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Streit um Gottes Willen   

Hanspeter Ernst zum Evangelium am 22. Sonntag im Jahreskreis: Mk 7,1–8.14–15.21–23, SKZ 33-34/2012

 

Image-Kampagnen sind teuer. Wer einmal ein schlechtes Image hat, bringt es kaum mehr los, egal, wie viel Geld in die Kampagne investiert wird. So darf sich Roger Federer über ganzseitige Zeitungsinserate freuen, die ihm zu seinen Erfolgen gratulieren und an denen er auch noch verdient. An seinen Tugenden, seinem Stehvermögen und seiner makellos reinen Weste und selbstverständlich an all den Siegen teilzuhaben, kann für bestimmte Kreise wichtig sein. Diese zeigen damit, dass sie auf die richtigen Werte setzen, deren einer, das Vertrauen – unbedingte Voraussetzung für eine erfolgreiche Geschäftstätigkeit, – manchmal arg gelitten hat und zum Teil ohne Skrupel dem Erfolg geopfert wurde. Deshalb muss man wieder um Vertrauen werben. Nur, und das ist das Fatale daran, gekauftes Vertrauen ist kein Vertrauen. Es ist ein Kalkül, das aufgehen oder fallieren kann. Mehr nicht. Es gibt eine Gruppe, die in christlichen Kreisen ein sehr schlechtes Image hat, eines, das im Verlaufe der Jahrhunderte noch schlechter geworden ist. Es sind die Pharisäer. Würde man Roger Federers Gratulanten mit ihnen in Verbindung bringen, dann würden sich diese mit Sicherheit bedanken. Denn wer als pharisäisch apostrophiert wird, der hat mehr als ein Imageproblem, auch heute noch. Und das, obwohl die Pharisäer mitnichten zu jenen gehören, die Federer aus Gründen der Imageaufbesserung gratulieren müssten. Wie ist es dazu gekommen?

Was in den Schriften geschrieben steht

Einer der Gründe für diese Entwicklung ist die vorliegende Perikope. Sie berichtet von einem Konflikt: Die Jünger Jesu waschen die Hände nicht, wenn sie Brot essen (Mk 7,3). Warum leben sie nicht «nach der Überlieferung der Alten (kata ten paradosin ton presbyteron)» (V 5)?, fragen die Pharisäer. Die Antwort Jesu ist polemisch. Er nennt sie «Heuchler» (V 6), Menschen, die Gott zwar ehren mit den Lippen, das Herz aber weit von ihm entfernt haben. Kurz, sie predigen Wasser und trinken Wein. Mehr noch, Jesus wirft ihnen vor, dass sie das Wort Gottes ausser Kraft setzen, um an dessen Stelle die Überlieferung der Alten zu setzen. Gewiss, das ist zum Teil bekannte prophetische Kritik am Volk Israel, die Jesus hier auf die Pharisäer überträgt (vgl. LXX Jes 29,13). Aber es ist schon starker Tobak zu behaupten, sie würden das Wort Gottes ersetzen durch die eigene Lehre. Was macht denn Jesus anderes? Nimmt er einfach den Wortlaut eines Gebotes und behauptet, so ist es? Genau wie das in fundamentalistischer Manier immer wieder geschieht. Dann würde es sich hier um einen Streit zwischen einem Fundamentalisten, nämlich Jesus, und den Pharisäern handeln. In dieser Richtung ist der Streit auch ausgelegt worden, freilich so, dass nicht der fundamentalistische Anspruch Jesu in Frage gestellt wurde, sondern die Auslegung der Pharisäer. Aber das ist nicht gemeint. Das Wort Gottes hat einen Kontext. Es wird in eine Kultur hinein vermittelt. Jesus legt das Wort Gottes aus. Die Pharisäer legen das Wort Gottes aus. Und beide, Jesus und die Pharisäer, sind geprägt durch die jüdische Kultur und Lebensweise. Und doch streiten sie. Wer sind die Pharisäer und was wollen sie? V om Namen her können sie als « Abgesonderte » oder auch als «genaue Erklärer der Tora» verstanden werden. Pharisäer hatten politischen und gesellschaftlichen Einfluss, aber sie können nicht einfach als abgeschlossene oder in sich geschlossene Gruppe oder gar als Sekte betrachtet werden, wie es auch schwierig ist, sie als Partei zu bezeichnen. Sie stehen eher für eine «grundlegende und prägende religiöse Strömung innerhalb des palästinischen Judentums zwischen 150 v. und 70 n. Chr.».1 Wenn sie bei Markus zur Sprache kommen, dann geht es meist um Fragen des rechten Lebenswandels – Fasten (2,18); Schabbat (2,24); Reinheit (7,3–5); Ehescheidung (10,2) –, während die Schriftgelehrten eher die Autorität Jesu in Frage stellen. Mit anderen Worten, die Pharisäer bemühen sich, das Rechte zu tun (Ant 13,28) und die Vorschriften der Tora genau einzuhalten. Ihr Anliegen war ganz im Sinne einer deuteronomistischen Geschichtstheologie: Die Tora soll das ganze Leben von ganz Israel bestimmen. Jeder und jede Einzelne sollte sich bemühen, ein gottgefälliges, heiliges Leben zu führen und so einen Beitrag zur Bewahrung Landes zu leisten. Auf diese Art wird das ganze Leben zum Gottesdienst, der Tisch des Hauses zum Altar. Heiligkeit ist nicht eine nur den Priestern vorbehaltene Aufgabe. Es versteht sich von selbst, dass dafür genaue Regeln festgelegt wurden. Wenn die Tora für das ganze Leben und für jeden Lebensbereich gelten soll, dann muss sie auch für diese Lebensbereiche verbindlich ausgelegt werden. Das hat nichts mit «pharisäischer» Spitzfindigkeit zu tun, sondern mit der Einsicht, dass nur auf diese Weise die Tora in ihrer ganzen Tragweite ernst genommen wird. Das alltägliche Leben ändert sich, und weil es sich ändert, ändert sich auch die Auslegung. Diese aber darf nicht einfach beliebig sein, deshalb stützt sie sich auf die Tradition. Das ist ein lebendiger Prozess: Weil die Tradition selbst aus vielen Stimmen besteht, gibt es ein Gespräch mit ihr, in dessen Verlauf sich die Regeln entwickeln. Ist es da von Jesus nicht ein bisschen unverschämt, wenn er den Pharisäern vorwirft, die Überlieferung der Menschen an die Stelle des Wortes Gottes zu setzen bzw. das Wort Gottes menschlich zu verdrehen? Wie immer diese Frage beantwortet wird, eines scheint mir sicher: Es geht um einen Streit zwischen zweien, die sich nur zu gleich sind: Auch Jesus will wie die Pharisäer, dass der Wille Gottes im Alltag gelebt wird. Auch er kommt um die Auslegung nicht herum. Das ist der Grund des Streites. Aus verschiedenen späteren Texten über die Pharisäer geht hervor, dass sie sehr oft miteinander ins Gericht gingen und uneins waren. Dass dabei auch Eitelkeiten, Rivalitäten und persönliche Schwächen eine Rolle spielten, ist nicht von der Hand zu weisen. Aber das ist nicht das Hauptmotiv. Dieses ist vielmehr das Ringen darum, den Willen Gottes, wie er in der Tora geoffenbart ist, im Hier und Heute glaubwürdig in die Praxis umzusetzen. (Dass man dabei den Pharisäern Werkgerechtigkeit unterschiebt, ist eine Tragik der Auslegungsgeschichte, die nicht zur Kenntnis nimmt, dass die Tora eine Gabe Gottes ist.) Jesu Kritik ist in diesem Falle eine Kritik der Auslegung. Er setzt die Gewichte anders und kommt dementsprechend zu einem anderen Schluss. Denn eine der Gefahren der Auslegung ist immer, dass diese sich verselbstständigt und ein Eigenleben entfaltet. Das wird insbesondere klar, wenn auch die von der Leseordnung nicht vorgesehenen Verse 9–13 mitberücksichtigt werden. Das Ziel der Auslegung kann in einem institutionellen Rahmen mit dem der Institution oder der Gruppe selbst verwechselt werden. Lebensfreundliche Traditionen werden damit zu lebensfeindlichen.

Mit Markus im Gespräch

«Nicht was von aussen in den Menschen eingeht, kann ihn unrein machen, sondern was aus den Menschen herauskommt, das ist, was den Menschen unrein macht» (V 15). Dieser Satz sagt nicht, dass alle äusseren Formen fallen zu lassen sind. Für einmal sollten wir nicht vergessen, wie viele schlechte Traditionen wir von aussen her aufgenommen und weitergegeben haben, das Image der Pharisäer ist nur ein Beispiel dafür. Er sagt aber, dass alle Auslegungen und alle Gesetze, die gelten sollen, immer wieder am Wort Gottes geprüft werden müssen. Das jedoch geschieht nicht im stillen, abgeschiedenen Studierkämmerchen oder in den Wandelhallen von Palästen, auch nicht ex cathedra an Universtäten oder von der Kanzel, sondern im Streit um des Reiches Gottes willen.