Wir beraten

Menschliches Unvermögen vor der Grösse Gottes   

Ursula Rapp zum Evangelium in der Osternacht: Mk 16,1–7, SKZ 11/2012

 

«Ich glaube an die Auferstehung der Toten!» Wir sagen es im Credo. Sagen wir es auch irgendjemandem auf der Strasse? Was soll denn das heissen? Was wissen wir denn schon über das «nach dem Tod»? Ich träume manchmal von zwei verstorbenen Personen, die mir nahegestanden haben und nahestehen. Diese Träume lösen Freude aus, auch wenn es keine schönen Träume sind. Die Tage nach solchen Traumnächten sind diese Personen da, gehen sie mit. Ich halte das für eine Ahnung von Weiterleben, weil ich eine Verbindung spüre, die ich selbst nicht beeinflussen kann. Es gibt viele Verbindungsfäden zu Toten. Auch Markus erzählt von dieser Verbindung. Sie ist Voraussetzung für die Erfahrung, dass Jesus auferstanden ist.

«… was in den Schriften geschrieben steht»

Drei Frauen kommen zum Grab Jesu: Maria von Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome. Das sind sind keine zufälligen Gestalten. In dieser Trias werden sie auch in Mk 15,40 als diejenigen genannt, die der Kreuzigung und dem Tod Jesu aus gewisser Entfernung zusahen und die ihm schon in Galiläa gefolgt waren, die Gruppe um Jesus versorgt und Jesus – mit vielen anderen Frauen gemeinsam – nach Jerusalem begleitet hatten. Sie waren also Jüngerinnen Jesu und mit ihm verbunden. Sie sind erste Zeuginnen der Auferstehung Jesu, erste Verkünderinnen dieses Wunders sollen sie sein. Warum sie? Warum sollen sie zu Simon gehen? Es werden die genannt, die Jesus vertraut sind, die mit ihm gegangen sind, die ihn kennengelernt haben, die wissen, woraus er gelebt hat. Auferstehungserfahrung braucht Nähe und Vertrauen. Die Auferstehung Jesu kann nur bezeugen, wer ihm verbunden ist, mit ihm geht.

Markus beginnt seine Geschichte unheimlich überlegt: «Sehr früh am Morgen» gehen die drei Frauen los. Das Wörtchen «sehr», griechisch lián, steht in der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel relativ selten und nie als Zeitangabe. Als solche begegnet das Wort nur noch zu Beginn des Markusevangeliums. Markus verwendet lián auch in 1,35, um den ganz aussergewöhnlich frühen Morgen zu beschreiben, an dem Jesus in die Wüste gehen will, um zu beten. Als ihn Simon und ein paar andere holen, beginnt er seine Verkündigung. Sehr früh am Morgen beginnt Jesu Verkündigung und sehr früh am Morgen erhalten die Jüngerinnen ihren Verkündigungsauftrag. Er schliesst allein durch die zeitliche Ansetzung direkt an Jesu Anfangssituation an. Hier, mit diesem Ereignis beginnt eine neue Verkündigung, eine Verkündigung durch diese drei Jüngerinnen, und sie beginnt ganz einfach damit, zu erzählen, dass Jesus auferweckt wurde und nach Galiläa gegangen ist. Es geht darum, mit diesem Auferweckten und dessen Botschaft zu leben und mitzugehen.

Wer ist nun der Jüngling, der «neaniskos» (Vers 5)? Nichts deutet direkt darauf hin, dass er wirklich ein Engel ist, wie oft behauptet wird, ausser dass er das Geschehene deutet. So etwas können andere «jungen Männer» der Septuaginta auch: Josef ist ein junger Mann und Traumdeuter (Gen 41,12), ebenso Daniel (Dan  1). Auch Daniel, der Susanne vor dem Tod rettete, indem er die ungerechten Richter entlarvte (Dan 13), ist ein solcher junger Mann. Alle diese Geschichten sind spät, in hellenistischer Zeit, unter griechischem Einfluss fertiggeschrieben worden. Dieses Verständnis von jungen Männern als weisen Deutern kommt dem Mann am Grab sehr nahe. Auch sein «Fürchtet euch nicht!» ist nicht so formuliert, wie es Engel ansonsten tun. Der junge Mann bezieht sich wörtlich auf das Erschrecken der Frauen (V. 4) über den weggewälzten Stein.

Junge Männer in weissen Gewändern sind sehr spezielle Gestalten. Sie sind Zeugen, also Martyrer in der Apokalypse des Johannes (Offb 9,9–12). Sie bekommen dieses Gewand, weil sie Martyrer sind, weil sie Gewalt erlitten haben und nun zu Gott schreien. Die Kette derer, die wegen ihres Glaubens Gewalt erleiden und ermordet werden, beginnt nicht erst mit Jesus. Das haben jüdische Menschen schon längst seit der Seleukidenherrschaft im 2. Jahrhundert v.  Chr. erlebt. Hier sitzt nun vielleicht ein solcher, der die Frauen bittet: Macht weiter, vielleicht um der Gewalt willen, erzählt, dass er auferweckt ist vom Tod. Natürlich scheibt Markus gut 50 Jahre bevor Johannes in Patmos seine Offenbarungen niederschreibt, aber vielleicht greift Johannes auf ein bekanntes Bild zurück, das schon Markus vertraut war.

Dieses Erschrecken der Frauen drückt auch ein Zittern aus, es scheint ein sehr tiefes Erschüttern oder Bewusstwerden von etwas Grossem damit gemeint zu sein. Jesus trifft dieser Zustand in Getsemani (Mk 14,33), und eine Menschenmenge beim Anblick eines von einem Dämon befallenen jungen Mannes (Mk 9,15). Sonst wird das Verb nur in Sir 30,9 verwendet für das Entsetzen des Vaters über seinen verwöhnten Sohn. Auferstehung ist zunächst für diese Frauen, die noch in der Verwirrung der Todeserfahrung stehen, kein Grund zum Jubeln. Sie ist unfassbar erschütternd und beängstigend verunsichernd – einfach zu gross, um gefasst zu werden. Darum gehen sie zunächst einmal nicht und verkünden, was sie erlebt haben (V. 8).

Mit Markus im Gespräch

Markus, Du erzählst ganz am Schluss Deines Evangeliums diese Episode am Grab. Aber Du lässt sie nicht dort enden, wo sie die Leseordnung beschliesst. Einen einzigen Vers hast Du uns noch zu sagen, und ich finde ihn so wichtig. Warum streicht man ihn? Weil Du uns erzählst, dass die Frauen nicht gegangen sind, und aus Furcht niemandem erzählt haben, dass Jesus nach Galiläa vorausgeht? Sollen wir das lieber nicht hören in der Osternacht? Was erzählst Du uns? Weiblichen Ungehorsam? Nein, das glaube ich nicht. Du erzählst, dass diese Frauen zutiefst, ganz tief und in ihrer Existenz erschüttert waren. Die haben das nicht weggesteckt und sind einfach losgegangen, als sollten sie das Wetter verkünden. So wie Du das beschreibst, konnten sie nicht, weil sie keinen Boden mehr unter den Füssen hatten!

Und ich ahne, dass Du uns erzählen willst, dass dieses Fürchten und Zittern, das Nichtbefolgen des Auftrags dazugehört zu der Geschichte. Darin zeigt sich die Menschlichkeit, die der geheimnisvollen Grösse des Auferstehungswunders nicht gewachsen ist. Wie können wir einer so übergrossen Lebenszusage Gottes glauben, wenn so viele unserer Erfahrungen dagegen sprechen und scheinbar keinen Anhaltspunkt geben? Ihr Unvermögen, das Erlebte und Gehörte weiterzuerzählen, ist wichtig, nicht um die Frauen abzuwerten, sondern um das Grosse deutlich zu machen und wie es uns geht damit! Und dazu kommt noch die Sprache: Wie erzählt man von einer Auferstehungserfahrung? Welche Worte haben wir, um das zu beschreiben? Schrecken gibt es hier und Furcht, Leere und einen weissgekleideten Mann, den wir kaum deuten können. Das Wunder der Auferstehung ist nur im Staunen wahrnehmbar und das Staunen hat keine Sprache, es sucht sie. Immer wieder. So schweigen die Frauen eben zuerst einmal.

Diesen Satz zu streichen macht jedenfalls die Menschen im Text und ihre Erfahrungen unsichtbar, hebt die Theologie aus dem Alltag und aus der Menschlichkeit heraus. Diesen letzten Satz zu streichen bedeutet, die Erfahrung der Überwältigung und des Wunders zu streichen. Dieser letzte Satz erzählt uns, dass der Schrecken und das Grosse zunächst sprachlos machen. Aber wir wissen ja, dabei blieb es nicht. Die Menschen, die Jesus verbunden sind, finden Worte. Sie hatten die Fantasie, den Mut und die Hoffnung, das Unglaubliche zu glauben.