Wir beraten

Stotternder Schluss   

Hanspeter Ernst zum Evangelium an Uffert/Himmelfahrt Christi: Mk 16,15–19, SKZ 18/2012

 

«Und sie sagten niemandem etwas, denn sie fürchteten sich» (Mk 16,8), damit endet das Markusevangelium, mindestens in den uns erhaltenen wichtigsten Handschriften. Aber wie kann eine Geschichte mit Furcht und Schrecken aufhören, die doch weitererzählt werden sollte? Wie kann angesichts des sinnlosen Todes Jesu am Kreuz, der alle Hoff nungen zerstört und die traditionellen Deutemuster bricht, von Auferstehung gesprochen werden – ist nicht vielmehr das Schweigen, die stumme Ohnmacht die adäquate Haltung, weil die Worte da nicht hinreichen, wo der Schmerz und das abgrundtiefe Nichts ist? Wie aber könnten wir von der Auferstehung sprechen, wie die Geschichte weitererzählen, wenn das Schweigen geblieben wäre, wenn es nicht all die tastenden Versuche gegeben hätte, die sprachlose Ohnmacht in Sprache zu überführen? Da muss ein Ereignis gewesen sein, das gedeutet werden will. Deshalb ein zweiter Bericht, ein tastender Versuch, ein Zeugnis, das von der Auferweckung berichtet und von der Himmelfahrt Jesu. Auf jeden Fall aber ist es heilsam, sich einmal Gedanken darüber zu machen, weshalb das Markusevangelium stottert, und die Verunsicherung auszuhalten, die der Tod Jesu ausgelöst hat, damit die Auferweckung Jesu und seine Himmelfahrt nicht in einem triumphalistischen Geheul ausarten.

 

Mit Markus im Gespräch

Denn dazu liesse sich die Perikope durchaus gebrauchen. Gleich zu Beginn (Mk 16,15) steht der Auftrag, das Evangelium aller Welt und aller Kreatur zu verkündigen. «Wer zum Glauben kommt und getauft wird, wird gerettet werden. Wer aber nicht zum Glauben kommt, wird verurteilt werden» (16). Dem Zum-Glauben-Kommen folgen Zeichen wie Dämonenaustreibung, in neuen Sprachen reden, Schlangen mit blossen Händen aufheben, tödliches Gift wird nichts schaden und Heilung von Krankheiten durch Handaufl egung, kurz, der Glaube wird sichtbar. Nur: Muss nicht all das so laut gesagt werden, weil die Erfahrung eine ganz andere ist? Wie viele glauben, und es geschieht ihnen nicht, was hier verheissen wird. Ist ihr Glaube nicht richtig? Genau diese Frage kann zu einer überheblichen Behauptung werden. Sie wird es dann, wenn sie den Glauben ohne den Zweifel zu retten sucht. Der Auftrag, das Evangelium zu verkünden, wird dann zu einem Herrschaftsauftrag und die Taufe zu einer Disziplinarmassnahme. Das aber widerspricht zutiefst dem, was Markus in seinem Evangelium über die Gottesherrschaft sagt. Deshalb ist es wichtig, diese Aussage im Rahmen des ganzen Evangeliums zu sehen und sie in den apokalyptischen Kontext zu stellen, in den sie gehört. Jesus wurde vom jüdischen Establishment wohl kaum deswegen ausgeliefert, weil er von der Liebe Gottes sprach oder sich mit Menschen aus übler Gesellschaft abgab. Für dieses war beunruhigend, dass er von einer bald eintreff enden dramatischen Wende sprach, die alle Menschen und die ganze Schöpfung betriff t. Dieses Ende ist so drängend, «dass einige von denen, die hier stehen, den Tod nicht schmecken werden, bevor sie das Reich Gottes sehen, wenn es gekommen ist mit Macht» (Mk 9,1) und «dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bevor dies alles geschieht » (Mk 13,30). Angesichts dieses gewaltigen Umsturzes gibt es nur eines: Du musst dich entscheiden. Entweder du kehrst um und wirst leben, oder du verweigerst die Umkehr und wirst sterben. Ein Dazwischen gibt es nicht. In diesem Kontext schützt der Glaube. Die Kreuzigung Jesu radikalisiert das Drängende, zumal diese in der ohnehin politisch aufgeheizten und umsturzschwangeren Pessachzeit geschah. Jesu Botschaft von der nahe anbrechenden Gottesherrschaft ist aber nicht einfach als eine gegen die Römer gewandte zu verstehen, die mit einem Sieg über die Römer zu ihrem Triumph käme. Israel selbst wird gespalten: Nur die Armen und diejenigen, die umkehren und Jesu Botschaft annehmen, werden gerettet. All dies lässt sich ohne die Geschichte Israels nicht verstehen, die eine Geschichte mit einem Ziel ist, und dem Glauben, dass Gott zugunsten seines Volkes immer wieder eingreifen wird, damit dieses Ziel auch erreicht werden kann. Der Glaube selbst aber ist ambivalent: Gott hat die Israeliten aus der Knechtschaft in die Freiheit geführt und ihnen das verheissene Land gegeben. Er hat Könige eingesetzt und Zion zu einer uneinnehmbaren Festung gemacht. Er konnte also im Sinne einer Staatsdoktrin gebraucht werden (vgl. Ps 2). Dagegen polemisierten die Propheten. Geschichtliche Katastrophen wie die Zerstörung des ersten, des zweiten Tempels taten das Ihre und untergruben diesen Glauben. Die Erfahrung des Exils forderte eine andere Deutung und liess gewaltige Bilder der Hoff nung entstehen, die wiederum bitter enttäuscht wurden bei der Rückkehr aus dem Exil, denn nichts war so, wie es versprochen war. Wie konnte in all diesen Wirren, in all diesen Auf und Ab der Geschichte, die Familien zerrissen, das Volk spalteten, zu Kriegen mit anderen Völkern führten, wie konnte da noch an der Treue dieses Gottes festgehalten werden? Fragen über Fragen, auf die verschiedene Antworten gefunden wurden und die den Glauben in ganz unterschiedlicher Weise prägten und bis heute prägen.

Was vom Judentum zu lernen ist

Eine der Antworten ist auch der sekundäre Schluss des Markusevangeliums. Und die Frage an uns ist, wie wir diese Antwort verstehen, da das Drängende der Zeit, wie es für die Apokalyptik charakteristisch ist, heute in dieser Art nur mehr von einigen oft belächelten Gruppierungen geteilt wird. Aber das heisst noch lange nicht, dass es dieses Drängende nicht gibt, denken wir nur an das Wort Krise und an all die Lösungsansätze, die uns von den Krisen befreien und Katstrophen verhindern sollten. Plötzlich erhalten ökonomische Konzepte messianische Eigenschaften. Es kommt also darauf an, wie wir unsere Zeit lesen, und es kommt darauf an, dass wir das Evangelium nicht anders lesen, als wir unsere Zeit lesen. Dann können wir nicht den Taufauftrag wörtlich nehmen, hingegen die Zeichen, die eintreten sollen, metaphorisch. «Nachdem nun der Herr, Jesus, zu ihnen geredet hatte, wurde er in den Himmel emporgehoben und setzte sich zur Rechten Gottes» (Mk 16,19)? Jesus wird emporgehoben und im Himmel inthronisiert. Da, wo er stand, gibt es einen leeren Raum. Wie gehen wir mit diesem um. Vielleicht hilft uns da doch der Taufauftrag, das Zum-Glauben-Kommen. Was ich damit meine, möchte ich mit einer Diskussion aus dem babylonischen Talmud verdeutlichen. Die Rabbiner diskutieren darüber, wer die Rollen der Tora geschrieben habe: War es Mose, der dies nach dem Diktat Gottes tat? Wenn ja, wie kann er dann selbst darüber schrei ben, dass er gestorben ist («Und Mose, der Knecht Gottes, starb dort» Dtn 34,5)? Das muss doch sein Nachfolger Josua getan haben? Es werden verschiedene Lösungsansätze diskutiert. Einer davon lautet: «Bis hierhin (gemeint ist wohl Dtn 34,4) sprach der Heilige, gepriesen sei er, und Mose sprach nach und schrieb nieder; von da an (Dtn 34,5) sprach der Heilige, gepriesen sei er, und Mose schrieb mit Tränen nieder» (bBB 14b). Mose schrieb mit Tränen nieder, aber er sprach nicht nach. Tränen trocknen. Es bleibt der Raum, der leer ist. Und der ist auszuhalten, der leere Raum, der zu interpretieren und zu deuten ist und doch leer bleiben muss, damit die Deutungen nicht zu einer Herrschaft über andere Menschen verkommen und Systeme aus Beton entstehen, die das Neue nicht mehr zulassen und das Leben in eine unerträgliche Hölle verwandeln.