Wir beraten

Weisheit aus dem Nahen Osten   

Hans Rapp zum Evangelium am Fest Erscheinung des Herrn: Mt 2,1–12, SKZ 51-52/2011

 

Es gibt wenige biblische Texte, die so tief in die Volkskultur des Abendlandes eingegangen sind wie die Erzählung der Weisen aus dem Morgenland. In katholischen Gegenden kommen sie noch heute als Sternsinger in jeden Haushalt, segnen das Haus und bringen über dem Türstock der Eingangstür das charakteristische 20*C+M+B*12 an, wobei das C, M und B nicht für die Namen der Weisen, sondern für den Segen «Christus Mansionem Benedicat» steht. Sie sammeln Geld für Entwicklungsprojekte. Einer der drei kleinen Könige ist jeweils schwarz angemalt und steht für den Afrikaner, alle drei sind sie deutlich «morgenländisch» gekleidet. Sie kommen eben aus dem Nahen Osten. Für viele Menschen ist diese Weltreligion gleichbedeutend mit Unterentwicklung, Gewalt oder Terrorismus. Im Ersten Testament war die Region zwischen Euphrat und Tigris mit den Reichen der Assyrer und Babylonier kulturell sehr hoch entwickelt. Sie war einerseits kulturelle und religiöse Impulsgeberin, andererseits aber immer auch eine Gegend der Bedrohung, hatten doch die Assyrer das Nordreich und die Babylonier das Südreich Juda und den Tempel zerstört.

Wie es in den Schriften geschrieben steht

Die Perikope beginnt mit einem Nebensatz: «Als Jesus geboren wurde in Bethlehem in Judäa, in den Tagen des Herodes, des Königs …» (Mt 2,1). Tatsache, Ort und Zeit der Geburt Jesu wird darin stichwortartig abgehandelt. Darauf folgt der erste Hauptsatz: «Siehe! Magoi aus dem Osten kamen nach Jerusalem». Diese Magoi bringen die Handlung in Schwung. Ihre Frage ist einfach: «Wo ist der König der Juden, der geboren worden ist? Wir sahen seinen Stern im Osten und wir kamen, uns vor ihm niederzuwerfen.»

Matthäus webt in seiner Erzählung von den drei Magoi aus dem Osten einen dichten Teppich aus ersttestamentlichen und zeitgenössischen Motiven und Zitaten. Da ist zunächst der Verweis auf «den Propheten». Die Auskunft der jüdischen Schriftgelehrten auf die Frage, wo der König Israel geboren werde, lautet: «In Betlehem in Judäa; denn so steht es bei dem Propheten: Du, Betlehem im Gebiet von Juda, bist keineswegs die unbedeutendste unter den führenden Städten von Juda; denn aus dir wird ein Fürst hervorgehen, der Hirt meines Volkes Israel» (Mt 2,5–6). Gemeint ist der Prophet Micha. Mi 5,1.3 ist allerdings sehr frei wiedergegeben. Wörtlich lautet das Zitat im Micha-Buch: «Aber du, Betlehem-Efrata, so klein unter den Gauen Judas, aus dir wird mir einer hervorgehen, der über Israel herrschen soll. Sein Ursprung liegt in ferner Vorzeit, in längst vergangenen Tagen. (…) Er wird auftreten und ihr Hirt sein in der Kraft des Herrn, im hohen Namen Jahwes, seines Gottes. Sie werden in Sicherheit leben; denn nun reicht seine Macht bis an die Grenzen der Erde.» Es verweist auf Bethlehem als Heimatort eines Herrschers, der das Volk Gottes hüten wird. Gemeint ist im Michabuch David und seine Dynastie, das Vorbild jedes Königs in Israel. Es ist auffällig, dass hier nicht von einem König die Rede ist, sondern allgemeiner von einem Herrscher. Herodes wird dagegen als König bezeichnet. Er stammte nicht aus Bethlehem. Seine Familie war in ihren Ursprüngen nicht einmal rein jüdisch. Das machte ihn seitens der Juden angreifbar. Er konnte brutal und gewalttätig sein, war aber in seinen besten Zeiten auch Realpolitiker.

Ein zweites Motiv, das im Hintergrund der Erzählung steht, ist die prophetische Vision, dass am Ende der Zeiten die Völker nach Jerusalem strömen und ihre Reichtümer mit sich bringen würden. Der ersttestamentliche Lesungstext zum Fest der Erscheinung des Herrn drückt diese Vision wunderschön aus: «Völker wandern zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Glanz. Blick auf und schau umher: Sie alle versammeln sich und kommen zu dir. Deine Söhne kommen von fern, deine Töchter trägt man auf den Armen herbei. Du wirst es sehen, und du wirst strahlen, dein Herz bebt vor Freude und öffnet sich weit. Denn der Reichtum des Meeres strömt dir zu, die Schätze der Völker kommen zu dir. Zahllose Kamele bedecken dein Land, Dromedare aus Midian und Efa. Alle kommen von Saba, bringen Weihrauch und Gold und verkünden die ruhmreichen Taten des Herrn» (Jes 60,3–6). Statt wie bisher Israel auszuplündern, bringen die Völker ihre Schätze ins Heilige Land. Darunter, wie die Magoi, Weihrauch und Gold. In Stellen wie diesen wird deutlich, dass der Glaube Israels immer offen war auf andere Völker hin.

Im Gespräch mit Matthäus

Ein kleines Detail in der Erzählung von Matthäus lässt mich stutzen. Warum gehen die Magoi überhaupt zu Herodes? Weshalb vertrauen sie nicht voll und ganz ihrem Stern, der sie letzten Endes richtig führen wird? Herodes lässt seine Berater – Hohepriester und Schriftgelehrte des Volks – befragen, wo der «Christos», der Gesalbte, geboren werde (Mt 2,2). Diese ziehen ihre Antwort aus dem Buch des Propheten Micha. Wer aber sind diese seltsamen Magoi, die uns noch heute am Dreikönigstag besuchen? Sie lassen sich von einem Stern leiten. Es wäre daher möglich, diesen griechischen Begriff als «Astrologen» zu übersetzen. In der klassischen griechischen Literatur konnte er auch einen negativen Beigeschmack (Scharlatan) enthalten. Das Wort stammt aus dem Persischen und bezeichnet ursprünglich einen medischen Volksstamm. Eine biblische Spur führt ins Danielbuch, das im zweiten vorchristlichen Jahrhundert seine vorliegende Form erhalten hat. Im zweiten Kapitel des Danielbuches hat der König Nebukadnezzar einen beunruhigenden Traum von einem Standbild, das durch einen Stein zerstört wird. Der König verlangt von seinen Beratern, dass sie ihm den Traum und seine Deutung verraten. Unter diesen Beratern finden sich auch «Magoi». Es ist eine Übersetzung des Wortes ’ašš¯afîm, das wiederum ein Terminus Technicus für mesopotamische Ritualspezialisten ist. Diese Magoi sind also mehr als «Wissenschaftler». Sie könnten durchaus priesterliche Funktionen innegehabt haben. In der Welt des Danielbuches können sie gegenüber den Juden am Hof auch feindselig eingestellt sein (Dan 3). Der unmöglichen Aufgabe des Königs sind sie allerdings nicht gewachsen. Nur der jüdische Exulant Daniel ist dazu in der Lage, weil sein Gott ihm sowohl Traum als auch Deutung offenbart (Dan 2,19). Bei Matthäus ändert sich die Rolle und die Beurteilung der Magoi. Ihr Stern – und ihre Wissenschaft – führt sie durchaus auf den richtigen Weg. Und sie regen die jüdischen Schriftgelehrten dazu an, in den Schriften nach einem Hinweis auf den Messias zu suchen. Bei Matthäus braucht es beides, die jüdischen Schriftgelehrten und die Kenntnisse und Forschungen der Magoi, um den neu geborenen Messias zu finden. Deshalb schickt er die Magoi zuerst zu Herodes. Schrift und Stern: Beide führen sie zum Messias Israels und der Welt. Das sollte uns zu denken geben. Noch mehr zu denken geben sollte es uns, dass es Fremde und ausgerechnet die potentiellen Feinde aus dem Osten sind, die «ganz Jerusalem» auf die Geburt des Messias aufmerksam machen.