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Gnade?!?   

Predigt und liturgische Elemente zu Eph 2,4-10

Gottesdienst am 17./18.3.2012 in St. Stephan Therwil
Verantwortung für Liturgie und Predigt: Jutta Achhammer Moosbrugger

Eröffnungslied

Zu dir oh Gott erheben wir die Seele voll Vertrauen (KG 46)

Einführung

Im Lied haben wir gesungen: «Schau gnädig auf uns nieder». Was heisst das eigentlich «Gnade»? Was schwingt mit, wenn wir uns z.B. einen gnädigen Gott wünschen? Ich mache mich mit Ihnen heute auf Spurensuche in den biblischen Texten, wie Gnade in biblischer Zeit verstanden wurde und was sie für uns heute bedeuten kann.

Tagesgebet

Gott,

wir kommen zu dir so wie wir jetzt sind.

Ein wenig ausser Atem,

mit einem Rucksack voller Erfahrungen aus den vergangenen Tagen,

den Kopf noch voller Gedanken.

Löse uns von dem, was uns so in Beschlag genommen hat,

und öffne uns für dein Wort,

für deine Wirklichkeit.

Darum bitten wir dich durch Jesus von Nazareth, unserem Bruder und Freund.

Amen.

 

Predigt

Im alltäglichen Sprachgebrauch ist heute eigentlich nur selten von Gnade die Rede. Es gibt noch ein paar Redewendungen, in denen das Wort Gnade verwendet wird, wie  Künstler, die begnadet Klavier spielen können, oder  aber in Sätzen wie «da wollen wir noch mal Gnade vor Recht walten lassen», «da bettelt oder winselt einer um Gnade», es wird einer «gnadenlos» nieder gemacht.

Meistens wird damit ausgedrückt, dass ein Höhergestellter einem Besiegten oder Verurteilten noch einmal Schonung zukommen bzw. Milde walten lässt oder einem Untergebenen geschenkhaft Gunst erweist.

Der König erweist seinen Untertanen Gnade. Man kann sie nicht verdienen und ein Recht hat man darauf schon gar nicht.

Geprägt wurde das Sprechen von Gnade von der christlichen Tradition und ihrem Gottesbild, dem Gott, der als König und Richter im Himmel thront und den Menschen Gnade erweist, unverdient und geschenkhaft. In diesem Sinne werden auch immer wieder biblische Texte wie der Brief an die Gemeinde in Ephesus gedeutet.

Ich halte das für eine Engführung. Gnade kann viel weiter und reichhaltiger sein, als die Gunst, die ein Herrscher seinen Untergebenen in einer feudalen Welt gewährt. Ein Blick in die Bibel verdeutlicht das. Die Menschen in biblischer Zeit leben in erster Linie in Familien, Sippen und dörflichen Gemeinschaften zusammen, leben vom Ackerbau und Fischfang.

Wenn im Hebräischen Chessed oder Chen gebraucht wird, das wir im Deutschen oft mit Gnade übersetzen, geht es in erster Linie um die freundliche, gütige und herzliche Zuwendung, die Menschen einander entgegen bringen. Es ist die nachbarschaftliche und familiäre Hilfe, zu der man nicht rechtlich verpflichtet ist, aber sie dennoch leistet und die das soziale Leben aufrecht erhält. Es sind freiwillige, freundliche Gaben. Ein Beispiel:

Rut und ihre Schwägerin Orpa erweisen ihrer Schwiegermutter Noomi Gnade, wenn sie mit ihr von Moab nach Israel gehen, nachdem ihre Männer gestorben sind. Verpflichtet sind sie dazu in keinster Weise. Jede könnte auch einfach nur für sich selbst besorgt sein. Es ist ein Zusammenhalten in schweren Zeiten.

Ein anderes Beispiel ist Jakob, der im hohen Alter seinen Sohn Josef bittet, ihn nicht in Ägypten zu begraben. Den Vater zu begraben ist die rechtliche Pflicht für den Sohn. Dagegen ist die Erfüllung der Bitte, ihn nicht in Ägypten zu begraben von Josef her chessed, Gnade. Der Sohn erweist hier dem Vater Gnade.

Es geht also um wechselseitige Beziehungen, um Freundlichkeit, um Wohlwollen und Zuwendung.

Auch da, wo in der Bibel von Gottes Gnade die Rede ist, geht es um eine Beziehung. In Ex 34 heisst es etwa: «Ein mitfühlender, gnädiger Gott bin ich, langmütig, treu und wahrhaftig.» Es geht um Gottes liebevolle und umsichtige Treue zu den Menschen.

Im Abschnitt der heutigen Lesung wird denn auch die grosse Liebe Gottes zu den Menschen und Gottes reiche Barmherzigkeit als Grund für Gottes Gnade gegenüber den Menschen genannt.

«Gott, der reich an Barmherzigkeit ist, hat uns wegen seiner grossen Liebe, mit der er uns geliebt hat,…zusammen mit Christus wieder lebendig gemacht.» Das ist Gnade. Gott lässt sich nicht gnädig von oben herab, sondern Gott ist vielmehr gütig, wendet sich mit liebevollem Wohlwollen, mit grosser Zuneigung den Menschen zu.

Konkret erfahrbar ist das überall dort, wo wir Menschen uns wohlwollend begegnen, wo andere uns weiterhelfen mit ihrem Rat, einem netten Wort, einer Geste, wo wir selbst dem Nachbarn aushelfen, der Schwester ein liebes Wort sagen, wo wir einander Gutes tun, ohne dazu verpflichtet zu sein, sondern einfach so, ohne Grund, weil wir uns gut leiden können.

Es sind die Farbtupfer, die unser Leben bunter machen, jenseits von Rechten und Pflichten, jenseits von Korrektheit und Regeln. Ich wünsche uns deshalb offene Augen und ein offenes Herz, damit wir diese Farbtupfer im Alltag entdecken und selbst setzen können.

Abschliessen möchte ich diese Gedanken mit einem Zitat von Antoine de Saint-Exupery, der darauf hinweist, wie sehr wir auf diese Farbtupfer in unserem Leben angewiesen sind:

«Man kann doch auf Dauer nicht leben von Kühlschränken, Politik, Finanzen und Kreuzworträtseln. Man kann es einfach nicht. Man kann doch nicht leben ohne Dichtung, ohne Farben, ohne Liebe.»


Schlussgebet

Gott,

du hast uns eine Welt voller Farben geschenkt.

Und unser Leben mit seiner ganzen Vielfalt.

Wir sind dankbar für die Menschen,

die uns ihre Zuneigung zeigen,

für die Freundinnen und Freunde,

die uns durch dick und dünn begleiten.

Dankbar sind wir, dass du ein leidenschaftlich liebender Gott bist

Und dich uns immer wieder von Neuem zuwendest.

Dankbar sind wir für Jesus von Nazareth, der uns deine Liebe

So eindrücklich vorgelebt hat.

Amen.