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«Was werden wir dafür bekommen?»   

Dieter Bauer zum Evangelium am Fest des Heiligen Niklaus von Flüe (25.09.2011) – Matthäus 19,27-29

 Für das Fest des Hl. Niklaus von Flüe hat die Perikopenordnung als Evangelium drei Verse aus dem matthäischen Kapitel 19,16-30 zu «Reichtum und Nachfolge» ausgewählt, wahrscheinlich, weil der Heilige wie Petrus und die Jünger «alles verlassen» hat (Mt 19,27). Was das im 15. Jahrhundert bedeutete, kann man an der Biographie Niklaus von Flües (1417-1487) ablesen. Was Jesus damit einmal gemeint hat, erschliesst sich eher durch einen Blick  in die alt- und zwischentestamentliche Überlieferung.

 «… was in den Schriften geschrieben steht»

Unserem Text voraus gehen die Begegnung Jesu mit dem reichen Jüngling, den er in seine Nachfolge ruft (Mt 19,16-22) und das Erschrecken der Jünger über die Warnung Jesu, wie schwer es Reiche haben, ins Himmelreich zu gelangen (19,23-25). Jesus kann sie beruhigen: «für Gott aber ist alles möglich» (V 26). Fast hat man den Eindruck, als habe Petrus sofort wieder Oberwasser, wenn er fragt: «Du weisst, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt. Was werden wir dafür bekommen?» (V 27)

Ich kann mir nicht helfen, aber ich habe diese Frage schon immer unverschämt gefunden. Weil sie einfach danach aussieht, als sei die Nachfolge des Petrus (und der Jünger) profitorientiert gewesen – oder inzwischen geworden. Und ich habe das ständige «Was bringt mir das?» von gewissen Menschen im Ohr, das immer dann zu hören ist, wenn es darum geht, sich zu engagieren, wo zunächst kein Lohn zu erwarten ist.

Um so überraschender ist dann (für mich) die Antwort Jesu: «Amen, ich sage euch: Wenn die Welt neu geschaffen wird und der Menschensohn sich auf den Thron der Herrlichkeit setzt, werdet ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten. Und jeder, der um meines Namens willen Häuser oder Brüder, Schwestern, Vater, Mutter, Kinder oder Äcker verlassen hat, wird dafür das Hundertfache erhalten und das ewige Leben gewinnen.» (V 28f)

Was verstehen die Jünger, wenn sie von den «zwölf Thronen» hören? Zunächst einmal ist sicher auch für sie klar, dass sie durch ihre Zwölfzahl (Mt 10,1-4) Repräsentanten des Zwölfstämmevolkes sein sollen und zu den «verlorenen Schafen des Hauses Israel» gesandt sind (10,6; vgl. Ez 34,5f), um diese neu zu sammeln. Dies hatte bereits der Prophet Ezechiel in seiner «Hirtenrede» angekündigt:

«Denn so spricht Gott, der Herr: Jetzt will ich meine Schafe selber suchen und mich selber um sie kümmern. Wie ein Hirt sich um die Tiere seiner Herde kümmert an dem Tag, an dem er mitten unter den Schafen ist, die sich verirrt haben, so kümmere ich mich um meine Schafe und hole sie zurück von all den Orten, wohin sie sich am dunklen, düsteren Tag zerstreut haben.» (Ez 34,11f)

Wenn Jesus also seine Jünger zum Sammeln schickt, dann gibt er ihnen einen göttlichen Auftrag, der eigentlich ihm als dem Messias zusteht. Wir wissen das aus den Psalmen Salomos, die gegen Ende des 1. Jahrhunderts vor Christus entstanden sind:

«Siehe, Herr, und richte ihnen ihren König auf, den Sohn Davids, zu der Zeit, die du, Gott, bestimmt hast, als König zu herrschen über Israel, deinen Knecht (…) Und er wird ein heiliges Volk versammeln, das er führen wird in Gerechtigkeit, und er wird die Stämme des Volkes richten, das geheiligt ist durch den Herrn, seinen Gott.» (PsSal 17,21.26)[1]

Das «Richten der zwölf Stämme Israels» ist also nicht negativ gegenüber Israel gemeint – wie es von uns Christen wohl meist gehört wird – sondern ganz positiv. Der Messias – und mit dem Matthäusevangelium seine Jüngerinnen und Jünger – werden für die Gerechtigkeit sorgen, die dem jüdischen Volk schon so lange vorenthalten worden ist. Nur so nämlich werden Frieden und Freiheit möglich.

Mit Matthäus im Gespräch

Das alles klänge wunderbar, wäre da nicht auch gleich wieder ein «Haken». Das «Sitzen auf den Thronen» kann nämlich sehr missverstanden werden. Und es ist auch missverstanden worden. Bereits im Markusevangelium wird davon erzählt, dass Jakobus und Johannes zur Rechten und zur Linken des Messias sitzen wollten (Mk 10,35-37). Im Matthäusevangelium ist es dann zwar die Mutter der beiden, die diese Bitte ausspricht, aber auch hier entlarvt die Antwort Jesu, wer die eigentlich Bittenden sind: «Ihr wisst nicht, um was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinken werde?» (Mt 20,22)

Weiss man nun, dass dieser Text gleich im folgenden Kapitel auf unseren Evangelientext von den zwölf Thronen folgt, dann kann man ihn fast nicht anders als eine Korrektur lesen: Gerechtigkeit wird nicht von denen geschaffen, die gerne auf Thronen sitzen, sondern von denen, die den bitteren Kelch trinken können, der denen bereitet ist, die sich im Kampf gegen jede Ungerechtigkeit aufopfern.

Nicht umsonst ist das ein Thema, das die synoptischen Evangelien im Zusammenhang mit den «Leidensweissagungen» Jesu durchzieht. Die dritte Ankündigung Jesu von Leiden und Auferstehung (20,17-19) steht nämlich genau zwischen unserem Evangelientext und dem Wunsch der beiden Jünger, die so gerne auf Thronen sässen – auch dies ein klares Korrektiv!

Was möchte Matthäus damit sagen? Offensichtlich sieht er es als bleibende Gefahr an, dass bei der Wahrnehmung von Führungsaufgaben in der Gemeinde sehr schnell vergessen wird, wem zu dienen wäre. Es geht dann nur noch um das «Thronen».

Dass es trotzdem Menschen braucht, die ihre Führungsqualitäten in den Dienst der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Friedens stellen, ist unbestritten – trotz vieler Negativbeispiele. Ein positives Beispiel wäre Niklaus von der Flühe, der «alles verlassen» hat, um noch besser der Freiheit anderer dienen zu können. Sein Beispiel wirkt bis heute.

Man kann es aber auch sagen wie Erich Fried in seinem Gedicht «Herrschaftsfreiheit»[2]:

Zu sagen
«Hier
herrscht Freiheit»
ist immer
ein Irrtum
oder auch
eine Lüge:
Freiheit
herrscht nicht 

Dieter Bauer


[1] Übersetzung: SEPTUAGINTA DEUTSCH. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, Stuttgart 2009.

[2] Fried, Erich: Gedichte (Reclams Universal-Bibliothek 8863), Ditzingen 1993, S. 25.