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Die rechte Zeit für die frohe Botschaft   

Winfried Bader zum Evangelium am 3. Sonntag im Jahreskreis: Mk 1,14–20, SKZ 51-52/2011

 

Das Jahr hat die ersten Schritte schon hinter sich, so wie das Markusevangelium auch schon die ersten Schritte mit Johannes dem Täufer, der Taufe Jesu und seiner anschliessenden Zeit in der Wüste hinter sich hat, bis es zum heutigen Text kommt, der das Thema für den Rest des Jahres und des Markustextes eröffnet.

« … was in den Schriften geschrieben steht»

«Nachdem Johannes der Täufer ins Gefängnis geworfen war» (Mk  1,14) ist weniger eine konkrete geschichtliche Zeitangabe, sondern ein Programm: Das heilsgeschichtliche Schema braucht für Jesus diesen Vorläufer; das Leiden des Johannes durch die Gefängnisstrafe weist zurück auf die leidenden Propheten, die Verachtung (Gottesknecht z. B. Jes 53) und auch Gefängnisstrafen (Jeremia selbst in z. B. Jer 39,15); es weist gleichzeitig voraus auf das Schicksal von Jesus selbst.

«Ging Jesus wieder nach Galiläa» (Mk 1,14). Dem Itinerar der Anfangsverse folgend, verlässt also Jesus wieder die Gegend des südlichen Jordanlaufs und begibt sich in seine Heimat Galiläa. Die Bedeutung von Galiläa ist aber weit mehr als nur ein «nochmals nach Hause» von Jesus bei seiner Wanderschaft. Der Gesamtweg des Evangeliums hat diese Struktur von Galiläa nach Jerusalem. Das Evangelium von Jesus Messias musste um das Jahr 70 und danach so und nicht anders erzählt werden. «Der Leidensweg des Rabbi von Nazareth und der Leidensweg des jüdischen Volkes im Krieg, der in Galiläa begann und in Jerusalem endete, erklären sich so gegenseitig. Für die Judäer, die in diesem Mann aus Nazareth den Messias erblickten, war Jesus Stellvertreter Israels – und so, nur so – Stellvertreter der Menschheit. Sein Ende ist das Ende Israels, seine Zukunft ist die Zukunft Israels, sein Anfang in Galiläa ist der Anfang Israels – und so, nur so, Ende, Zukunft und Anfang aller Kinder Adams. Der Weg ist die Struktur. Der Weg des Nazareners, der Weg des jüdischen Volkes» (Ton Veerkamp: Römer, Christen und Dämonen, in: Texte und Kontexte 13, 1982, S. 6). Der Weg geht hin zur Katastrophe des Kreuzes als einen grossen Leidensweg der Passion, von der Markus erstmals zu reden beginnt. Die Logienquelle vor Markus kennt kein Leiden Jesu. Der Weg führt nach Jerusalem, im Jahre 70 ein Unort, vergleichbar mit Hiroshima am 7.  August 1945. Was hier noch geschehen kann, ist utopisches, ortloses Geschehen jenseits der Realität, von vorneherein ein Irrealis.

Jesus verkündet jetzt das «Evangelium Gottes» (Mk 1,14). Nicht mehr das «Evangelium Jesu Christi» (Mk  1,1), denn den Weg Jesu nach Jerusalem kann man jetzt im Jahr 70 in Parallele zum Kriegsverlauf nicht als frohe Botschaft erzählen, sondern es wird von Gott her verstanden, Jesus ist nur der Bote – und wie alle Boten (Propheten) Gottes dem Schicksal des Gottesknechts ausgeliefert –, wie ihn Jesaja beschreibt: «Wie willkommen sind auf den Bergen die Schritte des Freudenboten, der Frieden ankündigt, der eine frohe Botschaft bringt und Rettung verheisst, der zu Zion sagt: Dein Gott ist König»
(Jes 52,7). Der Targum ändert den Schluss leicht ab: «Die Königsherrschaft deines Gottes ist offenbar geworden.» Das gibt das Thema für die Rede Jesu vor.

«Die Zeit ist erfüllt» (Mk 1,15). Die Rede ist hier nicht von chronos, der vergehenden zerrinnenden Zeit, sondern vom kairos, der rechten und geeigneten Zeit. Es ist eine prophetisch-apokalyptische Sprache, die weiss, dass Gott die Zeiten festlegt: «Da wurde den Heiligen des Höchsten Recht verschafft und es kam die Zeit, in der die Heiligen das Königtum erhielten» (Dan 7,22). «Die Zeit kommt; der Tag ist nahe» (Ez 7,12). Es ist die Zeitenwende, der Anbruch der Endzeit, der mit dem richtigen Kairos kommt. Es ist diese Hoffnung, entgegen aller Zerstörung, die jetzt nur der verkünden kann, der selbst am eigenen Leib das Bibliodrama des Untergangs des Volkes gespielt hat.

Er verkündet das «Reich Gottes» (Mk 1,15) die basileia tot theou – der zentrale Begriff seiner Verkündigung, der in der Theologiegeschichte die grösste Wirkung hatte. Wie sollte das übersetzt werden? Die Übersetzung «Herrschaft Gottes» entspricht zwar den Belegen des Ersten Testaments, wo Gott als Herr dargestellt wird. Sie entspricht der leider den hebräischen Text verfälschenden griechischen und deutschen Übersetzungstradition, den liebevollen Gottesnamen Ich-bin-da knapp 6000 Mal als Herr wiederzugeben und somit den Eindruck zu erwecken, es ginge in der Bibel um das Herrsein Gottes. Jesu sonstiges Reden entspricht nicht diesem Gedanken, und Herrschaft Gottes hiesse griechisch auch theokratia.

«Königreich Gottes» knüpft an das Königssein Gottes im Ersten Testament an. Explizit ist aber die hebräische Wurzel MLK nur 50 Mal in Zusammenhang mit Gott genannt. Verwendet man trotzdem den Begriff «Königreich Gottes», ist aber die ganze Kritik des Ersten Testaments an den irdischen Königen mitzuhören, und Gott als König kann dann nur der ganz andere König sein.

Die Übersetzung «Reich Gottes» betont die geschichtliche Präsenz des göttlich Gewirkten. Es verbreitet sich hier auf der Erde wie das Reich einer Grossmacht. Reich Gottes ist ein utopischer Begriff, aber nicht im Sinne einer Jenseitsvertröstung (was leider, gefördert durch das matthäische basileia ton ouranon, Himmelreich, von vielen so falsch verstanden wird). Es ist eine Utopie, die den Unort Jerusalem im Jahr 70 ersetzen kann.

Moderne Übersetzungen sprechen von «Gottes gerechter Welt», treffen mit dieser wenig markanten Begrifflichkeit aber den Inhalt und das Wesen der Botschaft vom Reich Gottes sehr gut: Es ist im Hier und Jetzt, es ist so «nahe» (Mk 1,15), dass es jetzt schon beginnt. Das Reich Gottes ist angekommen und wird sich von jetzt ab durchsetzen.

Die Reaktion auf diese Botschaft soll die Umkehr sein. Im griechischen Sprachgebrauch ist metanoia zunächst einfach «seine Meinung ändern» mit negativer Konnotation. Biblisch heisst es, seinen Weg ändern, in eine andere Richtung gehen und wäre dann – verspätet – ein Ruf an die Kriegführenden im jüdischen Krieg, diesen Weg nicht zu gehen.

An das Evangelium glauben (Mk 1,15) hat bei Markus die Nuance, dem Evangelium zu vertrauen, dem «Freudenbote» Jesus dieses Vertrauen zu schenken. Die Annahme oder Ablehnung des Evangeliums gehört zur Konzeption des markinischen Werks.

Mit Markus im Gespräch

Markus stellt den Leidensweg Jesu und des jüdischen Volks zu seiner Zeit und seine Freudenbotschaft des Evangeliums nebeneinander. Es wird nicht versucht, theologisch zu vermitteln. Dadurch ist es so ehrlich, in seiner enormen Spannung auf eine gewisse Art menschlich. Die Reaktion auf diese Evangeliums-Kurzformel (Mk 1,15) ist das Nachfolgen. Ohne Diskussion und ohne Zögern, ohne Wissen, worauf sie sich wirklich einlassen und was das Ziel ist, gehen sie den Weg nach, erspielen am eigenen Leib diese Rolle des biblischen Dramas – anders lässt sich Christsein nicht leben.