Wir beraten

Der König auf dem Esel   

Franz Annen zum Evangelium am Palmsonntag: Mk 11,1–11, SKZ 11/2012

Die Erzählung vom Einzug Jesu in Jerusalem wird in der Liturgie des Palmsonntags vor der Palmprozession gelesen. Auch im Markusevangelium ist sie der Auftakt der letzten Tage des Wirkens und des Leidens Jesu in Jerusalem. Von da an sind die erzählten Geschehnisse durch ein Tagesschema bis zum Ostermorgen miteinander verbunden (vgl. Mk 11,12.20;14,1.12; 15,1; 16,1–2).

«… was in den Schriften geschrieben steht»

Feierliche Einzüge (manchmal Parusie oder Epiphanie genannt) von Herrschern und andern wichtigen Persönlichkeiten in eine Stadt waren in der römischen Welt ein Mittel der Machtdemonstration und der politischen Propaganda. Sie folgten einem mehr oder weniger festen Ritual. Hoch zu Ross, umgeben von seinen Offizieren, Magistraten und Soldaten traf der Erwartete vor dem Stadttor ein. Dort wurde er von den Behörden und von Vertretern der Oberschicht feierlich empfangen und unter dem Jubel der Bevölkerung in die Stadt geleitet. Begrüssungsreden, hymnische Akklamationen und Jubelrufe gehörten zu diesem Ritual ebenso wie das Ausbreiten von Kleidern und Zweigen vor den Füssen des Geehrten. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass kurz vor dem Eintreffen Jesu die Jerusalemer erlebt hatten, wie der höchste Vertreter Roms im Lande, der Präfekt Pontius Pilatus, auf solch feierliche Weise empfangen worden war, als er zum Pascha-Fest nach Jerusalem kam1.

Auf diesem Hintergrund gestaltet Mk den Einzug Jesu in Jerusalem in bewusster Anspielung auf die messianische Verheissung in Sach 9,9 (ohne sie ausdrücklich zu zitieren): «Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft; er ist demütig und reitet auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin.» Die einzelnen Züge der Erzählungen wollen deutlich machen, dass Jesus als der vom Propheten verheissene Messiaskönig unter dem Jubel der Menschen, die ihn begleiten (Mk 11,9), in seine Stadt Jerusalem einzieht.

Dazu passt schon, dass in der sprachlich überladenen Ortsangabe (11,1) der «Ölberg» eigens erwähnt wird. Er spielt im Folgenden eine besondere Rolle als Ort der Endzeitrede
(Mk 13) und der Gefangennahme Jesu (Mk 14,26). Im Zusammenhang mit seinem Einzug in Jerusalem ist aber besonders darauf hinzuweisen, welchen Platz der Ölberg in den Endzeiterwartungen Israels einnimmt. Sach 14 erzählt vom endzeitlichen Sieg Gottes über alle Völker: «Seine Füsse werden an jenem Tag auf dem Ölberg stehen, der im Osten gegenüber Jerusalem liegt (…). Dann wird der Herr König sein über die ganze Erde» (Sach 14,4.9). Und nun ist es Jesus, der «im Namen des Herrn» (Mk 11,9) vom Ölberg her als König in Jerusalem einzieht.

Es erstaunt, dass die Geschichte um das Beschaffen des Esels für den Einzug so grossen Raum einnimmt. Warum werden um diese Nebensache so viele Worte (mehr als die Hälfte des Textes!) gemacht? Es geht nicht nur darum, dass sich dabei das wunderbare Vorauswissen Jesu zeigt: Es geschieht alles genau so, wie Jesus es vorausgesagt hat. Vor allem aber hat das Reittier eine besondere Bedeutung. Im Segen des sterbenden Stammvaters Jakob über seinen Sohn Juda heisst es (Gen 49,10–11): «Nie weicht von Juda das Zepter, der Herrscherstab von seinen Füssen, bis der kommt, dem er gehört, dem der Gehorsam der Völker gebührt. Er bindet am Weinstock sein Reittier fest, seinen Esel am Rebstock.» Die Weissagung in Sach 9,9 betont ebenso deutlich wie sprachlich schwerfällig, dass der Messiaskönig «auf einem Esel, auf einem Fohlen, dem Jungen einer Eselin» reitet, weil er demütig ist. Daher wurde in der jüdischen Erwartung der Esel das Reittier des Messias.2 Dreimal (11,2.4.5) wird das Losbinden (vgl. Gen 49,11) des jungen Esels, «auf dem noch nie ein Mensch gesessen hat», von Mk erwähnt. Er ist das Reittier des Messias aus Juda.

Den königlich-messianischen Charakter des Einzugs Jesu machen aber vor allem das Verhalten und die Jubelrufe der Leute, die Jesus begleiten, deutlich. Sie breiten ihre Kleider auf der Strasse aus und streuen Zweige auf seinen Weg. Ihr Jubelruf ist ein Zitat aus Ps 118,25–26, das auf bezeichnende Weise erweitert wird. Die zitierte Stelle aus Ps 118, einem der Hallel-Psalmen, die sowohl beim Laubhütten- wie beim Osterfest eine besondere Rolle spielen, ist ursprünglich ein Segensgruss der Priester an die Festpilger bei ihrem Einzug in den Tempel: «Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn. Wir segnen euch vom Haus des Herrn her. Gott, der Herr, erleuchte uns. Mit Zweigen in den Händen schliesst euch zusammen zum Reigen, bis zu den Hörnern des Altars!» Bei Mk wird der Segensgruss an die Pilger durch die Beifügung in 11,10 zur jubelnden Begrüssung des Messiaskönigs: «Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn. Gesegnet sei das Reich unseres Vaters David, das nun kommt.» Mit dem Einzug Jesu in Jerusalem beginnt die Herrschaft des Davidssohnes, des Messias.

Eigentlich müsste die Erzählung jetzt weitergehen mit dem jubelnden Empfang durch Jerusalem, die Tochter Zion. Aber nichts davon geschieht. Es mutet nach dem jubelnden Festzug vor der Stadt geradezu prosaisch an, wenn es heisst, dass Jesus in den Tempel ging und sich alles anschaute – offenbar ohne Aufsehen zu erregen –, bevor er zum Übernachten wieder nach Betanien zurückkehrte. Später werden wir erfahren, dass die Bevölkerung Jerusalems die Kreuzigung Jesu verlangt.

Mit Markus im Gespräch

Dem aufmerksamen Leser fällt vielleicht auf, dass bei allen mehr als deutlich aufgetragenen königlichen Farben in der Erzählung vom Einzug die Bezeichnung «König» nie fällt. Das Markusevangelium braucht den Königstitel für Jesus konsequent nur in der Passionserzählung («König der Juden» in Mk 15,2.9.12.18, «König von Israel» in Mk 15,32) und ausschliesslich im Munde seiner Feinde. Er stirbt unter der Inschrift: «Der König der Juden» (Mk 15,26).

Für Mk gibt es keinen Zweifel: Jesus ist der Messiaskönig. Seine Jünger feiern ihn beim Einzug in Jerusalem als solchen. Aber «die Tochter Zion» (Sach 9,9), Jerusalem selbst und seine Bewohner, vor allem die Führer des Volkes, jubeln nicht mit. Für sie ist er kein König und kein Messias, sondern ein gefährlicher Unruhestifter. Sie verlangen seine Hinrichtung. Die Kreuzesinschrift, die seine Schuld festhält, wird für den glaubenden Hörer oder Leser des Evangeliums zur Proklamation seiner Würde als Messiaskönig und zur Proklamation der Art seines Königtums.

Der Einzug in Jerusalem im Markusevangelium – und damit die Liturgie des Palmsonntags – bringt das Paradoxe des Königtums Jesu erzählerisch zum Ausdruck. Für die Jünger und alle, die an ihn glauben, ist er der erwartete Messiaskönig, der die Verheissung des Propheten Sacharja erfüllt. Er reitet auf dem Esel, den Juda festgebunden hat (vgl. Gen 49,11) und der nun losgebunden wird, um dem Messias als Reittier zu dienen. Jesus ist nicht ein König der üblichen Art, kein König auf dem hohen Ross, sondern ein König auf dem Esel. «Er ist demütig» (Sach 9,9) und offenbart sein Königtum am Kreuz. Der königliche Einzug Jesu in Jerusalem findet seine Fortsetzung in der Kreuzigung als König der Juden. Das «Hosanna» seiner Begleiter am Ölberg (11,9–10) wird zum «Kreuzige ihn» der Volksmenge (15,13–14).

Das bleibt für alle, die heute an Jesus glauben, gültig: Sein Königtum ist für immer verbunden mit dem Kreuz. Das prägt auch jene, die ihm nachfolgen. Das ist oft schwer zu ertragen. Machtlosigkeit in dieser Welt zu erfahren, ist auch für die Kirche ein schwerer, aber unausweichlicher Weg. Es ist ihr Weg der Nachfolge. Wenn sie heute vom hohen Ross heruntersteigen muss, ist das schmerzhaft. Aber es bringt sie ihrem Messiaskönig Jesus näher. Er ist wirklich ein König, aber nicht ein König auf dem hohen Ross wie jene, die in der Welt das Sagen haben, sondern ein König auf dem Esel, ein demütiger König, «der gerecht ist und hilft» (Sach 9,9), gerade durch seinen Tod am Kreuz.

 

1 Vgl. B. Kinman: Jesus’ «Triumphal Entry» in the Light of Pilate’s, in: NTS 40 (1994), 442–448.

2 Vgl. R. Pesch: Das Markusevangelium II. Teil (= HThK II/2). Freiburg 1977, 178–179.