Wir beraten

Uralt und unerhört neu   

Peter Zürn zum Evangelium am Christkönigssonntag (25.11.): Joh 18,33b–37, SKZ 45/2012

 

Was in den Schriften geschrieben steht

«Mein Königtum ist nicht von dieser Welt» heisst es in Joh 18,36. Ich folge hier Ton Veerkamp und übersetze dieses Wort Jesu im Johannesevangelium mit: «Mein Königtum ist nicht von dieser Weltordnung.»1 Die Art, wie Jesus König ist und sein will, ist ganz anders als die Art, wie sie in der Welt Jesu herrscht – verkörpert durch den Statthalter des Kaisers, Pontius Pilatus – und wie sie durch die Geschichte der Menschheit hindurch vorgeherrscht hat. Zeichen für ihr Anderssein ist, dass sie nicht mit Kampf und Waffengewalt durchgesetzt wird (18,36). Das Königtum Jesu ist anders, es ist «jenseits » von allem, was wir gewohnt sind und woran wir uns schon gewöhnt haben, aber es ist nichts Jenseitiges. Es ist ein Königtum für diese Welt, ein Königtum auf Erden nach einer anderen Ordnung, nach der Ordnung Gottes, wie sie in der Schrift für möglich gehalten, grundgelegt und erhofft wird. Verwirklicht werden soll dieses Königtum nach der Ordnung Gottes im Volk Israel. Schon einmal stand das Volk vor der Entscheidung zwischen verschiedenen Arten des Königtums. In 1 Sam 8 wird erzählt, dass sich alle Ältesten Israels beim Propheten Samuel in Rama mit einem Wunsch versammeln: «Setze einen König ein, der uns regieren soll, wie es bei allen Völkern der Fall ist.» Die Ältesten Israels wünschen sich einen König von dieser Weltordnung. Samuel macht deutlich, was das bedeutet: «Er wird eure Söhne holen und sie für sich bei seinen Wagen und seinen Pferden verwenden (…). Sie müssen sein Ackerland pflügen und seine Ernte einbringen. Sie müssen seine Kriegsgeräte und die Ausrüstung seiner Streitwagen anfertigen. Eure Töchter wird er holen, damit sie ihm Salben zubereiten und kochen und backen. Eure besten Felder, Weinberge und Ölbäume wird er euch wegnehmen und seinen Beamten geben. Von euren Äckern und euren Weinbergen wird er den Zehnten erheben und ihn seinen Höflingen und Beamten geben. Eure Knechte und Mägde, eure besten jungen Leute und eure Esel wird er holen und für sich arbeiten lassen» (1 Sam 8,11–17). Samuel spricht eindrücklich und konkret. Aber bei einem realistischen Blick auf die Geschichte bleibt er doch merkwürdig harmlos. Er spricht von den Vorbereitungen zum Krieg, aber nicht vom Krieg selbst. Nicht von den Soldaten, die für ihre Könige jämmerlich verreckt sind oder zu Mördern wurden, und nicht von der Gewalt, die Frauen und Kindern in den Kriegen der Könige angetan wurde. Samuel spricht von der Abgabe des Zehnten, nicht aber davon, wie oft die kleinen Leute durch die Misswirtschaft ihrer «Könige» in den Ruin, in Armut, Hunger und Sklaverei getrieben worden sind. Kein Wunder setzt er sich nicht durch. Aber er sieht doch klar voraus: «An jenem Tag werdet ihr wegen des Königs, den ihr erwählt habt, um Hilfe schreien» (8,18). Die Ältesten Israels wollen «wie alle Völker sein. Unser König soll uns Recht sprechen, er soll vor uns herziehen und soll unsere Kriege führen» (8,20), sie wollen und bekommen Könige von dieser Weltordnung. Die Schrift deutet diese Entscheidung des Volkes als Abkehr von Gott, dem eigentlichen König. Samuel wird von Gott getröstet und entlastet. «Nicht dich haben sie verworfen, sondern mich (…): Ich soll nicht mehr ihr König sein (…). Sie haben mich verlassen und anderen Göttern gedient» (8,7–8). Trotzdem bleibt Gott weiter in Beziehung zu seinem Volk. Die Schrift begleitet das Volk und seine Könige kritisch. In Dtn 17,14 ff. werden dem König klare Grenzen gesetzt: Begrenzt werden seine militärische Macht («nicht zu viele Pferde»), die Bündnisse mit anderen Mächten, die oftmals über Heiraten geschlossen wurden («keine grosse Zahl von Frauen»), die ökonomische Macht, d. h. die Ausbeutung der Untertanen («nicht zu viel Silber und Gold anhäufen»). Neben dieser Begrenzung wird der König in Beziehungen eingebunden. Er soll aus der Mitte des Volkes sein und er soll Tora lesen und lernen. Er ist Teil Israels der Herkunft nach, und er ist Teil Israels als Toragemeinschaft. Das dient dazu, «sein Herz nicht über seine Brüder [und Schwestern] zu erheben und von dem Gebot weder rechts noch links abzuweichen, damit er lange als König in Israels Mitte lebt, er und seine Nachkommen» (17,20). Diese Grenzziehung, dieser Grundstandard des Königtums in Israel, ist nicht allzu oft erreicht worden. Vielleicht nie. Er bleibt Herausforderung für Könige aller Art bis heute. Die Schrift gibt sich aber damit nicht zufrieden. Und da es die Aufgabe des Königs ist, die Schrift zu lesen und zu lernen, wird er auch mit den weitergehenden Erwartungen konfrontiert. Psalm 72,1–4 etwa betet für den König: «Verleih dein Richteramt, o Gott, dem König (…). Er regiere dein Volk in Gerechtigkeit und deine Armen durch rechtes Urteil (…). Er wird Recht schaffen den Gebeugten im Volk, Hilfe bringen den Kindern der Armen, er wird die Unterdrücker zermalmen.» Die Vorstellung des Königtums in Israel ist eine radikale Alternative zur herrschenden Normalität. Es ist eine Absage an Unterdrückung und Ausbeutung. An diese ganz andere, aber ganz irdische Ordnung knüpft Jesus an. Jesu Königtum ist nicht von der herrschenden Weltordnung. Viel mehr ist sein Königtum nach der Ordnung der Tora. Er will kein unerhört Neues, er will das Uralte. Aber da es ein solches Königtum nach der Ordnung der Tora noch nie gegeben hat, will er eben doch unerhört Neues. «Das Traditionelle ist das Novum.»2

Mit Johannes im Gespräch

Im Verhör durch Pilatus sagt Jesus: «Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege» (Joh 18,37). Das erste hier verwendete Verb, griech. gegennämai, heisst eigentlich «ich wurde gezeugt». Das ruft die Erinnerung an Psalm 2,6–7 wach, wo Gott spricht: «Ich selber habe meinen König eingesetzt, auf Zion, meinem heiligen Berg (…). Mein Sohn bist du. Heute habe ich dich gezeugt.» Die Septuaginta verwendet hier gegennäka. Jesus stellt sich im Johannesevangelium in die Tradition des Königs Israels nach der Ordnung der Tora. Gegen ein Königtum dieser Art erhebt sich Widerstand durch die Königtümer der Völker nach der herrschenden Weltordnung. «Warum toben die Völker, warum machen die Nationen vergebliche Pläne? Die Könige der Erde stehen auf, die Grossen haben sich verbündet gegen Gott und seinen Gesalbten.» So beginnt Psalm 2 und sieht die Zerschlagung dieser Königtümer und Herrschaftsformen voraus, «wie Krüge aus Ton». In der historischen Realität schaut das Johannesevangelium auf den Sieg des Königs der Welt(ordnung) über Israel zurück, auf den Sieg des römischen Kaisers und seiner Legionen. Das Toben der Völker ist zu einem Sturm geworden. Die Grossen der Welt, auch die «Grossen» des geschlagenen Volkes Israel, stehen gegen die kleine messianische Gemeinde in der Tradition des Johannes. Da sind die Psalmworte im Munde Jesu vor dem Statthalter Pilatus ein Hoffnungszeichen. Hoffnung darauf, dass Gott sich und seinem Volk treu bleibt, wie es die Schrift bezeugt. Und eine Ermutigung dafür, gewaltfrei für dieses Königtum einzutreten.

1 Ton Veerkamp: Der Abschied des Messias. Eine Auslegung des Johannesevangeliums. II. Teil: Johannes 10,22–21,25 in: Texte und Kontexte 113– 115 (2007), 1–3, 8 8.

2 Ebd., 89.