Den Brunnen tiefer graben
Sr. Alix zum Anliegen des Zentrums für christliche Spiritualität in Zürich – ein Beitrag zur biblischen Beseelung der Pastoral
«Seit langem haben wir nicht mehr unsere Brunnen tiefer gegraben» , redete der Muslim Mohammed seinem Freund und Nachbarn zu, dem Prior des Trappistenklosters Tibhirene, Algerien. Christian de Chergé, so hiess der Prior, wusste genau, was das heisst. Mohammed verlangte nach einem geistlichen Austausch, Ab und zu schenkten sie sich gegenseitig Zeit, um gemeinsam nach dem Wasser Gottes zu «graben».
Die Sehnsucht nach den «Quellen lebendigen Wassers» ist heute weit verbreitet, oft ohne dass Menschen wissen, was ihnen mangelt, und wo ihre Sehnsucht an ein Ziel kommen könnte. Spiritualität ist zum Modewort geworden. Was darunter verstanden wird, ist sehr diffus. So bieten Hotels Kuren für Wellness und Spiritualität an. Esoterische Therapieangebote mit Steinen und Farben und Kurse aller Art versprechen spirituelle Erfüllung. . . .
Mehr als 10 Jahre sind es her, seitdem eine Kommission des kantonalen Seelsorgerates Zürich sich zum Ziel gesetzt hat, der Sehnsucht nach einer tragenden Spiritualität zu entsprechen. Schrittweise begann sie ein Zentrum für christliche Spiritualität aufzu-bauen. Hier sollen die Suchenden jener Spiritualität auf die Spur kommen, die nicht körperliches und seelisches Wohlbefinden meint, sondern die in eine tiefe Gottes-beziehung hineinführt, in eine Freundschaft, die das ganze Leben durchwirkt und trägt. Ja, Spiritualität ist ein Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Mensch. Da hinein wachsen zu dürfen, lässt letztlich mit Teresa von Avila erkennen, dass «Gott allein genügt».
Das erträumte Zentrum für christliche Spiritualität ist nun in vielen kleinen Schritten
geworden, und es wird hoffentlich stets in Bewegung bleiben und vieles bewegen.
Seit 2009 weist es ein vielfältiges Angebot auf., das den verschiedensten spirituellen Bedürfnissen zu entsprechen sucht.
Jede/r kann allein oder in Gruppen «Tiefenbohrungen» vornehmen, um zu den für uns längst bereitliegenden «Quellen lebendigen Wassers» vorzudringen .
Als wichtigste «Tiefenbohrung» erachten wir das biblische Angebot mit Bibelseminarien, Vortragsreihen, Bibliodrama, Bibelteilen, Einführung in die Lectio divinae, Wanderungen mit der Bibel im Rucksack.
Eine weitere «Tiefenbohrung» ist die Gebetsschule . Referenten mit grosser Gebets-erfahrung vermitteln Hilfen zum persönlichen Gebet. Es finden Einführungskurse in die christliche Meditation statt. In regelmässigen Abständen werden Uebungszeiten in Meditation und Kontemplation eingeräumt. Eine ausgezeichnete Hilfe , in eine persönliche Gotrtesbeziehung hineinzuwachsen, bieten die regelmässigen «Exerzitien im Alltag» oder auch Einzelexerzitien, beide auf den Grundlagen des Ignatius von Loyola..
Ein reglemässiges Abendgebet, das MittWochGebet,, auf der Spiritualität der Laienbe-wegung Sant `Egidio in Rom gründend, findet im Chorraum der Kirche St. Peter und Paul statt.
Weitere Themenkreise können nur angedeutet werden:
Aus der geistlichen Tradition der Kirche schöpfen Veranstaltungen, die sich mit dem liturgischen Leben und den Sakramenten beschäftigen.
Ein anderer Themenkreis geht erfahrungsgemäss besonders tief: die Begegnung mit den Wüstenvätern und Mystikerinnen und Mystikern des Mittelalters und der Neuzeit.
Ein neuer «Bohrplatz» ist das Herausarbeiten von spirituellen Impulsen aus Literatur, darstellender Kunst und Musik.
Die älteste «Bohranlage» im Haus ist die Geistliche Begleitung. Fast täglich finden sich Leute ein, die auf ihrem innern Weg zu Gott vorankommen möchten und deshalb die Stütze der geistlichen Begleitung erfragen. Eine regelmässige Standortbestimmung auf dem geistlichen Weg schafft Klarheit und lässt ihn konsequent und vertrauensvoll weitergehen.
Es gibt Leute, die sind Woche für Woche auf dem «Bohr-Areal» anzutreffen. Offenbar sind sie den Wassern auf die Spur gekommen. Andere wohnen den Veranstaltungen sporadisch bei. Fast jedesmal tauchen neue Gesichter auf.
Langsam entsteht Gemeinschaft unter den Besuchern. Sie kommen aus verschiedenen Stadtteilen, auch von ausserorts oder ausserhalb des Kantons.
Im Haus Werdgarten, wo sich das Zentrum für christliche Spiritualität eingerichtet hat, ist es auch möglich, eine Auszeit über kürzere oder längere Zeit zu verbringen. Ein ruhiges Zimmer für persönliche Einkehr steht zur Verfügung. Auf Wunsch kann geist-liche Begleitung angefordert werden. Alle, die sich bisher darin aufgehalten haben, schätzten die kleine Oase mitten in der pulsierenden Stadt.
Von Anfang an war die Absicht, gerade jenen das «Graben» zu ermöglichen, die ihrer Pfarrei fremd geworden sind. Etwelche kommen ohne Schwellenangst, ganz unbemerkt, fügen sich ein, gehören einfach dazu.
Seit November 2010 besteht ein «Verein Zentrum für christliche Spiritualität, Zürich». Das hilft uns, in einer gewissen Eigenständigkeit weiterzubauen und dennoch gemein-sam mit der Kirche im Dienst der Sache Jesu zu stehen.
Wenn es uns gelingt, mit den vielen, die bereits ein- und ausgehen, «die Brunnen tiefer zu graben», dann ist ein wichtiger Baustein für eine lebendige Kirche von morgen gesetzt worden.
Sr. Alix Schildknecht