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Was ist leichter?   

Katharina Schmocker Steiner zum Evangelium am 7. Sonntag im Jahreskreis: Mk 2,1–12, SKZ 5/2012

 

In diesem Jahr fällt der 7. Sonntag im Jahreskreis auf den Fasnachtssonntag. Wer sich ins Fasnachtsgetümmel stürzt, mag vor allem die ausgelassene Stimmung, die Buntheit und Vielfältigkeit, die Musik, das pulsierende Leben wahrnehmen und geniessen. Wer hingegen langsam genug hat oder mehr zufällig hineingerät, und dies vielleicht ebenfalls beim Versuch, nach Hause, zur Ruhe zu kommen, fühlt sich schnell bedrängt und eingeengt, in seiner Bewegungs-, Handlungs- und auch, durch den Lärm und die Unruhe, in seiner Wahrnehmungsfähigkeit eingeschränkt. Die Lebhaftigkeit der Anderen wirkt sich auf einmal ermüdend, ja lähmend auf den/die Betroffene/n aus. Da wäre es manchmal nicht schlecht, man könnte über die Dächer entfliehen.

«… was in den Schriften geschrieben steht»

Seit der Heilung eines Aussätzigen, der überall von seinem Erlebnis erzählt, zeigt sich Jesus nicht mehr in Städten und hält sich nur noch an einsamen Orten auf (Mk 1,45). Er versucht immer wieder, sich zurückzuziehen, doch Ruhe und Alleinsein werden ihm ständig verwehrt. Alle suchen ihn (Mk 1,37). Was mag ihn dazu veranlasst haben, doch wieder nach Kafarnaum zu gehen, wo sich schon einmal die ganze Stadt vor der Haustür versammelt hatte (Mk 1,33)? Hat er resigniert, weil seine Rückzugsversuche nichts brachten, weil dennoch «die Leute von überallher zu ihm» kamen? Vielleicht aber hoffte er auch, sich aus der Öffentlichkeit zurückziehen zu können, indem er in einem Privathaus Zuflucht suchte, wo er schon einmal gastierte, denn es ist nicht unwahrscheinlich, dass es sich wiederum um das Haus von Simon und Andreas handelt wie bereits in Mk 1,29. Die Rechnung ist nicht aufgegangen, denn diesmal versammelt sich die Stadt nicht nur vor der Haustür. Die Formulierung «nicht einmal mehr vor der Tür war Platz» lässt schliessen, dass im Haus noch viel weniger Raum war.

Anders als beim ersten Aufenthalt scheint Jesus diesmal zunächst nicht mit Heilen beschäftigt zu sein, sondern er unterhält sich mit den Leuten (elalei). Es scheint sogar äusserst schwierig gewesen zu sein, noch jemanden, der der Heilung bedurfte, zu Jesus bringen zu können. Die vier, die den Gelähmten herantragen, können nicht durch die Volksmenge (ochlos) hindurch zu Jesus vordringen. Offenbar vermag ihn diese noch stärker abzuschirmen als das Haus und das Dach des Hauses. Letzteres können die vier immerhin aufreissen (exhoryssein). Das schien niemanden zu stören, obwohl wahrscheinlich auch Lehmbrocken und Dreck ins Haus hinein gefallen sind, vielleicht sogar auf Jesus, denn sie gruben das Loch «dort, wo er war». Es dürfte auch nicht ganz geräuschlos möglich gewesen sein. Und es entstand ein rechter Sachschaden, denn immerhin musste das Loch etwa zwei Meter lang und knapp einen Meter breit gewesen sein, damit sie den Gelähmten auf seiner Liege hinablassen konnten. Dennoch wird keine Bestürzung, kein Protest gegen diesen Einbruch geschildert.

Die meisten werden davon ausgehen, dass die vier Träger all diesen Aufwand treiben, weil sie möchten, dass der Gelähmte von Jesus geheilt wird. Jesus aber sieht ihren Glauben und als Antwort darauf spricht er dem Gelähmten die Vergebung seiner Sünden zu. Die anschliessend geschilderte Reaktion einiger Anwesender kann nur von Schriftgelehrten kommen. Wo sich das Volk aufgrund seiner Erfahrungen beim letzten Aufenthalt von Jesus (Mk 1,32–34) vermutlich eher fragt, warum er den Gelähmten (aus Mitleid oder als Lohn für die Mühen der vier Träger und als Anerkennung ihres Glaubens) nicht heilt, entdecken sie eine Gotteslästerung, allerdings nicht in der verweigerten Heilung. (Wunder-)Heilungen und Dämonenaustreibungen scheinen zwar in Ordnung zu sein (wenn sie nicht an einem Sabbat stattfinden), wenngleich diese Taten andernorts für den Anbruch des Gottesreiches stehen (Mt 11,2–6) und damit Jesu Vollmacht belegen. Sünden zu vergeben ist jedoch nach dem Verständnis der genannten Schriftgelehrten allein Gott vorbehalten. Obgleich Krankheiten oft als Strafe für begangene Verfehlungen betrachtet wurden, lassen sie diesen engen Zusammenhang im umgekehrten Sinn offenbar nicht gelten. Dabei heisst es in Ps 103,2 f.: «Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat: der dir all deine Schuld vergibt und all deine Gebrechen heilt.» Genau dies tut Jesus mit dem Gelähmten. Er spricht ihm Sündenvergebung zu und lässt ihn (dadurch) aufstehen und gehen. Das Volk verblüfft die so vollzogene Heilung trotz ähnlicher Erfahrungen offensichtlich so sehr, dass der Geheilte mitsamt seiner Bahre hindurchgehen kann, wo vorher kein Zugang möglich war.

Mit Markus im Gespräch

Jesu Erfolg zu Beginn seines Auftretens scheint ihn, jedenfalls in der Darstellung nach Markus, eher zu überrumpeln und zu überrollen, als ihn zu freuen und zu beflügeln. Mehrfach versucht er, sich der Menge zu entziehen, ohne Erfolg. Das Haus in Kafarnaum, in das er schliesslich zurückkehrt, erweist sich regelrecht als Falle. Jesus ist eingekesselt, eingeschlossen, so dass niemand mehr zu ihm vordringen kann – und auch er kann nicht weggehen. Obwohl die Einheitsübersetzung ihm noch zugesteht, dass er das Wort verkündet, lässt das zugrunde liegende griechische Wort lalein eher auf eine Unterhaltung denn auf eine Belehrung oder Verkündigung (keryssein) schliessen. Jesus kann noch mit den Leuten reden, doch im Übrigen ist er nahezu paralysiert, gelähmt. Es sind die vier von den Anwesenden nicht weiter beachteten und auch vom Erzähler nicht weiter gewürdigten namenlosen Träger, die sich zu Jesus regelrecht durchbohren und ihm so zu einem Ausweg, einer neuen Perspektive verhelfen. Sie zwingen seinen Blick nach oben, lassen ihn ihren Glauben sehen und bringen ihn dazu, seine Vollmacht wieder in Anspruch zu nehmen.

Jesus entspricht als Erwiderung ihrer unausgesprochenen und doch tatkräftig bekundeten Bitte, indem er auch dem Gelähmten seine Bewegungsfreiheit zurückgibt, nachdem er ihn (von der Ursache der Lähmung) freigesprochen hat.

Jesu Argumentation zufolge ist es dabei müheloser, Sünden zu vergeben, als Krankheiten zu heilen, denn er vollbringt das Schwierigere, um die Zweifler dazu zu bringen anzuerkennen, dass er also auch das Einfachere vermag. Wie aber kann etwas, das Gott vorbehalten ist, einfacher sein als etwas, das Menschen zugestanden wird? Vielleicht weil wir uns des Erbarmens Gottes sicherer sein können als der Bereitschaft der Menschen, die Krankheit (wie geartet sie auch sein mag) loszulassen und wieder selber Verantwortung für sich zu übernehmen. Die vier Träger haben nicht nur an Jesu Vollmacht geglaubt, sondern auch an die Möglichkeit, dass der Gelähmte aufstehen und gehen kann und will, obwohl es für ihn auf eine Art einfacher gewesen wäre, sich wieder wegtragen und weiterpflegen zu lassen als nicht nur aufzustehen, sondern auch die Trage selbst wegzutragen. Es ist leichter, zu dem Gelähmten zu sagen: Deine Sünden sind dir vergeben, als zu sagen: Steh auf, nimm deine Tragbahre und geh nach Hause (Mk 2,11), denn es ist möglich, dass ein Mensch seine Heilung nicht annimmt. Es ist jedoch undenkbar, dass Gott dem, der darauf vertraut, dass er «dir all deine Schuld vergibt und all deine Gebrechen heilt» (Ps 103,3), die Heilung verweigert.