satt werden sollten. Für Jesus – und die Torah – scheint es geradezu ein Grundrecht des Menschen zu sein, dass er sich satt essen kann – mindestens am Sabbat. Für ihn kommt erst so der Wille des Schöpfergottes zu seiner Erfüllung, wenn der Mensch nicht durcharbeiten muss, um seinen Hunger stillen zu können, sondern aufatmen, sein Werk auch einmal geniessen kann.

Vom Sabbat zum Sonntag
Wir Christen feiern etwa seit dem 2. Jahrhundert keinen Sabbat mehr. Der «Herrentag» hat den Sabbat verdrängt. Die Feier der Auferstehung Jesu Christi «am ersten Tag der Woche» ist bereits innerhalb des Neuen Testaments reich belegt. So heisst es in Apg 20,7 anlässlich eines Paulusbesuches in Troas: «Als wir am ersten Wochentag versammelt waren, um das Brot zu brechen . . .», und Paulus legt auch den Spendentermin für die Korinther nach 1 Kor 16,2 auf den ersten Tag der Woche – offensichtlich der Tag, an dem sie zum «Herrenmahl» zusammen kommen.
Trotzdem war der Sonntag noch kein Ruhetag. Erst Kaiser Konstantin (ca. 280–337) erliess entsprechende Gesetze. Und die Begründung für die Sonntagsruhe wurde dem biblischen Sabbatgebot entlehnt. So bringen es die Apostolischen Konstitutionen (spätes 4. Jh.) auf den Punkt: «Den Sabbat freilich und den Herrentag verbringt in Festfreude, weil der eine das Gedächtnis der Schöpfung, der andere dasjenige der Auferstehung ist» (VII,23,3).

Vom Sabbatgebot zum Sonntagsgebot
Mit Geboten ist es ja bekanntlich so eine Sache. Es gäbe sie nicht, wenn ihre Einhaltung eine Selbstverständlichkeit wäre. Und da hat bereits das Sabbatgebot eine besondere Rolle gespielt. Keines unter den zehn Geboten hat eine so ausführliche Begründung erfahren wie eben das Sabbatgebot. Das heisst doch aber, dass es eben nicht selbstverständlich ist, den Sabbat zu halten, und dass «vernünftige Begründungen» nicht ausreichen.
Ganz ähnlich war es mit dem Sonntagsgebot, dessen Übertretung – die Älteren werden sich erinnern – als Todsünde geahndet wurde. Auch wenn heute darum weniger Aufhebens gemacht wird, heisst das nicht, dass der Sonntag deshalb nicht mehr wichtig wäre.
Was heute vielleicht anders ist als früher – und worauf bereits Jesus aufmerksam gemacht hat: Was jeweils «Erfüllung» heisst, ist nicht so ganz einfach gesetzlich zu regeln. Sabbat/Sonntag ist dann für mich, wenn die Schöpfung zu ihrem Recht kommt und ich frei bin von den Abhängigkeiten, die sonst immer mein Leben bestimmen – das wäre Feier der Auferstehung! Das kann in der jeweiligen Praxis sehr unterschiedlich aussehen. Und es erfordert ein feines Gespür von uns allen dafür, was «Leben in Fülle», was «Erlösung», was «Auferstehung» an diesem sehr speziellen Tag heissen könnte. Und ich fürchte fast, wir seien immer noch darauf angewiesen, dass diese Möglichkeiten auch geschützt werden. Nur allzu empfänglich sind wir noch immer für den «Sündenfall».

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Hintergrundliteratur
Eine immer noch gute Einführung in das Thema «Sabbat – Sonntag – Feiertag» bietet das gleichnamige Heft von «Bibel heute 148 (4/2001)». Es kann in einigen Restexemplaren noch bezogen werden bei:
Bibelpastorale Arbeitsstelle SKB, Bederstrasse 76, 8002 Zürich, Telefon 044 205 99 60, info bibelwerk.ch (Fr. 10.– zuzüglich Versandkosten).

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