Haggai. Tage der Hoffnung

Milton Schwantes

Wer braucht einen Kommentar zum Büchlein Haggai? In den Sonntagslesungen wird es nie gelesen und schon allein aus diesem Grund predigt wahrscheinlich auch nie jemand darüber. Dazu kommt, dass es mit seinen ganzen zwei Kapiteln auch noch zu den kürzesten Büchern der Bibel gehört.
Trotz allem könnte gerade die Unbekanntheit und Kürze des Büchleins auch reizen, sich intensiver damit auseinanderzusetzen. Und weil es sich nicht von selbst erschliesst, braucht es eben doch einen Kommentar.
Der hier vorzustellende Kommentar von Milton Schwantes, Befreiungstheologe und Professor für Altes Testament in Sao Bernado do Campo bei Sao Paulo, eignet sich hervorragend, um in das Büchlein Haggai einzuführen. Wie kaum ein anderes lässt sich Haggai nämlich einer ganz konkreten historischen Situation zuordnen: Es geht um die Zeit des Wiederaufbaus des Tempels nach dem Exil, konkret um das Jahr 520 v. Chr. Sämtliche Prophetien Haggais sind in dieses Jahr datiert. Milton Schwantes, der nicht nur Professor ist, sondern lange Jahre auch Pfarrer einer kleinen lutherischen Gemeinde in Guarulhos, einem Vorort von Sao Paulo, war uns deshalb auch die kirchliche Basisarbeit kennt, spürt dieser historischen Situation sehr sensibel nach:
Die Perser haben mit Serubbabel einen Statthalter nach Jerusalem entsandt, der auf Grund seiner Abstammung aus dem Hause Davids geradezu messianische Hoffnungen bei den Rückkehrern wie auch bei den im Lande verbliebenen Judäern auslöste. Dieser Hoffnung verleiht der Prophet seine Stimme. Inmitten des leidenden Volkes wirbt er für den Wiederaufbau des zerstörten Tempels von Jerusalem. Er bringt das Leiden des Volkes in Zusammenhang mit dem in Trümmern liegenden Tempel. Dieser Tempel wird für ihn zum Symbol, denn er wird nicht (wie der erste) von staatlichen Behörden oder einem Monarchen gebaut, sondern ist zum grossen Teil ein Tempel des Volkes. «Haggai verkündet [i. e. mit Serubbabel] einen neuen David, der im Unterschied zu den Monarchen aus vergangenen Zeiten der neue Knecht sein wird. Er ist auf Jahwe bezogen («mein Knecht»), Befreier vom persischen Joch (2,22!), dem leidenden Knecht aus Deutero-Jesaja ähnlich und seinem Volk hingegeben als Diener (vgl. Deuteronomium 17,14-20). Als Knecht Jahwes wird Serubbabel nicht mehr der Unterdrücker seines Volkes sein!» (S. 75)
Bekanntlich haben sich diese Hoffnungen des Volkes nicht erfüllt. Serubbabel wird bei der Einweihung des Tempels 515 v. Chr. nicht einmal mehr erwähnt. Womöglich haben ihn die Perser inzwischen «entsorgt», weil sie den Messianismus fürchteten wie später die Römer, die Jesus von Nazaret kreuzigen liessen.
Das Büchlein Haggai aber bewahrt diese messianische und apokalyptische Hoffnung auf das welterschütternde Eingreifen Gottes in die Geschichte. In unserer konkreten eigenen Weltgeschichte ist diese Hoffnung nicht leicht durchzuhalten. Davon wissen gerade die Armen Lateinamerikas ein Lied zu singen. Umso wichtiger aber sind Publikationen wie dieser Kommentar und natürlich: das Lesen des Büchleins Haggai!

Dieter Bauer