Wir beraten

Wie kommt man in das Reich Gottes?   

Winfried Bader zum Evangelium am 28. Sonntag im Jahreskreis (14.10.): Mk 10,17–30, SKZ 39/2012

 

Ist diese Frage, wie man in das Reich Gottes kommt, eine Frage, die beschäftigt? Oder ist diese Frage, wie man dorthin gelangt, nicht schon viel zu eng und nur für Insider gestellt? Zuerst ist ja wichtig, wo es denn hingehen soll. W as i st d as Reich Gottes? Der Evangelist Matthäus verwendet statt Reich Gottes für ihn gleichbedeutend den Ausdruck «Reich des Himmels». Als «Himmelreich» wurde es schnell ins Jenseits verlegt und die Kirche zur Tür und zur Wächterin, wie man dorthin gelangt. Reich Gottes, die basileia tou theou, die Königsherrschaft Gottes, also das unmittelbare Königsein Gottes, ist in der Verkündigung Jesu der zentrale Begriff. Jesus beschreibt die Wirklichkeit mit diesem Begriff und fasst seine Botschaft damit zusammen. Sein Evangelium beginnt: «Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe» (Mk 1,15). Es ist nichts Jenseitiges, sondern es ist schon gekommen (Lk 11,20) und zum Greifen nah (Lk 17,21). Es gehört konkret den Armen (Lk 6,20), und dort wird das gemeinsame Mahl gefeiert (Lk 14,15). Reich Gottes als Realität der gegenwärtigen Welt ist eine Gemeinschaft, geprägt von Wahrheit und Leben, Heiligkeit und Gnade, Gerechtigkeit, Liebe und Friede (so fasst die Präfation am Christkönigsonntag Jesu Botschaft und die Verkündigung des Paulus zusammen). Es ist Gottes gerechte Welt (so übersetzt die Gute Nachricht Bibel basileia tou theou). Die Frage, wie man in das Reich Gottes kommt, ist damit nicht (nur) eine Frage des individuellen Heils, wo die Kirche entscheidet, wer dazugehört und wer nicht. Es ist die Frage: Wie bauen wir das Reich Gottes, wie muss der Einzelne einen Beitrag leisten, dass diese gerechte Welt Gottes entsteht, und wie kann die Kirche die Idee an diese gerechte Welt wachhalten und daran bauen, bis sie sich beim Erreichen des Ziels überflüssig macht? Das Reich Gottes ist da, wenn die «Sünde von der Erde verschwunden ist» (Ps 104,35 in einer rabbinischen Übersetzungsvariante, die statt «Sünder» mit anderer Punktierung «Sünde» liest und dem Psalmvers einen neuen und hoffnungsvollen Sinn gibt) und die Welt vollständig mit Gerechtigkeit, Liebe und Frieden durchdrungen ist.

Was in den Schriften steht

Ein Mann stellt Jesus die Frage, die traditionelle Pilger sich stellen. Am Tor des Tempels werden sie nach ihrer Würde befragt und geben sich selbst Rechenschaft über ihr Tun. Massstab dieser Frage und Prüfung ist Psalm 15: «YHWH, wer darf Gast sein in deinem Zelt, wer darf weilen auf deinem heiligen Berg? Der makellos lebt und das Rechte tut; der von Herzen die Wahrheit sagt und mit seiner Zunge nicht verleumdet; der seinem Freund nichts Böses antut und seinen Nächsten nicht schmäht; der den Verworfenen verachtet, doch alle, die YHWH fürchten, in Ehren hält; der sein Versprechen nicht ändert, das er seinem Nächsten geschworen hat; der sein Geld nicht auf Wucher ausleiht und nicht zum Nachteil des Schuldlosen Bestechung annimmt. Wer sich danach richtet, der wird niemals wanken.» (Ps 15,1–5) E s ist dieses ethische Programm, die Verbundenheit mit dem Volk im Sinne der Gebote der Tora, das berechtigt, in den Tempel Gottes einzutreten. Der Mann wandelt die Frage jedoch ab, fragt nicht nach dem Eintritt in den Tempel, sondern nach dem ewigen Leben. Er nimmt damit an der damals aktuellen theologischen Diskussion teil. Das Weiterleben nach dem Tod ist eine Frage, die im späten 2. Jahrhundert v. C hr. aufkam und von den Pharisäern zur Zeit Jesu diskutiert wurde. Mit Blick auf das ewige Leben wird die eigene sittliche Entscheidung zur Herausforderung und zum Kriterium. Allein die Bindung an das Volk garantiert nicht mehr das Heil. Jesu erste Antwort nimmt diesen Kontext an, beantwortet die Frage an das Jenseits mit Blick auf Gott. Ganz im Sinne der griechischen Philosophie weist er diesem Gott das Prädikat gut zu: «Du aber, unser Gott, bist gütig, wahrhaftig und langmütig» (Weish 15,1 – dieses Buch ist in Auseinandersetzung mit der griechischen Philosophie zeitgenössisch zu Jesus abgefasst). Der gute Gott hat auch eine weltliche Dimension. Er ist König. Es ist auch Jesu Idee von der Königsherrschaft Gottes: «Du Gott und Schöpfer aller Dinge, furchtbarer, starker, gerechter und barmherziger Gott! Du allein bist König und du bist gütig» (2. Makk 1,24). G ott ist der Eine (Mk 10,18), der Glaube an ihn das grundlegend Eine: «Schema Israel – Höre, Israel! Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig» (Dtn 6,4). Jesus bleibt nicht bei der Fragestellung nach «ewig» und der Antwort mit dem Glauben an den (jenseitigen) Gott stehen. Ganz im Sinn des Psalms hat dieses Verhalten zu Gott praktisch-ethische Konsequenzen. Jesus verweist auf das ethische «Grundgesetz », das Zehnwort. Er beginnt mit den Verboten der «zweiten» Tafel, dort wo das Verhältnis von Mensch zu Mensch geregelt wird. Das Verbot, zu töten, die Ehe zu brechen, zu stehlen, nicht falsch auszusagen (Mk 10,19, vgl. Ex 20.13–16; Dtn 5,17–20). «Du sollst nicht rauben» (Mk 10,19) ist im Dekalog so nicht aufgeführt, könnte aber eine verkürzte und konkretisierte Formulierung des letzten Gebots sein: «Du sollst nicht nach dem Haus deines Nächsten verlangen. Du sollst nicht nach der Frau deines Nächsten verlangen, nach seinem Sklaven oder seiner Sklavin, seinem Rind oder seinem Esel oder nach irgendetwas, das deinem Nächsten gehört» (Ex 20,17; Dtn 5,21). Als letztes zitiert Jesus das vierte Gebot, das an der Schnittstelle zwischen den Regelungen des Verhältnisses von Mensch zu Gott und denjenigen von Mensch zu Mensch steht. «Ehre deinen Vater und deine Mutter, wie es dir YHWH, dein Gott, zur Pflicht gemacht hat, damit du lange lebst und es dir gut geht in dem Land, das YHWH, dein Gott, dir gibt» (Dtn 5,16). Es ist nicht als Verbot, sondern als Gebot formuliert, ist nicht Rezept, sondern Zielvorstellung. Die Begründung, die das Gebot in der Fassung des Deuteronomiums hat, zeigt das Anliegen Jesu: Es geht nicht um das Jenseits, sondern um das gute Leben hier und jetzt in diesem Land und in dieser Welt, die Gott seinem Volk und den Menschen gegeben hat. D er weitere Wortwechsel in der Szene des Markusevangeliums ist damit nur noch eine Verdeutlichung und Konkretisierung dieser Forderung und dieses Anliegens: «Geh, verkaufe, was du hast, gib das Geld den Armen» (Mk 10,21). Die Nachreflexion mit den Jüngern schafft dann den Zusammenhang mit Jesu Gesamtbotschaft. Es geht um die Frage der Ankunft und des Aufbaus des Reiches Gottes, dort, wo Gott selbst König ist und seine gerechte Welt entsteht.

Mit Markus im Gespräch

Markus malt als eigene Pointe am Ende seiner Überlegungen ein groteskes Bild. Mit einer guten Prise Humor verweist er auf Gott, den Einen, der Alles in Allem ist, für den nichts unmöglich ist (Mk 10,27). Kamel und Nadelöhr, Reich Gottes und Welt, die Menschen und Gottes Gerechtigkeit, das passt alles nicht zusammen, und doch ist es so: «Das Reich Gottes ist nahe!» (Mk 1,15).