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Hören – Verstehen – Fruchtbringen   

Franz Annen zum Evangelium am 15. Sonntag im Jahreskreis: Mt 13,1–23 SKZ 26/2011

Das Gleichnis vom Sämann gehört zu den bekanntesten und meistbesprochenen Gleichnissen Jesu überhaupt. In der folgenden Auslegung bleiben die historischen und formgeschichtlichen Fragen für einmal im Hintergrund. Vielmehr soll die Aussageabsicht des Mt-Evangeliums nachgezogen werden. Dafür müssen das Gleichnis selbst (Mt 13,1–9), das anschliessende Jüngergespräch (Mt 13,10–17) und die Deutung des Gleichnisses (Mt 13,18–23) als Einheit gesehen werden.

«Was in den Schriften geschrieben steht»

Der ganze Abschnitt lebt ganz von Bildern und Vorstellungen aus dem AT und dem Judentum. Da es nicht möglich ist, die ganze Fülle der Einzelbilder und Anspielungen zu besprechen, seien nur die wichtigsten hervorgehoben, die den Gleichnis-Text insgesamt bestimmen.

Das ist vor allem die zentrale Bedeutung des Wortes Gottes und des Hörens dieses Wortes im AT und im Judentum insgesamt. Die Deutung des Gleichnisses (Mt 13,18–23) identifiziert ja den Samen, der ausgesät wird, mit dem «Wort vom Reich» (13,17) bzw. einfach mit dem «Wort» (13,20.21.22.23). Das Wort Gottes ist in alttestamentlich-jüdischer Perspektive immer schon wirkmächtiges Wort (vgl. dazu etwa Jes 55,10–11). Für Israel und den einzelnen Glaubenden kommt es darauf an, dieses Wort zu hören. Daran «entscheidet sich die Frage des Heils wie auch des Unheils für Israel».1

Das Hören auf Gottes Wort ist ohne Zweifel eine Schlüsselvorstellung des Glaubens Israels bis heute. Im Hören auf Gott und sein Wort gründet und vollzieht sich der Glaube an Jahwe. Das von gläubigen Juden täglich gebetete Bekenntnis beginnt mit der Aufforderung «Schema Israel – Höre, Israel» (Dtn 6,4). Dabei ist mehr als deutlich, dass für das AT das Hören nicht nur mit den Ohren zu tun hat, sondern mit dem Herzen und dem Tun; Hören und Gehorchen gehören untrennbar zusammen.

Es ist ein zentraler Vorwurf der Propheten an Israel und die einzelnen Israeliten, dass sie oft nicht auf Jahwe und sein Wort hören und danach leben (Jes 6,9–10; 43,8; Jer 7,13; Ez 3,7; Hos 9,17 u. ö.). Damit sind wir bei der Thematik des Ackerbodens in Mt 13,4–7.19–22, der den Samen nicht aufnimmt bzw. ihn nicht wachsen lässt. Auch das Thema der «Verstockung», also des absichtlichen und beharrlichen Verschliessens der Ohren und Herzen (vgl. das Jüngergespräch Mt 13,10–17), ist ein prophetisches Thema. Mt zitiert ausdrücklich und ausführlich Jes 6,9–10.

Mit Matthäus im Gespräch

Das Gleichnis Jesu vom Sämann (13,1–9), das Mt aufgreift, ist von sich aus recht offen für unterschiedliche Interpretationen: Wer ist der Säende? Was ist mit dem Samen gemeint? Geht es um die unterschiedlichen Ackerböden oder um die Betonung der reichen Ernte? Mit Hilfe des Jüngergesprächs (13,10–17) und der Deutung des Gleichnisses (13,18–23) gestaltet Mt ein eindrückliches Lehrstück vom rechten Hören auf das Wort Jesu vom Reich Gottes. Fast in jedem Vers macht er diese Thematik ausdrücklich. Die Aufforderung «Wer Ohren hat, der höre!» (13,9) übernimmt er als Abschluss des Gleichnisses aus der Mk-Vorlage. Dann aber geht er bei der Betonung des Themas weit über Mk hinaus.

Die implizite und stark verkürzte Zitation von Jes 6,9–10, die sich bei Mk findet, macht er zu einem ausdrücklichen Zitat («Reflexionszitat») und vervollständigt den Text. Dadurch bekommt nicht nur die Thematik des Hörens, sondern auch jene der Verstockung noch mehr Gewicht. Und anschliessend preist er (in Aufnahme der Version der Logienquelle) die Jünger selig, denn «viele Propheten und Gerechte haben sich danach gesehnt (…) zu hören, was ihr hört, und haben es nicht gehört» (13,16). Er betont also den Unterschied zwischen den Jüngern und den andern Zuhörern Jesu («ihnen»). Während die Jünger hören, sind die andern verstockt und hören nicht. Ja, ihre Verstockung wird sogar als Absicht des Redens Jesu in Gleichnissen dargestellt. Das ist schwer verständlich. Ulrich Luz ist der Ansicht, dass diese Verstockung die geschichtliche Erfahrung der Mt-Gemeinde reflektiert: Die Mehrheit Israels sagte Nein zur Botschaft Jesu. «Das Nichtsehen und Nichthören Israels ist für Matthäus eine feststehende Tatsache. Es wird nicht durch Jesu Gleichnisse bewirkt, sondern eher ist Jesu Gleichnisrede ‹Antwort› auf dieses Nichtverstehen.»2

Was die Jünger betrifft, ist allerdings keine Überheblichkeit am Platz. Dass sie hören und verstehen, haben sie nicht sich selbst, sondern der Nachhilfe Jesu zu verdanken. Er schliesst ihnen das Gleichnis auf: «Hört also, was das Gleichnis vom Sämann bedeutet» (13,18). Gegenüber der Mk-Vorlage präzisiert Mt 13,19, dass es sich beim Samen um das «Wort vom Reich», also um die Reichgottes-Verkündigung, handelt. Entsprechend den Vorgaben des Gleichnisses unterscheidet die Deutung vier unterschiedliche Formen des Hörens: Den einen nimmt «der Böse» das Wort weg, das in ihr Herz gesät wurde (13,19). Bei andern kann es keine Wurzeln fassen; in Bedrängnis und Verfolgung kommen sie zu Fall (13,20–21). Bei wieder andern wird es erstickt «von den Sorgen dieser Welt und dem trügerischen Reichtum» (13,22). Die vierte Gruppe schliesslich hört das Wort nicht nur, sie versteht es auch und bringt reiche Frucht. Mit diesem Fruchtbringen kommt das Säen des Samens bzw. das Hören des Wortes vom Reich Gottes zu seinem Ziel.

Diese Deutung des Gleichnisses trägt deutliche Spuren der Aktualisierung. Mt hat es offenbar mit einer Gemeinde zu tun, der sich einige zwar mit Begeisterung anschliessen (13,20: sofort freudig das Wort aufnehmen), die aber keine Entschiedenheit und Beständigkeit zeigen. Andere sind in Bedrängnis und Verfolgung (13,21) nicht stark genug, um durchzuhalten und treu zu bleiben. Und die Gefährdung durch «die Sorgen dieser Welt und den trügerischen Reichtum» (13,22) schliesslich war und ist zu allen Zeiten aktuell und schuld daran, dass das Wort vom Reich Gottes keine Frucht bringt. Jesus selbst warnte mit mehr als deutlichen Worten vor den Gefahren des Reichtums (vgl. besonders Mt 6,24; 19,23–14).

Mt unterscheidet also sehr sorgfältig zwischen den Menschen, die das Wort nicht hören, seine Botschaft nicht akzeptieren, und denen, die hören, also den Jüngern. Aber auch bei ihnen, und d. h. in der Gemeinde der Glaubenden, kommt das Wort nicht bei allen zum Ziel. Alle hören es zwar, aber es bringt oft keine Frucht, weil unterschiedliche Gegenkräfte stärker sind. Das Gefälle des Gleichnisses zeigt allerdings, dass Mt nicht nur mahnen, sondern auch und vor allem ermutigen will: Das grosse Gewicht hat am Schluss die überreiche Frucht,3 die in denen reift, die guter Ackerboden sind.

Das Hören des Wortes vom Gottesreich kommt im Früchtetragen zum Ziel. Mt ist der Evangelist, der Jesus als grossen Lehrer zeichnet und lange Reden Jesu überliefert. Aber gerade ihm ist es ein Herzensanliegen, dass es nicht nur um das Hören geht, sondern um das Tun. Die Bergpredigt, das Herzstück seines Evangeliums, schliesst er mit einem unmissverständlichen Gleichnis (Mt 7,24–27): «Wer diese meine Worte hört und danach handelt, ist wie ein kluger Mann, der sein Haus auf Fels baute (…). Wer aber meine Worte hört und nicht danach handelt, ist wie ein unvernünftiger Mann, der sein Haus auf Sand baute …»

1 R. Zimmermann (Hrsg.): Kompendium der Gleichnisse Jesu. Gütersloh 2007, 304.

2 U. Luz: Das Evangelium nach Matthäus II (= EKK II/2). Zürich-Neukirchen 1990, 313.

3 U. Busse: Jesus im Gespräch. Zur Bildrede in den Evangelien und der Apostelgeschichte (= BBA 43). Stuttgart 2009, 19: «Denn nach aller Erfahrung rechnet man mit einer Versiebenfachung bei der Ernte als Durchschnitt, und wenn es absolut hochkommt, ist fünfzehnfach möglich. Alles andere sprengt die Erfahrung der Zuhörer Jesu.»