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Ulrich Luz: Das neue Testament – «Wer, Was, Wo» für Einsteiger   

Buch des Monats

Markus Lau – Es begann mit einer Anzeige in einer Lokalzeitung: «Im Ruhestand befindlicher, gleichwohl aktiver Neutestamentler, nicht mehr ganz jung, aber noch tageslichttauglich, sucht Gruppe interessierter Bibelleserinnen und -leser (keine Theologen!) für eine Lesereise der besonderen Art. Gemeinsam mit Ihnen möchte ich eine Exkursion in die Welt des Neuen Testaments unternehmen. Bitte nur ernstgemeinte Zuschriften (ohne Bild, aber mit Motivationsschreiben), da die Erstellung eines Buches Teil der gemeinsamen Reise ist. Habe ich Ihr Interesse geweckt? Melden Sie sich unter ...»

So, oder so ähnlich könnte das Inserat gelautet haben, das Ulrich Luz, emeritierter Neutestamentler an der Universität Bern, tatsächlich in einer Lokalzeitung veröffentlicht hat, um ein Buchprojekt anzustossen und Mitstreiterinnen und Mitstreiter für sein Projekt zu gewinnen. Ein ungewöhnlicher, ja im besten Sinne irritierender Auftakt zu einem ungewöhnlichen Arbeitsprozess, dessen Ergebnis, ein ebenso ungewöhnliches Buch, nun vorliegt. Bei «Das Neue Testament – «Wer, Was, Wo» für Einsteiger. Unter Mitarbeit von Nicht-Theologinnen und Nicht-Theologen» handelt es sich um eine bewusst sehr kurz gehaltene Einleitung in das Neue Testament und seine Umwelt. In 73 Kapiteln, die sich allesamt jeweils nur über eine Doppelseite erstrecken und zuweilen durch Karten, Tabellen und Abbildungen illustriert werden, führt Ulrich Luz in die Welt der neutestamentlichen Schriften ein.


Seine Texte sind dabei von einer zu Beginn mehr als zwanzigköpfigen Gruppe von Nichtfachleuten kritisch gegengelesen worden (ein angemessenes Label für diese Gruppe zu finden, fällt zumindest mir sehr schwer: «Nicht-Theologin» [so im Titel] ist letztlich genauso problematisch wie «Laie», «Nicht-Fachmann» oder «Nicht-Exeget»; vielleicht wäre «Alltagsexegetin/Alltagsexeget» eine Option, vgl. C. Schramm, Alltagsexegesen. Sinnkonstruktion und Textverstehen in alltäglichen Kontexten [SBB 61], Stuttgart 2008). Auch das Design des ganzen Buches hat diese Gruppe intensiv diskutiert. Die innere Titelei nennt in diesem Sinne letztlich elf Personen, unter deren Mitarbeit das Buch entstanden ist. Dieses Autorenkollektiv meldet sich denn auch zuweilen im Inneren des Buches zu Wort, etwa wenn auf S. 11 eine «Warnung an unsere Leserinnen und Leser» formuliert ist. Dieses Konzept ist innovativ und könnte Schule machen.


Die ersten fünf Kapitel des Bandes stecken den geographischen, politischen, religiösen und kulturellen Rahmen für das Neue Testament und das Leben Jesu und seiner Nachfolgerinnen und Nachfolger ab: das Imperium Romanum und das Judentum der Zeitenwende. Die Kapitel 6–19 thematisieren die Möglichkeiten der historischen Rückfrage nach Jesus und benennen elementare Aspekte des historisch einigermassen wahrscheinlich rekonstruierbaren Lebens Jesu und seiner Botschaft. Damit ist die Basis für die eigentliche Einleitung in das Neue Testament gelegt. Luz folgt der Struktur des Kanons und thematisiert in den Kapiteln 20–32 die neutestamentlichen Evangelien, klärt dabei aber auch zugleich über den Begriff «Evangelium», die synoptische Frage und die handschriftliche Überlieferung des Neuen Testaments auf. Eine gewisse Sonderstellung nehmen die Kapitel 33–34 ein, die sich mit Spruchevangelien, konkret: dem Thomasevangelium, und Kindheitsevangelien beschäftigen und damit die Welt des Kanons verlassen. Instruktiv sind die Kapitel 35–38, die der Apostelgeschichte des Lukas und den Anfängen des Christentums gewidmet sind. Den lukanischen Idealen stellt Luz die in den Texten auch sichtbar werdenden und nicht immer vorteilhaft erscheinenden Konflikte entgegen und zeigt zudem auf, was wir alles nicht über die Geschichte des frühen Christentums wissen.

In den Kapiteln 39–58 werden Paulus und die Welt der paulinischen Briefe (inklusive der Deuteropaulinen und der Pastoralbriefe) behandelt, die übrigen Briefe des Neuen Testaments begegnen in den Kapiteln 59–64, bevor in Kapitel 65–67 die Offenbarung des Johannes und die Gedankenwelt jüdischer Apokalypsen vorgestellt werden. Die letzten Kapitel (68–73) widmen sich dem Begriff des Kanons, den unterschiedlichen christlichen Versuchen, einen Kanon zu definieren, stellen deutlich heraus, dass auch das Alte Testament Teil des christlichen Kanons ist und zeugen von Ulrich Luz' Option, das Ineinander von Gotteswort (in der Person des Jesus von Nazaret) und Menschenwort im Rahmen des biblischen Textes zu denken.

Was das Buch mit diesem auf 187 Seiten entfalteten Inhalt tatsächlich bietet, ist eine sehr konzise gehaltene Einführung in die neutestamentlichen Schriften und ihre Umwelt – und die exegetischen Optionen, die Ulrich Luz im Blick auf diese Texte vertritt und die er sehr deutlich als seine Optionen markiert. Tiefergehende Auseinandersetzungen mit Forschungsdebatten oder ein Anmerkungsapparat finden sich bewusst nicht. Das Buch will eben nicht für Studierende der Theologie geschrieben sein, sondern für alle, die Interesse am Neuen Testament haben und ihren Wissensdurst ohne hohe Hürden befriedigen wollen. Diesem Ziel ist das Buch verpflichtet und diesem Ziel wird es in Anlage und Design (durch die starke Untergliederung lässt sich das Buch in sehr kleinen Leseportionen studieren) auch gerecht. Die Anschaffung des überdies nicht teuren Bandes lohnt sich!

Markus Lau

 

Ulrich Luz, Das Neue Testament – «Wer, Was, Wo» für Einsteiger. Unter Mitarbeit von Nicht-Theologinnen und Nicht-Theologen, Ostfildern/Zürich: Patmos/TVZ 2018; 187 Seiten mit 6. Abb. und 2 Karten; ISBN: 978-3-8436-1095-7; EUR 19,-/CHF 21,-.

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