Wir bringen die Bibel ins Gespräch

Das Buch der Weisheit in Judentum und Christentum   

Das Buch des Weisheit ist ein Werk des Judentums in Ägypten, das hellenistisch geprägt war. Es wurde auf Griechisch verfasst und in die griechische Bibel, die Septuaginta, aufgenommen (vgl. SKZ 31-32/2007). Das Verhältnis zwischen dem griechischsprachigen Diasporajudentum und dem pharisäisch-rabbinisch geprägten Judentum in Palästina, bei dem die hebräische Bibel im Zentrum stand, war gespannt. Es ging um die Gestaltung der jüdischen Identität gegenüber der hellenistischen Kultur, letztlich um die Frage Abgrenzung oder Inkulturation? Auch das Entstehen des Christentums ist nur auf diesem Hintergrund zu verstehen. Aufs massivste verscharft wurde die Auseinandersetzung durch die politischen Ereignisse im 1. und 2. Jahrhundert n.u.Z.. Nach dem jüdischen Krieg gegen die Römer (66 bis 70) kam es in der gesamten jüdischen Diaspora zu weiteren Aufständen, die allesamt von den Römern niedergeschlagen wurden. Die Folgen für das Diasporajudentum waren verheerend. Die Niederlage im Bar-Kochba-Aufstand 132-135 war der schreckliche Schlusspunkt. Der Wiederaufbau des Judentums nach den Katastrophen ging von Palästina und den pharisäisch-rabbinischen Kreisen aus. Sie setzten die hebräische Bibel als Kanon durch und stellten ihr Traditionsgut ins Zentrum. Sie grenzten sich von der hellenistischen Kultur ab, griffen die hellenistisch-jüdischen Traditionen nur in sehr geringem Umfang auf und bemühten sich um die «Rabbinisierung der Diasporagemeinden» . Parallel dazu erlangte die Septuaginta und darin das Buch der Weisheit in der entstehenden christlichen Kirche immer grössere Bedeutung. Helmut Engel vermutet, dass eine alexandrinische Synagoge, deren Mitglieder schon früh Christinnen und Christen wurden, das Buch der Weisheit mitbrachte und dass die frühe Kirche, die ja aus dem Diasporajudentum und dem Kreis der mit ihm verbundenen nichtjüdischen «Gottesfürchtigen» den grössten Zulauf erfuhr, das Buch in ihr jüdisches Erbe übernahm . Je wichtiger die griechisch-jüdische Tradition im Christentum wurde und je stärker die Trennung zwischen Judentum und Christentum voranschritt, bei der die jeweils andere Seite immer massiver abgelehnt wurde – woraus sich im Christenum ein militanter Antijudasimus entwickelte – desto weniger Raum gab es im Judentum für die eigene hellenistische Tradition und ihre Schriften. So verschwand dieser Zweig des antiken Judentums und wirkte nur in der christlichen Überlieferung und Verarbeitung weiter. Bedeutet diese Geschichte für uns Christinnen und Christen nicht ebenfalls gleichermassen Demut und Ermächtigung?