Wir beraten

Stimme aus dem Himmel – Stimmen der Schrift   

Peter Zürn zum Evangelium am Fest Taufe des Herrn: Mk 1,7–11, SKZ 51-52/2011

In der SKZ 46/2011 habe ich über das Potential des Lesejahres geschrieben. Es besteht in drei Kontexten, in die sich jeder Evangelientext stellen lässt: dem des entsprechenden Textes in den anderen Evangelien, dem des Bibelkanons, mit dem er verwoben ist, und dem des gesamten Evangeliums, zu dem er gehört. Erproben wir dieses Potential.

Markus im Gespräch mit den anderen Evangelisten

Mk setzt bei der Taufe Jesu andere Akzente als Mt, Lk und Joh. Zwei Beispiele:1. Mk benennt genauer als Mt und Lk, von woher Jesus zur Taufe kommt: «aus Nazaret in Galiläa». Das ist wenig verwunderlich. Schliesslich erzählt er die Herkunft Jesu nicht mittels einer Geburtsgeschichte, die an bestimmten Orten spielt wie Mt und Lk. Mk fügt diesen beiden, die miteinander verwoben unsere Weihnachtsgeschichte bilden, eine dritte Anfangsgeschichte hinzu, die die Herkunft Jesu in der Schrift verortet: «Es begann, wie geschrieben steht.» Historisch gesehen, gibt Mk diese Herkunftsgeschichte vor, und Mt und Lk entfalten sie auf ihre Weise erzählerisch. Wie sähe eine «Weihnachtskrippe» nach Mk aus?

2. Jesus macht bei Mk die Gotteserfahrung «als er aus dem Wasser stieg»: unspektakulär und profan; Mt betont die Taufe, Lk erwähnt ein Gebet Jesu. Bei Mk ist es ausdrücklich nur Jesus, der sieht, was ihn mit Gott in Beziehung bringt, und bei Mk wird Jesus auch persönlich angesprochen: «Du bist mein geliebter Sohn»; die Formulierung bei Mt und Lk («das ist …) setzt Zuhörer/innen voraus; bei Joh ist es der Täufer, der sieht und hört und öffentlich bezeugt. Mk ist ganz modern: Gotteserfahrungen finden überall statt, andere können äusserlich das Gleiche erleben, ohne es mit Gott in Beziehung bringen.

« … was in den Schriften geschrieben steht»

Die Stimme aus dem Himmel zitiert aus der Schrift (Mk  1,11). Das Zitat ist ein Gewebe mit Fäden aus Ps  2,7 und Jes 42,1. Ps  2 verweist auf den König aus dem Haus David, den Gott Sohn nennt, Jes auf den erwählten Knecht Gottes, an dem Gott Gefallen hat. Beide Figuren stehen stellvertretend für das Volk Israel. Sie verkörpern es. Jesus erfährt sich also als Teil des Volkes Israel angesprochen. Lk entfaltet das auch erzählerisch: Jesus lässt sich «zusammen mit dem ganzen Volk» taufen (3,21). Der Bezug zu Jes wird durch die AT-Lesung der Leseordnung verstärkt. David kommt über die Lesung aus Jes 55 (Vers 3) wieder ins Spiel. Im Gespräch mit Jes 55 bekräftigt die Taufe Jesu die Beziehung Gottes zu David und damit Gottes Beständigkeit auf ewig. Die Taufperikope vom offenen Himmel, der in Beziehung geht, lässt sich lesen als Midrasch zu Jes 55,9–12.

Im Zitat von Mk 1,11 ist einzig das Wort «geliebt» ein Überschuss über diese Schriftstellen hinaus. Zum Kontext von Ps 2 und Jes passt es allerdings. Explizit vom «geliebten Sohn» ist in Gen 22,2 die Rede. Der geliebte Sohn ist hier Isaak. Die spätere jüdische Tradition hat in der «Bindung Isaaks» die eigenen Erfahrungen in Pogromen und Verfolgungen abgebildet gesehen. Das ist eine Spur zum Kontext des ganzen Markusevangeliums (s.  u.).

Der Geist Gottes, der auf Jesus herabkommt, als der aus dem Wasser steigt, verweist auf das Schöpfungslied von Gen  1, wo der Geist Gottes über den Wassern schwebt. Die Erzählung von der Taufe ist eine Schöpfungsgeschichte. Die Gestalt der Taube weist – wie v. a. Silvia Schroer aufgezeigt hat – auf die Weisheitstheologie. Die Taube war zur Zeit Jesu und des Mk ein bereits 2000 Jahre altes Symbol der Liebesgöttin (Ischtar, Astarte, Aphrodite, Venus). In hellenistischer Zeit (z. B. bei Philo von Alexandria) wurde sie mit der Liebesbotschaft der göttlichen Weisheit/Sophia verknüpft. Auch die Weisheit ist mit der Schöpfung verbunden (Spr 8,22–31). Sie verweist aber auch auf den Exodus (Weish 10–11). Auch dazu gleich mehr. In der Figur der Sophia erscheint Gott als Liebende, Einladende und Beschenkende (Weish 6,14–16; 8,3; 9,4; Spr 9,1–5). Die Weisheitstheologie ist Echo auf Erfahrungen Israels in und nach der Exilszeit (u. a. auf die Rolle von Frauen beim Wiederaufbau). Die Weisheit füllt in der Beziehung zu Gott die Lücke, die der Untergang des Königtums und des Tempels hinterliess. Sie wirkt im Haus und auf der Strasse, bringt also – wie Jesus bei der Taufe – Gottesbegegnung in einen alltäglichen, unspektakulären und profanen Kontext. Weisheit steht für Weltoffenheit, für das Zugehen auf Menschen anderer Kulturen – auch ein Zugang zum Markusevangelium als Ganzem.

Mit Markus im Gespräch

Mk reagiert auf die Zerstörung Jerusalems und des Tempels, auf das wieder vor Israel liegende Exil. Die Jesusgestalt in der Tauferzählung weist auf die Tradition der Weisheit hin, die schon einmal dazu beigetragen hat, mit solchen Erfahrungen um- und weiter zu gehen. Die Weisheit zeigt Gott als Kraft, die Israel zum Leben inmitten der Völker einlädt.

Aber ist das der richtige Weg, nachdem Jerusalem gerade im Ansturm der fremden Völker (verkörpert durch die Römische Armee) untergegangen ist? Gilt es nicht vielmehr, dem Gott der Bibel gegen die herrschenden Gross- und Chaosmächte treu zu bleiben? Gen 1 entsteht als Reaktion auf das Exil in Babylon und singt ein Lied davon, dass Gott den Chaosmächten Grenzen setzt. Auch darauf weist Mk hin. Er weiss aber auch, dass dieses Wirken Gottes das geliebte Kind Israel nicht davor bewahrt, gebunden zu werden wie Isaak.

Weltoffenheit oder Abgrenzung? Neugier oder Widerspruch? Was hilft zur Klärung des weiteren Weges? Der «geliebte Sohn» aus Mk 1,11 verweist auf die Geschichte von der Verklärung in Mk 9. Die Verklärung ist eine Klärung. Sie macht den Jüngerinnen und Jüngern Jesu klar: «Auf ihn sollt ihr hören.» Das ist Zitat aus Dtn 18,15 und verweist auf Moses. Ein Prophet wie Moses ist dem Volk Israel verheissen. Auf ihn soll es hören. D. h. auf Jesus sollt ihr hören, weil er/wenn er wie Moses ist. Moses verkörpert in der Klärungsgeschichte die Tora ( so wie Elija die prophetischen Schriften verkörpert). Für die Jüngerinnen und Jünger Jesu klärt sich also, dass sie, wenn sie auf Jesus hören, auf die Tora hören sollen. Mit Jesus die Tora lesen, das ist Weisung für den angebrochenen Weg im Exil, den Weg mit den Völkern.

In Dtn 18,15 f. wird verheissen, dass sich im Hören auf den Propheten wie Moses alles erfüllt, worum das Volk bei der Begegnung mit Gott am Sinai gebeten hatte. Damals wollte das Volk die donnernde Stimme Gottes nicht noch einmal hören und das Feuer Gottes nicht noch einmal sehen. Stattdessen sollte Moses/die Tora zwischen das Volk und Gott treten (in Ex 20,19 wird das erzählerisch ausgestaltet). Keine schlechte Sicherung gegen Führer mit direktem Draht zu Gott. Aber zugleich Ausdruck der bleibenden Sehnsucht nach persönlicher Gottesbegegnung. Jesus, mit Israel verbunden, begegnet am Jordan Gott ganz persönlich (er hört die Stimme und sieht den Geist, der in Apg 2 ja als Feuer erscheint). Und es klärt sich – spätestens auf dem Berg, der auf den Sinai verweist – dass dieser Jesus mit Mose/der Tora und der ganzen Schrift im Gespräch ist.