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Dorothee Sölle, Fulbert Steffensky, Löse die Fesseln der Ungerechtigkeit. Predigten   

Buch des Monats Juni 2005

Dorothee Sölle, Fulbert Steffensky, Löse die Fesseln der Ungerechtigkeit. Predigten, Kreuzverlag Stuttgart 2004, ISBN 3-7831-2522-7, CHF 36,10

Das Buch enthält 42 Predigten von Dorothee Sölle und Fulbert Steffensky. Es bietet einen faszinierenden Einblick in die Predigtpraxis dieses Paares (eine Predigt über Hiob ist ein Dialog zwischen den beiden). Es sind Predigten in ganz verschiedenen Kontexten, bei Trauungen, in einem Trauergottesdienst, beim Seniorenkirchentag, im Gedenkgottesdienst für Oscar Romero, in einem AIDS-Gottesdienst, bei der Semestereröffnung... Das Buch zeigt beide in ihrer kritischen Auseinandersetzung mit biblischen Erzählungen und Texten, die sie in ihrer aktuellen politischen und existentiellen Bedeutung erschliessen: «Einen Bibeltext liest man am besten mit einer Brille, die aus den Nachrichten der Tageszeitung gemacht ist» rät Dorothees Sölle in ihrer Predigt zu Jesaja 58. Ein Verzeichnis der Bibelstellen hilft bei der Suche nach bestimmten Texten, wenn es auch leider nicht sehr übersichtlich gestaltet ist. Das Buch bietet einen tiefen Zugang zu ihrem Ringen mit Gott, gerade mit dem dunklen Gott, dem Ringen um Gott in den Abgründen der menschlichen Existenz. Es ist ein kämpferisches Buch, klar in seinen Optionen, es ist zugleich ein poetisches Buch, ein Buch, das den Reichtum des Lebens, von dem die Bibel spricht, zu Gehör bringt. Es ist ein Gebets- und Segensbuch:«Gib uns die Dreistigkeit mehr zu verlangen
mach uns hungrig nach dir
lehr uns beten: ich lass dich nicht
das kann doch nicht alles sein.
Auf uns wartet ein Segen.»Die Predigten von Sölle und Steffensky sind eine grosse Herausforderung an alle, die selber predigen und sie sind zugleich eine reich gefüllte Schatztruhe. Peter Cornehl beschreibt im Vorwort eine Erfahrung mit Dorothee Sölles Predigten und sieht darin ein Vermächtnis, Vermächtnis im Sinne von Geschenk und Mahnung zugleich. «Gebt euch nicht mit weniger zufrieden!» ruft er den Gemeinden zu.En besonderer Schatz in Fulbert Steffenskys Predigten ist sein Humor. So lässt er uns einer alten Dame im Schwarzseidenen begegnen, die gerührt in alten Briefen und Papieren kramt und dabei auf ihre Geburtsurkunde stösst. Darin liest sie, wie sie angefangen hat und dass sie als junger, wilder Wein gedacht war. Sie liest, dass sie einmal so voll des Geistes war, dass man sie für betrunken gehalten hat. Steffensky fragt nach, was von der wilden Schönheit dieses Anfangs bei der alten Dame Kirche heute noch da ist und wer weiss: «Vielleicht wird der Geist sie ja noch einmal erwischen, dass die draussen denken: Die Alte ist schon wieder besoffen.
Peter Zürn

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