Wir beraten

Unterscheiden, nicht anerkennen   

Peter Zürn zum Evangelium am 17. Sonntag im Jahreskreis: Mt 13,44–52 SKZ 27-28/2011

Was lösen diese Sätze bei Ihnen aus? «Alles muss man sich mühsam verdienen»; «Die Geschichte wiederholt sich immer»; «Wir sind dem Schicksal ausgeliefert»; «Alles hat zwei Seiten». Gehen wir mit diesen Sätzen an die Bibeltexte.

«Was in den Schriften geschrieben steht»

«Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Schatz, der in einem Acker vergraben war. Ein Mann entdeckte ihn …» Es gibt eine innerbiblische Verbindung dieses Gleichnisses, die in der deutschen Übersetzung klarer ist als im griechischen Original. Hier verweist der «Acker» auf den «Ackerboden» am Ende der biblischen Schöpfungsgeschichten, wo Adam hört: «So ist verflucht der Ackerboden deinetwegen. Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle Tage deines Lebens» (Gen 3,17b). Im Hebräischen sind adam, der Mensch, und adamah, der Ackerboden, eng verbunden. Die Septuaginta (LXX) macht dieses Wortspiel nicht mit und spricht von der Erde, griech. gä, die verflucht ist. Das Matthäusevangelium (Mt) verwendet den Ausdruck agros und erzählt von einem anthropos und kommt so in der Alliteration dem hebräischen Wortspiel nahe. Ich verbinde das Gleichnis vom Schatz im Acker jedenfalls mit der Paradiesgeschichte und lese: Mt 13,44 erzählt von der Aufhebung des Fluches über adam und adamah. Der Mensch des Gleichnisses muss nicht unter Mühsal vom Acker essen, der Acker gibt seinen Schatz einfach frei. Menschen entdecken neue, überraschende Seiten am Acker. Sie entdecken, dass es ganz anders sein kann als in den alten Flüchen beschrieben. Sie blättern gleichsam weiter zurück in der Erinnerung. Das Gleichnis erzählt, das Himmelreich ist wie die Rückkehr in den Paradiesgarten, wie die Wiederherstellung der Schöpfungsordnung. Damit nimmt es auf, was während der Wüstenwanderung des Volkes Israel vom Manna erzählt wird (Ex 16 und Num 11). Das Manna, das ohne Mühsal geschenkt wird, das sich niemand verdienen muss, erinnert auch an das Paradies. Im Manna wird erfahrbar, dass Gottes Schöpfungshandeln in der Geschichte des Volkes Israel weitergeht und gegenwärtig bleibt.1 Das Gleichnis vom Schatz im Acker bestätigt das.

Mt fügt ein weniger bekanntes Gleichnis an: «Weiter ist es mit dem Himmelreich wie mit einem Netz, das man ins Meer warf, um Fische aller Art zu fangen; als es voll war, zogen es die Fischerinnen und Fischer ans Ufer, sie setzten sich, lasen die guten Fische aus und legten sie in Körbe, die schlechten aber warfen sie weg» (Mt 13,47–48). Dieses Gleichnis geht wohl auf Hab 1,13b–16 zurück. Habakuk klagt vor Gott, dass «der Ruchlose den Gerechten verschlingt». Das Bild vom Verschlingen führt dazu, die Menschen mit Fischen im Meer zu vergleichen und vom Ruchlosen zu sagen: «Mit der Angel holt er sie alle herauf, er schleppt sie weg in seinem Netz und rafft sie fort in seinem Fischgarn; er freut sich darüber und jubelt.» Indem Habakuk das beklagt, sagt er zugleich, dass es nicht so sein und auf ewig bleiben muss. Er ist sich mit Mt einig: Der Fluch der Geschichte ist kein ewig währendes und unabänderliches Schicksal. Gott ist anders, und die Verhältnisse können sich ändern und heissen dann Himmelreich. Aber was bedeutet das Unterscheiden von Gutem und Schlechtem im Gleichnis für das Himmelreich? Die Leseordnung für den heutigen Tag zeigt die Verbindung zu 1 Kön 3 auf. Hier wird erzählt, wie Gott dem König Salomo die Erfüllung einer Bitte gewährt. Salomo bittet: «Verleih deinem Knecht ein hörendes Herz, damit er dein Volk zu regieren und das Gute vom Bösen zu unterscheiden versteht» (3,9). Die Fischerinnen und Fischer stehen in der Tradition des Salomo. Allerdings unterscheidet die LXX in 1 Kön 3,9 zwischen gut, agathos, und böse, kakos, während Mt bei den Fischen zwischen kalos, gut/schön, und sapros, faul, trennt. kalos legt wieder eine Spur zur biblischen Paradiesgeschichte, wo der Baum inmitten des Gartens als der Baum der Erkenntnis von kalos, gut, und ponäros, böse, bezeichnet wird (Gen 2,9 LXX). Die hebräische Version von 1 Kön 3, wo von tov, gut, und ra, böse, die Rede ist, entspricht Gen 2,9 wörtlich. Zur Schöpfungserzählung weist noch eine andere Formulierung in der hebräischen Version von 1 Kön 3: «Das Wort war gut in den Augen Gottes», heisst es über Salomos Bitte (die LXX und in der Folge die Einheitsübersetzung machen daraus: «Es gefiel dem Herrn»). Gen 1 sagt mehrfach «Gott sah, dass es gut war.» Salomos Wunsch entspricht der Schöpfungsordnung Gottes.

In 1 Kön ist es gut in den Augen Gottes, dass ein Mensch gut und böse unterscheiden möchte. Im Gleichnis ist das Unterscheiden von gutem und faulem (Fisch) ein Zeichen des Himmelreiches. In Gen 2,17 verbietet Gott jedoch ausdrücklich dem Menschen, vom Baum der Erkenntnis von gut und böse zu essen. Ein Widerspruch?

Mit der Bibel im Gespräch

Gibt es einen Unterschied zwischen der Erkenntnis von und der Unterscheidung zwischen gut und böse? Die Frage führt mich auf die biblischen Urgeschichten zurück. Unterscheiden ist das typische Wirken Gottes bei der Schöpfung: zwischen Licht und Dunkelheit, zwischen Wasser oberhalb und Wasser unterhalb des Gewölbes, zwischen Wasser und Land und zwischen all den Lebewesen nach ihrer Art. Unterschiede machen, differenziert wahrnehmen, ist Schöpfungshandeln. Ist die Erkenntnis von Gut und Böse etwas anderes? Das Wort «erkennen» gebraucht die Bibel auch für die intime Beziehung zwischen Menschen. «Adam erkannte Eva», heisst es erstmals in Gen 4,1.

Im Erkennen liegt ein Anerkennen gegründet: das Anerkennen des Anderen, des Verschiedenen, das miteinander – und nur miteinander – fruchtbar sein kann. Gut und Böse sollen also offenbar unterschieden, aber nicht anerkannt werden. Dass es neben dem Guten auch gleichberechtigt das Böse gibt, widerspricht Gottes guter Schöpfung. Von Schöpfung zu sprechen, ist ein Bekenntnis: Das Leben entsteht nicht aus dem Miteinander von Gut und Böse. Das Leben ist auch kein ewiger unausweichlicher Fluch. Es ist kein schicksalhafter Kreislauf, auch wenn es beim Blick auf die Menschheitsgeschichte oft so scheint. Nein, der Glaube an den Gott der Bibel, an den Gott der Schöpfung und der Befreiung aus Unterdrückung ist die radikale Absage an den Sinn des Bösen und an das unabänderliche Schicksal.

Dieser Glaube erkennt das Böse neben dem Guten nicht an. Es soll nicht sein und es muss nicht sein. Gott ist anders. Die Schöpfung ist anders, das Leben des Menschen kann anders sein.2 Damit diese andere Möglichkeit des Lebens nicht vergessen geht und damit sie das Zusammenleben von Menschen prägen kann, braucht es die Unterscheidung zwischen Gut und Böse. So kann Recht gesprochen und Gerechtigkeit geschaffen werden. Darum bittet Salomo.

Damit diese andere Möglichkeit des Lebens nicht vergessen geht und sie das Zusammenleben von Menschen prägen kann, braucht es Geschichten davon und Bilder dafür. (Sprach-)Bilder für den Himmel auf Erden – wie die Gleichnisse Jesu. Er lässt sich überraschend finden wie der Schatz im Acker, und an ihm lässt sich arbeiten – mit Kompetenz und Sorgfalt wie bei den Fischerinnen und Fischern.

1 Vgl. Peter Zürn: Beim Essen Erkenntnisse sammeln in: SKZ 178 (2010), Nr. 20–21, 391, und: Ders.: Leben auf Probe in: SKZ 177 (2009), Nr. 29–30, 496.

2 Nach Dick Boer: Erlösung aus der Sklaverei. Versuch einer biblischen Theologie im Dienst der Befreiung. Münster 2008.