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Auf(er)stehen will gelernt sein!   

Dieter Bauer zum Evangelium am 3. Sonntag der Osterzeit: Lk 24,35–48, SKZ 13/2012

 

Am 3. Sonntag der Osterzeit liest die Kirche nach der Emmauserzählung eine weitere der drei Erscheinungsgeschichten des Lukasevangeliums. Die Paradoxie einer «Geist»-Erscheinung, die tatsächlich «Fleisch und Knochen» hat, löst sich, wenn man den Schlüssel zur Hand nimmt, den Jesus in dieser Erzählung selber gibt: die Schriften («was im Gesetz des Mose, bei den Propheten und in den Psalmen über mich gesagt ist»; Lk 24,44 f.).

Hinweis: Die Textabgrenzung des Evangelientextes ist unglücklich. Lk 24,35 schliesst die Emmausgeschichte ab und sollte hier weggelassen werden. Hingegen fehlt der die Erscheinungserzählung abschliessende V.  49 mit dem Hinweis auf das Pfingstereignis, der unbedingt hinzugenommen werden sollte.

«… was in den Schriften geschrieben steht»

Der Evangelientext schliesst direkt an die Emmausgeschichte an. Die Jüngerinnen und Jünger tauschen ihre jeweiligen Erfahrungen aus, und «während sie noch darüber redeten, trat er selbst in ihre Mitte» (Lk 24,36). Wie er in ihre Mitte kam (durch die Tür oder bei verschlossenen Türen? Vgl. Joh 20,19.26), wird nicht gesagt. Jedenfalls «erschraken sie und hatten grosse Angst, denn sie meinten, einen Geist zu sehen» (Lk 24,37).

Was im Deutschen nicht auffällt, weil dort «Geist» und «Gespenst» eng beieinander liegen, ist die Tatsache, dass Lukas hier das griechische Wort pneuma verwendet, also gerade nicht «Gespenst» (gr. phantasma) wie z. B. Markus und Matthäus in der Geschichte vom Seewandel (Mk 6,49; Mt 14,26). Wie können die Jüngerinnen und Jünger diesen «Geist» eines Toten aber anders deuten, wenn nicht als «Totengeist» (vgl. den «Totengeist» Samuels in 1 Sam 28,3 ff.)? Damit wäre einerseits die Bestürzung erklärt, in welche die Jüngerinnen und Jünger fallen, andererseits aber auch ihre «Zweifel» (Lk 24,38).

«Seht meine Hände und meine Füsse an: Ich bin es selbst», sagt Jesus. «Fasst mich doch an und begreift: Kein Geist hat Fleisch und Knochen» (24,39). Die Verbindung «Fleisch und Bein» ist im Alten Testament so geläufig, dass sie auch an dieser Stelle mitbedacht werden muss. Sie steht nämlich seit der Schöpfung für engste Verbindung, ja für Blutsverwandtschaft (Gen 2,23; 29,14; Ri 9,2; 2 Sam 5,1 u. ö.). Jesus will also sagen: Ich bin einer von euch, wir gehören zusammen. Das folgende Mahl geht in dieselbe Richtung. Auch wenn man zunächst meinen könnte, es ginge Jesus bei seinem Essen des Fisches nur um den Beweis seiner Leiblichkeit, so belehrt uns Apg 10,41, dass in den Augen des Lukas sehr wohl eine Mahlgemeinschaft stattgefunden hat. Dort nämlich spricht Petrus von den Jüngerinnen und Jüngern Jesu als von denen, «die wir mit ihm nach seiner Auferstehung von den Toten gegessen und getrunken haben».

Auf den Zusammenhang von «Geist», «Toten» und «Fleisch und Knochen» möchte ich später noch zurückkommen. Zunächst aber zum zweiten Teil unserer Erscheinungserzählung:

Die in Jerusalem versammelten Jüngerinnen und Jünger scheinen trotz des «Beweises» mit dem Fisch noch immer nicht überzeugt zu sein. Es braucht – wie in der Emmauserzählung – eine Deutung des Geschehens aus den Schriften. Jesus bringt also nichts Neues hinzu, sondern wiederholt seine Botschaft unter neuem Vorzeichen: «Das sind die Worte, die ich zu euch gesagt habe, als ich noch bei euch war: Alles muss in Erfüllung gehen, was im Gesetz des Mose, bei den Propheten und in den Psalmen über mich gesagt ist» (Lk 24,44). Das erinnert nicht zufällig an den Anfang des Buches Deuteronomium: «Das sind die Worte, die Mose vor ganz Israel gesprochen hat» (Dtn 1,1). Wie Mose die Tora erklärt, so erklärt Jesus hier die Schriften. Das heisst aber indirekt: «Für Lukas haben weder die Botschaft der vom leeren Grab zurückgekehrten Frauen, noch die der aus Emmaus zurückgekehrten Jünger, noch die Beweise der Auferstehung genügt, einen Schlüssel zu finden, der die Türe zum Verständnis der Schrift öffnen würde» (Bovon 591). Jesus musste ihnen die Augen für das Verständnis der Schrift erst selber öffnen (wörtlich: «Dann öffnete er ihren Verstand, die Schriften zu verstehen»; 24,45). «Ostern ist der Tag der Öffnungen: Öffnung des Grabes (24,2), Öffnung der Augen (24,31), Öffnung der Schrift (24,32) und hier der Intelligenz (V. 45)» (Bovon 592).

Dabei geht es um Umwandlung der ganzen Person, bzw. des inneren Seins. Nicht zufällig spricht Lukas hier von «Verstand» (gr. nous), in der Emmauserzählung von «Herz» (gr. kardia; 24,25.32.38), was im biblischen Denken ja bekanntlich dasselbe meint. Das Schreiben der Tora auf das Herz ist Merkmal des neuen Bundes, der durch die Vergebung der Sünden ermöglicht wird (Jer 31,31–34). Und das «neue Herz» und der «neue Geist» gehören zusammen (Ez 36,26). Und es ist dieser «Geist», der das wie Totengebein darniederliegende Volk Israel im Exil wiederbelebt hat, indem er Fleisch an die Knochen gebracht hat (Ez 37). Und es wird derselbe Geist sein, der den Jüngerinnen und Jüngern als «Kraft aus der Höhe» verheissen ist (Lk 24,49) und der sie am Pfingstfest wieder zu einer lebens- und handlungsfähigen Gemeinschaft machen wird.

Mit Lukas im Gespräch

Nach Lukas erinnert der Auferstandene seine Jünger eigens an die Schriftgemässheit dessen, was sie erlebt haben und gerade erleben: «So steht es in der Schrift: Der Messias wird leiden und am dritten Tag von den Toten auferstehen» (24,46). Beim Leiden des Messias denkt Lukas wahrscheinlich an Prophetentexte wie die Lieder vom leidenden Gottesknecht (v. a. Jes 52,13–53,12). Der «dritte Tag» bezieht sich wahrscheinlich auf vielfältige Rettungserfahrungen, die in den Schriften mit dem dritten Tag verbunden werden (v. a. Hos 6,2). Und die Auferstehung wurde im Lukasevangelium bereits von der Dornbuscherzählung her als schriftgemäss erklärt: «Dass aber die Toten auferstehen, hat schon Mose in der Geschichte vom Dornbusch angedeutet, in der er den Herrn den Gott Abrahams, den Gott Isaaks und den Gott Jakobs nennt. Er ist doch kein Gott von Toten, sondern von Lebenden; denn für ihn sind alle lebendig» (Lk 20, 37 f.).

Dieser Gott der Lebenden hat auch Jesus nicht im Tod gelassen. Dies ist nun aber weder etwas, das sich durch das Essen von Fisch noch durch Schriftzitate «beweisen» liesse. Das müssen die Jüngerinnen und Jünger erst lernen. Sie werden deshalb von Jesus aufgefordert, «in der Stadt sitzen zu bleiben» (24,49), wie es wörtlich heisst. Dieses sitzende Lernen der Jüngerinnen und Jünger, das nach Ausweis von Apg 1,3 nicht zufällig genau 40 Tage dauern wird, ist dasselbe wie das Lernen des Volkes Israel: Im 40. Jahr der Wüstenwanderung (Dtn  1,3) erklärt (nicht «schreibt») Mose dem Volk die Tora und sagt dann: «Lange genug seid ihr an diesem Berg gesessen …» (Dtn  1,6). Dann erst kann das Volk in das gelobte Land und in die neue Freiheit aufbrechen. Diese «Tora» lernt die lukanische Gemeinde nun vom auferstandenen Jesus. Auf(er)stehen will gelernt sein!

 

Lesetipps:

Thomas P. Osborne: Die lebendigste Jesuserzählung. Das Lukasevangelium kommentiert von Thomas P. Osborne und wörtlich übersetzt von Rudolf Pesch in Zusammenarbeit mit Ulrich Wilckens und Reinhard Kratz. Stuttgart 2009.

François Bovon: Das Evangelium nach Lukas (Lk 19,28–24,53) (= Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament III/4). Neukirchen-Vluyn/Düsseldorf 2009.

Kerstin Schiffner: Lukas liest Exodus. Eine Untersuchung zur Aufnahme ersttestamentlicher Befreiungsgeschichte im lukanischen Werk als Schrift-Lektüre (= Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament 172). Stuttgart 2008.