Wir beraten

Petrus, der Satan und die Berechenbarkeit Gottes   

Ursula Rapp zum Evangelium am 22. Sonntag im Jahreskreis, Mt 16,21–27, SKZ 33-34/2011

Das Wort von der Nachfolge und dem Kreuz und der Selbstverleugnung ist so bekannt und irgendwie abgedroschen. Aber darin steckt so eine tiefe und nicht begreifliche Wahrheit, dass man gar nicht oft und intensiv genug darüber nachdenken kann.

«… was in den Schriften geschrieben steht»

Als Jesus den Jüngerinnen und Jüngern ankündigt, dass er leiden, sterben und wieder aufstehen werde, reagiert Petrus scheinbar mit einer ganz menschlichen Geste. Ganz empathisch ruft er «Nein!». Und das ist ja auch nur nachvollziehbar. Jesus war ja für Petrus bestimmt eine existenziell unersetzbare Person (man lese dazu nur die Verse vor diesem Abschnitt, besonders Mt 16,16–20). Jesus aber weist Petrus so schroff zurück, indem er ihn «Satan» nennt, dass es mit unserem lesenden Verstehen schon wieder vorbei ist. Wieso ist Jesus manchmal so scharf, so unerbittlich klar? Ein Blick in die ersttestamentlichen Gesprächstexte zeigt, dass Matthäus’ Worte sehr bewusst und treffend gewählt sind.

Da wird nämlich schnell deutlich, dass Petrus Äusserung kein Mitgefühl ist, sondern eine Mischung aus Unverständnis und einer gewissen Art von fehlendem Gottesvertrauen. Die Art und Weise, wie Petrus Jesus anredet, ist schon nicht mitfühlend, sondern schroff, ein Ausdruck des Drohens und Zurechtweisens. In der Septuaginta finden wir ihn viel seltener als im NT und immer schwingen Strenge, Schroffheit und Schärfe mit (Gen 37,10; Ps 9,6; 63,31; 105,9; 119,21; Sach 3,2; Sir 11,7). Es ist das Redeverhalten einer Autoritätsperson. Petrus nennt Jesus aber zugleich kyrios (Herr). Das passt überhaupt nicht zusammen und drückt somit Unklarheit, einen Zwiespalt und Unsicherheit in Petrus aus. Jetzt gab ihm Jesus gerade eine machtvolle Zusage («Ich gebe dir die Schlüssel zum Reich Gottes»), und zwei Sätze später erklärt Jesus seine Ohnmacht vor den weltlichen Mächten. Wieso ist Jesus so widersprüchlich? Wieso tritt er so machtvoll auf und ist zugleich so ohnmächtig? Petrus kriegt das nicht zusammen.

Dann sagt er: «Das soll Gott verhüten, Herr.» Dieses «Verhüten» (griechisch: hiléos, barmherzig sein) ist in der Septuaginta die Übersetzung für das Umkehren Gottes von seinem Zorn, also Gottes Reue oder auch Gottes Vergebung! Petrus geht also davon aus, dass Jesus sterben müsse, weil Gott ihm nicht vergibt oder weil Gott zornig ist. Vielleicht wird darin deutlich, wie sehr er Jesus als Mensch sieht. Da fragt man sich schon, wie das gerade ein paar Verse zuvor geleistete Messiasbekenntnis zu verstehen ist. Ist Gott zornig auf das Fehlverhalten seines Messias? Aber Jesus stellt sofort klar: Diese Unsicherheit des Petrus, dieses Bedürfnis nach Eindeutigkeit, nach Macht oder Ohnmacht ist nichts Göttliches. Er nennt Petrus «Satan». Dieses für uns so scharfe Wort war in biblischer Zeit etwas offener und unbesetzter als heute: Das hebräische satan bedeutet, sich jemandem entgegenstellen, jemanden anfeinden und wird in den wenigen alttestamentlichen Verwendungen nicht als personale Gestalt verstanden (nur in späten Texten wie Hi 1,6–12; 2,1–7; Sach 3,1–4). Das wird erst in der jüdischen apokryphen Literatur und auch im NT deutlicher. Jesus nennt Petrus nun einen Anfeinder und meint damit nicht die metaphysisch-personale Figur des Teufels, sondern den, der sich dem Geschehen Gottes entgegenstellt. Wie sieht dieses Anfeinden des Petrus aus? Er glaubt letztlich, dass alles gut ausgehen muss, weil Gott eben gut ist und Jesus auch. Petrus rechnet nicht mit der für uns völlig unbegreiflichen Grösse und Liebe Gottes, mit dem quälend tiefen unverständlichen Geheimnis Gottes. Diese Haltung weist Jesus ganz scharf zurück. Für ihn ist alles, was er erleiden muss, Gottes Wille und Weg für ihn. Jesus akzeptiert keinen Gott nach menschlichen Liebesvorstellungen und keine übermenschliche Macht ausserhalb Gottes.

Die folgende Rede, mit der sich Jesus wieder an die Jüngerinnen und Jünger wendet, vertieft diesen Gedanken noch. Zuerst erklärt er, dass Nachfolge bedeutet, «sich selbst zu verleugnen». In der Septuaginta steht dieses verleugnen nur in Jes 31,7, wo die Umkehr der Menschen zu Gott damit beschrieben wird, dass sie die silbernen und goldenen Götzen, die ihre Hände gemacht haben, verleugnen werden. In der Bibel des Mt steht dieses Verb für das Loslassen der von Menschen gemachten Instrumente, die sie als Ersatz für das restlose Vertrauen in Gott konstruiert haben. Das Verleugnen, das Jesus hier als Bedingung für die Nachfolge nennt, ist also nicht ein Hintersichlassen der eigenen Person und Bedürfnisse, sondern des Versuchs, Gott klein, menschlich vorstellbar, verstehbar, machbar, handhabbar zumachen. Es ist ein Loslassen dieser religiösen Plausibilitäten, des Einleuchtenden. Nachfolge dagegen lässt sich darauf ein, dass das, was man als Gottes Ruf erfährt unverständlich, eben nicht plausibel, und leidvoll sein kann. Es ist Jesu Ansage gegen einen «lieben Gott», der verfügbar ist, der ausser «lieb» zu sein bestenfalls noch ein moralischer Richter ist, nicht aber existenziell zutiefst verunsichert. Jesus glaubt an einen Gott, der menschliche, auch religiös anerkannte Werte umwirft, um den Menschen seine Liebe zu zeigen.

Ebenso ist das Wort «Kreuz» (stauros) in der Bibel gebraucht. Die Septuaginta verwendet es gar nicht. Es ist ein Begriff des NT. Im Johannesevangelium steht es nur für das Mordinstrument, an dem Jesus und viele andere Menschen hingerichtet wurden. Bei den Synoptikern bezeichnet der Begriff eben noch das, was man in der Nachfolge auf sich nehmen soll (Mt 10,38; 16,24; Mk 8,34; Lk 9,23). Mordinstrument und Nachfolgesymbol: Bringt man beides zusammen, taucht wieder diese Bereitschaft auf, sich mit Jesus und diesem unfassbaren Gott auf alles einzulassen. Unfassbar, weil dieser Ruf nicht menschlicher religiöser Logik entsprechen muss, nicht jenen Werten, mit denen man so den Alltag bestreitet. «Kreuz» ist der Weg, der Gottes Geheimnis, letztlich auch Gottes unaussprechlichem, unverständlichem, unübersetzbarem Namen JHWH folgt. Kreuz heisst nicht, seine eigenen kleinen Fehler und sein Leid auf sich zu nehmen und eben so Gott nachzufolgen. Kreuz heisst: mit Gottes Unberechenbarkeit rechnen. Möglicherweise sind dann auch Paulus’ Anspielungen auf das Kreuz in 1 Kor 1,17 f.; Gal 5,11 u. a. doppeldeutig zu verstehen.

Und dann ist noch Jesu Schlusssatz, der ankündigt, dass Gott den Menschen nach seinen Taten «vergelten» wird. Dieser Gedanke findet sich auch in Ps 62,13 oder Spr 24,12. An allen drei Stellen aber steht für dieses göttliche «Vergelten» ein anderes Wort: Der Ps spricht davon, dass Gott für jeden Menschen gemäss seinen Taten «erfüllen» (schalam) wird. Im «Erfüllen» steckt der Friede (schalom). Friedvolle Fülle oder fülligen Frieden gibt Gott am Schluss, erfüllt die Taten, bis es Frieden ist, gibt Frieden, bis es Fülle ist. Spr 24,12 meint, Gott gibt gemäss den Taten zurück, man bekommt also, was man gegeben hat. Auch hier erfährt niemand genau, was zu erwarten ist, womit wir mit Gott zu rechnen haben. Scheinbar hat das Jesus selbst auch nicht wirklich gewusst. Er wusste nur, dass er sich auf diesen unverständlichen Weg Gottes einlassen muss.

Mit Matthäus im Gespräch

Es gibt kaum eine schwierigere Vorstellung als die, dass Gott Leid zufügt, kaum etwas, als dass Gottes Liebe grösser ist, mehr für uns vorsieht, als wir uns vorstellen können. Aber das hat etwas mit Auferstehung zu tun. Jesus wird auferstehen: Es gibt Leben nach dem Sterben, grösseres, göttliches Leben, das unseren Horizont übersteigt. Nach jedem Leiden das Leben. Das ist Gottes Geheimnis, und wir werden es nie verstehen. Wer glaubt, es zu verstehen, feindet Gott schon an, ist Satan. Matthäus packt in diese Auseinandersetzung so viel Menschlichkeit, so viel von unserer Begrenztheit und hat zugleich ganz scharfe Worte dafür. Zu Recht. Wer glaubt zu wissen, wie Gott urteilt, ist Satan. Nicht oft genug können wir dieses Evangelium einüben.