Wir beraten

Petrus und die Kirche oder: Was ist ein guter Felsen?   

Simone Rosenkranz zum Evangelium am 21. Sonntag im Jahreskreis: Mt 16,13–20, SKZ 31-32/2011

Die katholische exegetische Tradition hat unseren Text aus dem Matthäusevangelium als biblische Verankerung der Einsetzung der Amtskirche und des Papsttums gelesen: Unsere Textstelle begründe den Vorrang des Petrus vor den übrigen Jüngern, der sich nicht nur auf dessen Person beschränke, sondern auch auf dessen Nachfolger erstrecke. Die östliche Kirche hingegen legte den Text auf alle Angehörigen der Kirche aus. Zu Mt 16,13–20 wurde überall in der christlichen Welt auch häufig bei Kircheneinweihungen gepredigt. Diese unterschiedlichen Auslegungen und Traditionen weisen auf die verschiedenen Aspekte von «Kirche» hin: Von der lokalen Gemeinde über die Gemeinschaft aller Gläubigen bis hin zur katholischen «Amtskirche».

Im Folgenden soll weniger auf die Wirkungsgeschichte des einflussreichen Textes eingegangen werden, sondern auf den zeitgenössischen Kontext: Ich möchte den Text nicht so sehr «nach vorwärts», sondern eher «nach rückwärts» lesen, indem ich das darin gebrauchte zentrale Wortbild «Felsen» in seinem damaligen Kontext zu interpretieren versuche.

«… was in den Schriften geschrieben steht»

Matthäus führt in unserer Passage ein Bild an, das durchgängig aus der Welt der Architektur stammt: Es geht um den Grund, das Fundament, auf dem gebaut wird, über das Gebäude selber bis zum Zugang in das Gebäude anhand eines Schlüssels. Dadurch nimmt Matthäus Bilder auf, die auch in der hebräischen Bibel und im rabbinischen Judentum geläufig sind.

Der Fels ist eine in der hebräischen Sprache häufig gebrauchte Metapher, besonders bei den Propheten und in den Psalmen, die im Neuen Testament häufig zitiert werden.

Der Fels steht für Sicherheit, Beständigkeit, Solidität und Stabilität. In diesem Sinne wird er von Matthäus an einer anderen Stelle (Mt 7,24–27) erwähnt, wo Jesus den Gottesfürchtigen mit einem klugen Mann vergleicht, der sein Haus auf einem Felsen baut, damit es vor Sturm und Unwetter geschützt ist. Der Fels bietet auch in der hebräischen Bibel Schutz und Sicherheit: «Denn er birgt mich in seinem Haus am Tag des Unheils; er beschirmt mich im Schutz seines Zeltes, er hebt mich auf einen Felsen empor» (Ps 27,5). In diesem Sinne kann Gott selber als «Fels» bezeichnet werden: « Denn du hast den Gott, der dich rettet, vergessen; an den Felsen, auf dem du Zuflucht findest, hast du nicht mehr gedacht» (Jes 17,10).

Der Felsen steht aber nicht nur für Stabilität, er birgt auch Wasser und damit Leben, das aus ihm hervorgeholt werden kann. So schlug Moses auf Gottes Geheiss am Horeb Wasser aus einem Felsen, um dem durstigen Volk zu trinken zu geben: «Dort drüben auf dem Felsen am Horeb werde ich vor dir stehen. Dann schlag an den Felsen! Es wird Wasser herauskommen, und das Volk kann trinken» (Ex 17,6). Dieses Felsenwasser kann durchaus paradiesischen Charakter annehmen wie etwa in Psalm 105,41: «Er öffnete den Felsen, und Wasser entquoll ihm, wie ein Strom floss es dahin in der Wüste.» Stärker noch wird dieser potentiell paradiesische Charakter des Felsen im Buch Deuteronomium betont (Dtn 32,12 f.): «Der Herr allein hat Jakob geleitet, kein fremder Gott stand ihm zur Seite. Er führte ihn auf die Berge des Landes, er nährte ihn mit den Früchten des Feldes, er stillte ihn mit Wein aus den Felsen, mit Öl aus Felsspalten.»

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Jesus seine «Felsenworte» gemäss Matthäus und gemäss der Parallelstelle bei Mk 8,27 in Banias spricht, an der Nordgrenze Israels. Die geografische Umgebung nimmt dadurch dieses Bild der lebensspendenden Kraft des Felsens in unserem Text sehr konkret auf: In Banias entspringt eine der Quellen des Jordans aus einem Felsen. Diese Quelle wurde in römisch-hellenistischer Zeit als Heiligtum des Gottes Pan verehrt.

Ausgetrocknet kann der Fels aber auch ein Ort der Einöde, der Unfruchbarkeit und der Trostlosigkeit sein, wie es bei Ezechiel geschrieben steht (26,14): «Zum nackten Felsen mache ich dich. Du wirst ein Platz zum Trocknen der Netze. Man baut dich nie wieder auf; denn ich, der Herr, habe gesprochen – Spruch Gottes, des Herrn.»

Mit dem Felsen verwandt ist der Stein, der in verschiedenen Texten der hebräischen Bibel eine Rolle spielt. Wichtig für uns ist der Traum Jakobs in Bet-El: Auf der Flucht vor seinem Bruder Esau erscheint Gott Jakob im Traum und verheisst ihm eine zahlreiche Nachkommenschaft. Zum Andenken an diese Gottesbegegnung errichtet Jakob aus dem Stein, auf dem er geschlafen hat, ein Mahnmal, das den späteren Tempel vorwegnimmt (Gen 28:18–22): «Jakob stand früh am Morgen auf, nahm den Stein, den er unter seinen Kopf gelegt hatte, stellte ihn als Steinmal auf und goss Öl darauf. (…) Dann gab er dem Ort den Namen Bet-El (Gotteshaus). (…) Jakob machte das Gelübde: Wenn Gott mit mir ist und mich auf diesem Weg, den ich eingeschlagen habe, behütet (…), dann soll der Stein, den ich als Steinmal aufgestellt habe, ein Gotteshaus werden (…).» Der Stein ist eine Art Grundstein für den späteren Tempel – ebenso wie bei Matthäus der Felsen das Fundament für die Kirche ist. Doch dies kann nur unter der Bedingung geschehen, dass die Beziehung zwischen Gott und Jakob bzw. seinen Nachkommen, dem Volk Israel, lebendig bleibt: «Wenn Gott mit mir ist» (Gen 28,20).

Diese Assoziationen aus der hebräischen Bibel zum matthäischen Bild vom «Felsen» können Anregungen geben, wie das Fundament, auf dem die Kirche steht, zu denken und zu gestalten ist: Das Fundament, auf dem Kirche und die Kirchen in der Folge von Mt 16,13–20 stehen, ist auf diesem Hintergrund ein zwar stabiler, fester, aber auch ein dynamischer, lebendiger Grund. Ohne diese Lebendigkeit und Dynamik droht dieser paradiesische Felsen zu einer trostlosen Wüste zu werden (Ez 26,14).

Mit Matthäus im Gespräch

Die Perikope bei Matthäus beginnt mit einer zweifachen Frage von Jesus an seine Jünger: Für wen halten die Menschen Jesus, und für wen halten ihn die Jünger? Während bei Markus und Lukas Petrus die Frage nur mit «Messias» beantwortet (Lk 9,20; Mk 8,29), antwortet er bei Matthäus ausführlicher mit «Messias, Sohn des lebendigen Gottes» (Mt 16,16). Nur bei Matthäus steht darauf das berühmte Felsenwort.

Petrus steht in unserem Text – wie überhaupt bei Matthäus – im Mittelpunkt. Dennoch ist dieser Petrus alles andere als vollkommen: Unmittelbar anschliessend an unsere Passage wird Petrus von Jesus als «Satan», als Widersacher bezeichnet, da er versucht, Jesus von seinem Leidensweg abzuhalten (Mt 16,23). Soll dieser unvollkommene Petrus eine Identifikation des «gewöhnlichen» Christen, der «gewöhnlichen» Christin erleichtern? Sind vielleicht mit diesem Petrus die verschiedenen zu Beginn angesprochenen Arten und Formen von Kirche gemeint? Wichtig ist auf jeden Fall: Petrus – und mit ihm alle, die Kirche sind – erhält in unserem Text weder Auszeichnung noch Privileg, sondern eine Aufgabe, einen Auftrag. Und wie die unmittelbar an Mt 16,13–20 anschliessende Leidensankündigung zeigt, geht es dabei keineswegs um eine einfache Aufgabe! Nicht nur Petrus, sondern alle, die Kirche sind, haben den Auftrag, dass das Fundament, auf dem wir stehen, zugleich stabil und lebendig bleibt.