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Verstaubte Sandalen als Adventsbotschaft   

Winfried Bader zum Evangelium am 3. Adventssonntag (11.12.2011): Joh 1,6–8.19–28, SKZ 48/2011

 

Johannes der Täufer – er selbst sagt nur, was er nicht ist. Typisch für eine Umbruchzeit, typisch für den Advent als die Zeit des Noch-nicht.

« ... was in den Schriften geschrieben steht»

Johannes beginnt nach der Einleitung (Joh 1,1–5.6–18) sein Evangelium mit Johannes und erzählt uns, was der nicht ist: «Er war nicht das Licht» (Joh 1,8). Es ist «sein» Johannes, denn mit einer Negation nimmt ein Autor immer subjektiv Stellung, erzählt uns keine Tatsache, sondern seine Meinung; so wird die Figur «seine» Figur. Durch den Mund des Täufers legt der Evangelist sein Zeugnis ab. Sein Name jeho-channan = «JHWH hat sich als gnädig erwiesen» ist Programm.

Welches Licht ist er nicht? «JHWH ist mein Licht und mein Heil» (Ps 27,1). Johannes ist also nicht Gott gleich. Er ist auch nicht die Erleuchtung des Volks: «Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht» (Jes 9,1). Nicht einmal der Gesandte, um das Volk zu leiten: «Sende dein Licht und deine Wahrheit, damit sie mich leiten» (Ps 43,3).

Das Einzige was Johannes ist: «Ich bin Stimme eines Rufenden in der Wüste: Begradigt den Weg des Herrn!» (Joh 1,23). Er zitiert auf eigenwillige Weise den Propheten Jesaja: «Eine Stimme ruft: In der Wüste bahnt den Weg JHWHs! Ebnet in der Steppe eine Strasse für unseren Gott!» (Jes 40,3). Das Wort «Wüste» wird auf die konkrete Situation des Rufers bezogen. Bei Jesaja werden der Weg und die Strasse konkret durch die Wüste gebaut werden. Bei Johannes ist der Weg, der gebaut wird, ohne Ortsangabe und kann metaphorisch verstanden werden.

Statt des Verbs «ebnen» (so auch Markus und Matthäus) verwendet Johannes «begradigen». Es ist eine Anspielung auf Jos 24,23: «Begradigt eure Herzen zu JHWH hin» und Sir 37,15: «Bitte Gott, er möge in Wahrheit deinen Weg begradigen.» Der Weg, von dem Johannes spricht, ist ein Weg des Herzens geradlinig zu Gott hin.

Die Frage der Priester und Leviten, die von Jerusalem nach Johannes schicken, zeigt, wie sehr Johannes am Übergang zwischen den Testamenten steht. Mit ihren Sprach- und Denkkategorien des Ersten Testaments wollen sie ihn fassen: Bist du der Gesalbte? Ein politisch verstandener Messias würde sie beunruhigen, die Ordnung stören und ihr Arrangement mit den Römern empfindlich stören. Die Frage nach Elija, der bei lebendigem Leib entrückt wurde (vgl. 2 Kön 2,11), also nicht tot ist und daher zu jeder Zeit wieder kommen kann, ist gleichermassen politisch gefährlich. Die Zeloten nahmen sich Elija und sein Vorgehen gegen die 400 Baalspropheten (1 Kön 18,40) als Beispiel. «Ich sende euch den Propheten Elija, bevor der grosse und schreckliche Tag kommt, an dem ich, JHWH, Gericht halte» Mal 3,23), so schliessen die Prophetenbücher. In christlichen Bibeln wurden entgegen der hebräischen Reihenfolge gerade wegen dieses Satzes die Prophetenbücher ans Ende des Ersten Testaments gestellt. Es ist die Nahtstelle der Testamente. «Der Prophet» (Joh 1,21) schliesslich findet sich in Dtn 18,15: «Einen Propheten wie mich wird JHWH immer wieder aus euren Brüdern, aus eurer Mitte, berufen; auf den sollt ihr hören.» In Qumran war die Erwartung des Propheten verbreitet. Johannes lehnt all diese Titel ab. Er ist bescheiden und demütig. Er ist nur die Stimme – die Figur des Evangelisten.

Eine andere – so textkritisch richtig – Gruppe kommt, um den Täufer zu befragen. Es sind die Pharisäer. Sie interessieren nicht die politischen Fragen der Priester, sondern die theologische Frage: «Warum taufst du?» (Joh 1,25). Eine Antwort ist der Ort, wo sich Johannes aufhält: Bethanien, jenseits des Jordans, noch auf der Seite des Wüstenzugs Israels, noch vor dem Eintritt ins Gelobte Land. Beim Taufen steht Johannes im Jordan. Wer getauft wird, durchschreitet damit den Jordan, vollzieht den Einzug ins Land der Verheissung (vgl. Jos 3), in eine bessere Zukunft am eigenen Leib mit. Johannes tauft dort, wo die 12 Steine «in der Mitte des Jordan» (Jos 4,9) an den Durchzug und die Bundeslade, das Gesetz des Ersten Bundes erinnern sollen. Die neue Zukunft liegt aber nun nicht im Land, sondern in der Person des «Kommenden» (Joh 1,26). Sie wird charakterisiert: «Ich bin nicht würdig, seinen Schuhriemen zu lösen» (Joh 1,27). Was ist an diesen verstaubten Schuhen so bedeutungsvoll? Markus fokussiert auf den niedrigen Dienst: «Ich bin es nicht wert, mich zu bücken, um ihm die Schuhe aufzuschnüren» (Mk 1,7). Bei Matthäus klingt es ganz anders: «Ich bin nicht tauglich, seine Schuhe zu tragen» (Mt 3,11). Die Demut des Bückens ist offensichtlich nicht die eigentliche Aussage. Im alten Orient ging man meist barfuss. Sandalen bedeuteten einen Besitz, auf dem man fest mit beiden Füssen stand. Seinen Schuh konnte man auf etwas werfen, um davon Besitz zu ergreifen: «Auf Edom will ich meinen Schuh senden» (Ps 60,10). Der Schuh ist Symbol für den ganzen Besitz. «Früher bestand in Israel folgender Brauch: Um ein Löse- oder Tauschgeschäft rechtskräftig zu machen, zog man den Schuh aus und gab ihn seinem Partner. Das galt in Israel als Bestätigung» (Rut 4,7). Wer sich an das Leviratsgesetz nicht hält, muss barfuss gehen und wird verspottet: «Wenn der Mann aber seine Schwägerin nicht heiraten will (…), dann soll seine Schwägerin vor den Augen der Ältesten zu ihm hintreten, ihm den Schuh vom Fuss ziehen, ihm ins Gesicht spucken» (Dtn 25,7.9). Die Symbolik blieb lebendig. Im Testament der Zwölf Patriarchen wird berichtet, Simeon und Gad hätten vom Geld aus dem Verkauf ihres Bruders Josef ihren Kindern Schuhe gekauft, um auf diese Weise Josef zu zertreten. Als Strafe wurden ihnen bei ihrem Besuch in Ägypten dann von Gott die Schuhe gelöst, so dass sie barfuss vor Josef treten mussten, um sich ihm zu unterwerfen. Wer dem anderen die Schuhe löst, nimmt ihm Macht und Besitz ab.

Wenn Johannes dem Kommenden nicht die Schuhriemen löst, heisst das, er erkennt seine Macht an, er will dem Kommenden nichts von seiner Grösse wegnehmen. Er lehnt für sich alle Titel deswegen ab, weil sie nur dem Kommenden zustehen.

Mit Johannes im Gespräch

Was ist nun die Botschaft des Johannes? Von sich selbst sagt er: Ich bin es nicht, ich bin eine Stimme. Von dem anderen sagt er: Ihr kennt ihn nicht. Die einzig positive Botschaft liegt somit in den verstaubten Sandalen des Kommenden. Sie zeichnen ihn aus als einen Mächtigeren, als jemand, der mit seinen Schuhen Besitz ergreifen, als jemand, der mit diesen Schuhen Verträge schliessen kann. Vielleicht kann man durch den Duktus des Nichtwürdigseins von den Titeln hin zu den Schuhriemen schliessen, dass der Kommende Elija, der Prophet und der Gesalbte ist. Zwingend ist das nicht. Das Einzige, was uns der Evangelist, noch ohne Jesus genannt zu haben, gleich zu Beginn erzählt: Er ist der ganz andere Mächtige, der Erhöhte, zu dem er dann am Ende wird.