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Hans Rapp zum Evangelium am 33. Sonntag im Jahreskreis: Mk 13,24–32, SKZ 44/2012

 

In diesem Jahr, 2012, findet der Weltuntergang statt. Zumindest hört im Dezember 2012 der alte Maya-Kalender auf. Das ist ja schon ein starker Hinweis auf das Weltende. Einen Film mit dem Titel «2012» gab es auch schon dazu. An das Filmplakat kann ich mich gut erinnern. Im Vordergrund irgendeine Landschaft des Himalaya, auf die ein riesiger Tsunami zugerollt kommt. Ein buddhistischer Mönch steht auf einer Bergspitze und betrachtet die Welle. Die Aussage war klar: Die Welt, aber auch wirklich die ganze Welt, geht buchstäblich unter. Ich habe mir den Film nicht angesehen. Ich mag keine Weltuntergangsfilme. Die machen mich so depressiv. Ich habe das Gefühl, diesem Geschehen hilflos ausgesetzt zu sein. Und dann kommt mir dieser Text aus dem 13. Kapitel des Markusevangeliums entgegen. Markus hat da eine kleine, kompakte Apokalypse in sein Evangelium aufgenommen. Da ist alles drin, was eine Apokalypse so braucht. Wie soll man darüber sinnvoll predigen?

Was in den Schriften geschrieben steht

Das heutige Evangelium bildet den Abschluss des 13. Kapitels des Markusevangeliums. Der Anfang des Kapitels macht deutlich, dass die gesamte apokalyptische Predigt Jesu in Verbindung mit dem Jerusalemer Tempel, dessen Zerstörung und dem vernichtenden Krieg in diesem Zusammenhang steht: «Als Jesus den Tempel verliess, sagte einer von seinen Jüngern zu ihm: Meister, sieh, was für Steine und was für Bauten! Jesus sagte zu ihm: Siehst du diese grossen Bauten? Kein Stein wird auf dem andern bleiben, alles wird niedergerissen» (Mk 13,1–2). Zumindest die Zerstörung des Jerusalemer Tempels und damit die Folgen des katastrophalen jüdischen Krieges (66–70 n. C hr.) scheinen für Markus geschichtliche Realität zu sein und bilden wohl den geschichtlichen Hintergrund der Perikope. Sie kann in drei Teile gegliedert werden: Mk 13,24–27 zitiert verschiedene endzeitliche Passagen aus den Ersten Testament. Mk 13,28 f. ist ein Gleichnis für das Kommen des Endes. Mit diesem Teil möchte ich mich am Schluss intensiver auseinandersetzen, weil ich glaube, dass er den Zugang des Evangelisten zum Thema des Weltendes und seine Deutung der Apokalyptik wunderschön zur Geltung bringt. Mk 13,30–32 behandeln den Zeitpunkt des unmittelbar bevorstehenden Endes. E s ist auffällig, dass vor allem der erste Teil (Mk 13,24–27) ausführlichst Bezug auf die Heiligen Schriften nimmt. Vor allem die Propheten des Ersten Testaments sprechen vom «Tag des Herrn» als von einem Tag des göttlichen Gerichts. Gemeint ist der Punkt, an dem Gott seine Ordnung wiederherstellt. Dieses Gericht kann sich gegen das Unrecht richten, das in Israel selbst besteht. Ein Beispiel dafür ist Joel: «Auf dem Zion stosst in das Horn, schlagt Lärm auf meinem heiligen Berg! Alle Bewohner des Landes sollen zittern; denn es kommt der Tag des Herrn, ja, er ist nahe, der Tag des Dunkels und der Finsternis, der Tag der Wolken und Wetter» (Joel 2,1 f.). Dieser Tag des Herrn hat kosmisches Ausmass: «Sonne und Mond verfinstern sich, die Sterne halten ihr Licht zurück.» D as Gericht des Tages des Herrn kann sich auch gegen die Völker richten, die Unrecht über Israel gebracht haben. Ein Beispiel dafür ist Jes 13,1–22. Der ganze Abschnitt richtet sich gegen Babel (Jes 13,1) und spricht in diesem Zusammenhang vom Tag des Herrn (Jes 13,6). Auch hier ist vom Vergehen des Lichts von Sonne, Mond und Sternen die Rede: «Die Sterne des Himmels und der Orion und der ganze Kosmos des Himmels werden das Licht nicht mehr geben und verfinstert wird (das Licht) der aufgehenden Sonne und der Mond wird nicht mehr sein Licht geben» (Jes 13,10, Fassung der Septuaginta). M k 13,26 zitiert mit Dan 7,13 auch einen Text aus der apokalyptischen Literatur. Er beschreibt eine himmlische messianische Gestalt, die dem Seher Daniel in einem Traumgesicht erscheint: «Da kam mit den Wolken des Himmels einer wie ein Menschensohn. Er gelangte bis zu dem Hochbetagten und wurde vor ihn geführt. Ihm wurden Herrschaft, Würde und Königtum gegeben. Alle Völker, Nationen und Sprachen müssen ihm dienen. Seine Herrschaft ist eine ewige, unvergängliche Herrschaft. Sein Reich geht niemals unter» (Dan 7,13 f.). Daniel 7,13 f. dürfte eine Reaktion auf die repressive Religionspolitik des syrischen Herrschers Aniochos IV. Epiphanes gewesen sein, der 167 v. C hr. versucht hatte, den Jerusalemer Tempel gewaltsam zu hellenisieren. A ll diesen Texten des Ersten Testaments ist eines gemeinsam: Die Rede vom Weltende ist nicht in erster Linie eine Rede über die Zukunft, sondern eine Rede über die Gegenwart. Sowohl die Ankündigungen über einen bevorstehenden schrecklichen «Tag JHWHs» als auch die oft bizarren apokalyptischen Bilder des Danielbuches sind Aussagen über Leid und Unrecht der Gegenwart. Apokalyptikerinnen und Apokalyptiker weigern sich, eine als zutiefst von Unrecht und Leiden geprägte Gegenwart als Gottgegeben hinzunehmen. Gott nimmt diese Gegenwart gerade nicht hin. Er greift ein und verändert sie.

Im Gespräch mit Markus

Noch deutlicher als in den oben erwähnten Stellen bezieht sich Mk 13,24–32 auf die griechische Fassung von Jes 34,4,: «… und alle Sterne werden fallen wie Blätter vom Weinstock und wie Blätter vom Feigenbaum fallen. » Auch diese Jesaja-Stelle verwendet das Bild von den herabfallenden Sternen, dem wir bereits bei Joel und im 13. Kapitel des Jesajabuches begegnet sind und das sich auch im Evangelium findet. Markus verwandelt dieses Bild. Er interpretiert es auf dem Hintergrund der Predigt Jesu vom Reich Gottes. Das Gleichnis in Mk 13,28 f. spielt mit den Begriffen, die Jes 34,4 für das Vergehen der Sterne verwendet. Das Fallen der Blätter vom Weinstock und vom Feigenbaum ist in Jes 34,4 das Bild für das Fallen der Sterne in der vergehenden Schöpfung. Jes 34,1–17 richtet sich gegen Edom, ein Nachbarland und Nachbarvolk Israels. Edom wurde in späterer Zeit ein Synonym für Rom. Der Vers kann in den Augen der Zeitgenossen von Markus als ein Spruch über Rom und dessen Terror gegen die Bevölkerung im jüdischen Krieg gelesen werden. Markus verändert aber die Stossrichtung und Aussage der Bilder. Er übernimmt dieses Bild vom Feigenbaum und den Blättern, verwendet es aber in einem neuen Sinn: «Lernt etwas aus dem Vergleich mit dem Feigenbaum! Sobald seine Zweige saftig werden und Blätter treiben, wisst ihr, dass der Sommer nahe ist. Genauso sollt ihr erkennen, wenn ihr (all) das geschehen seht, dass das Ende vor der Tür steht.» Aus dem Bild vom Vergehen und dem Blick auf die Katastrophe des Vergehenden wird ein Blick auf das Werdende und das, das kommen wird: ein Bild der Hoffnung. Das Gleichnis ruft auch die anderen Gleichnisse Jesu in Erinnerung, die das Reich Gottes mit dem unaufhaltsamen Wachstum von Pflanzen verglichen haben. Ich finde dieses Bild sehr schön. Markus nimmt der apokalyptischen Predigt nicht ihre inhaltliche Schärfe. Diese Welt vergeht. Unwiderruflich. Aber er nimmt mir meine Hilflosigkeit. Er betont den Aspekt des Wachsens von etwas Neuem. Wenn die Sterne fallen, so machen sie den Knospen von etwas ganz Neuem Platz, das vielleicht noch viel schöner ist, als es die wundervollen Sterne heute schon sind. Wir können uns freuen!