Wir bringen die Bibel ins Gespräch

Jüdische und katholische Leseordnungen   

Der Schluss des Jesaja-Buches wird im jüdischen Synagogengottesdienst als Haftara (Lesung aus den Prophetenbüchern, die der Tora-Lesung folgt) an Rosch Chodesch (Fest des neuen Monats) vorgetragen. Die Lesung beginnt mit Vers 10: «Freut euch mit Jerusalem, frohlockt über sie all ihr Freunde, freut euch in Wonne mit ihr, alle, die ihr um sie getrauert habt» (Jes 66,10; Übersetzung Moses Mendelssohn). Dieser ersten Satz verleiht der Lesung eine positive Grundstimmung, welche zum Halbfeiertag (der Tag am Monatsbeginn lädt zur Besinnung ein, ist aber nicht arbeitsfrei) passt. «Von Neumond zu Neumond, von Schabbat zu Schabbat wird jeder Mensch kommen, um sich vor mir zu verbeugen» (Jes 66,23) spielt gezielt auf den Anlass des neuen Monats an, den man in der alten Zeit durch zwei Zeugen, die in der Nacht die Sichel des neuen Mondes sahen, festlegte. Die sehr düstere Aussage des letzten Verses des Jesaja-Buches, «ein Ekel sind sie (die Leichen) für alle Welt» (Jes 66,24) wird im Gottesdienst dadurch entschärft, dass abschliessend Vers 23 nochmals wiederholt wird.

Die katholische Leseordnung vermeidet die negative Aussage, indem sie die Perikope mit Vers 21 enden lässt: «Ich werde aus ihnen Männer als Priester und Leviten auswählen» (Jes 66,21). Mit der Drohung des letzten Verses fällt auch die Feststimmung aus Vers 23 «alles Fleisch (das heisst die ganze Welt) kommt, um Gott zu huldigen» weg. Der katholische Schluss gibt dem sehr universal angelegten Text einen klerikalen Sinn. In keinem Gottesdienst wird laut katholischer Leseordnung das Jesaja-Buches zu Ende gelesen.

Ohne Not und ohne Kenzeichnungen in den Lektionaren werden in Vers 19 folgende Wörter ausgelassen: «nach Tarschisch, Pul und Lud, Meschech und Rosch,Tubal und Jawan». Der Text, der durch die Erwähnung dieser Länder, die jedeR SchweizerIn aus den vergangen Sommerferien kennt (Tarschisch = Spanien, Pul = Lybien, Meschech = Kleinasien, Jawan = die griechischen Inseln, Tubal = Osttürkei), sehr konkret wird, bleibt durch die Auslassung in einer abstrakten Unbestimmtheit. Der historische Tritojesaja dachte aber mit seiner Aussage ganz konkret.