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Nicht, damit er den Kosmos richte   

Katharina Schmocker Steiner zum Evangelium am Dreifaltigkeitssonntag: Joh 3,16–18 SKZ 23-24/2011

Der Dreifaltigkeitssonntag eröffnet die Reihe der normalen Sonntage, die weder zur Oster- noch zur Weihnachtszeit gehören. Er wurde erst 1334 für die ganze Kirche eingeführt, weil er nicht den anderen Festen entspricht, die immer ein Ereignis aus dem Leben Jesu feiern. Der Christ ist in das Leben der drei göttlichen Personen einbezogen. Jedes Kreuzzeichen «Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes» drückt das aus, in jedem Gottesdienst wendet sich die Gemeinde an Gott, den Vater, durch Jesus Christus im Heiligen Geist.1

«Was in den Schriften geschrieben steht»

Der Evangeliumstext zum Dreifaltigkeitssonntag steht am Ende der Unterhaltung Jesu mit Nikodemus, der Jesus bei Nacht aufgesucht hat (Joh 3,1). Vorgängig erinnert Jesus Nikodemus, «wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat» (Joh 3,14a), um dann fortzufahren: «So muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der (an ihn) glaubt, in ihm das ewige Leben hat» (Joh 3,14b f.). Die Schlange aber musste Moses herstellen und erhöhen, weil das Volk der Israeliten nach dem Aufbruch vom Berg Hor den Mut verlor und sich gegen Gott und gegen Mose auflehnte. «Da schickte der Herr Giftschlangen unter das Volk. Sie bissen die Menschen, und viele Israeliten starben. (…). Da betete Mose für das Volk. Der Herr antwortete Mose: Mach dir eine Schlange und häng sie an einer Fahnenstange auf! Jeder, der gebissen wird, wird am Leben bleiben, wenn er sie ansieht» (Num 21,5–8). Die Situation, die durch die «Meuterei» des Volkes gegen Moses und vor allem gegen Gott entstanden ist, wird durch die Kupferschlange an der Signalstange nicht verändert. Nachdem Mose sie aufgerichtet hat, ist es nicht, als wäre nichts geschehen. Die Giftschlangen sind weiterhin da und beissen nach wie vor. Insofern hat Gott der Bitte des Volkes trotz dessen Reue nicht entsprochen.

Doch die Konsequenzen werden verändert. Es gibt eine Chance, eine Hoffnung auf Leben – für diejenigen, die Gott (erneut) vertrauen und dies zeigen, indem sie zur Kupferschlange aufsehen. Der Text schweigt sich darüber aus, wie viele sich überzeugen liessen. Die Situation, in der sich die Israeliten befanden, liess auch kaum die Möglichkeit zu, Untersuchungen anzustellen, die einen empirischen Zusammenhang zwischen dem Blick auf die Schlange und dem Überleben Gebissener bewiesen hätte. Die Episode wird abgeschlossen mit der Konstatierung «Wenn nun jemand von einer Schlange gebissen wurde und zu der Kupferschlange aufblickte, blieb er am Leben» (Num 21,9b) und dem Bericht, dass die Israeliten weiterzogen.

Jesus fährt in seinen Ausführungen mit dem Beginn des heutigen Evangeliumstextes fort: «Gott hat die Welt so geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat» (Joh 3,16). Die Abgrenzung ist leicht irreführend und lässt die Argumentation als losgelöst erscheinen. Die Hingabe des Sohnes scheint der primäre Erweis der Liebe Gottes zum Kosmos zu sein. Die griechische Satzeinleitung hutos wird jedoch in der Regel rückbezüglich verwendet, was hier bedeuten würde, dass Jesus in der Hilfe Gottes, dem tödlichen Gift der Schlangen durch einen Akt des Vertrauens entkommen zu können und dadurch am Leben zu bleiben, als dessen Erweis seiner Liebe und Treue gegenüber seinem immer wieder murrenden Volk versteht. Diesen Liebesbeweis wiederholt und bekräftigt er durch die Hingabe des einzigen Sprosses.

Damit übernimmt Gott offenbar die Rolle Abrahams, von dem er verlangt hatte, dessen Sohn als Brandopfer darzubringen (Gen 22,2). Durch diese Aufforderung stellt Gott seine eigene Verheissung in Frage, Stammvater einer Menge von Völkern zu werden (Gen 17,4 f.), denn Isaak ist der einzige rechtsgültige Spross, und Abraham kann keine Hoffnung haben, einen weiteren zu zeugen. Tatsächlich ist Abraham gezwungen, zwischen seiner Treue zu Gott und seinem Vertrauen in Gottes Verheis-sung zu wählen. Erst das Eingreifen Gottes – «Streck deine Hand nicht gegen den Knaben aus und tu ihm nichts zuleide! Denn jetzt weiss ich, dass du Gott fürchtest …» (Gen 22,11–13) – lässt erkennen, dass er falsch entschieden hat, dass er seine Treue nicht durch fraglosen Gehorsam, durch den er beinahe die Verheissung Gottes fraglich machte, sondern nur durch das Vertrauen auf die Zuverlässigkeit Gottes wahrhaft erweisen kann. Vielleicht zwar erahnt er dies, wenn er Isaak auf dessen Frage: «Wo aber ist das Lamm für das Brandopfer?» antwortet: «Gott wird sich das Opferlamm aussuchen» (Gen 22,7 f.), vielleicht ist diese Antwort nicht nur ein Ausweichen, sondern lässt das Vertrauen Abrahams und damit seine eigentliche Bewährung in dieser Prüfung durchscheinen.

Mit Johannes im Gespräch

Obwohl der für Trinitatis vorgesehene Textabschnitt durch eine Episode im Leben Jesu gerahmt ist, fokussiert er tatsächlich nicht auf das Leben Jesu als solches. Das Johannesevangelium bietet, wie so oft, eine theologische Deutung dessen, was Jesus erlebt und erleidet bzw. erleiden wird. Und wie in Num 21 die erhöhte Schlange nicht Gottes Richtspruch verkündet, sondern zum Zeichen der Hoffnung wird, so ist Christi Kreuzestod weder Hinweis auf Gottes masochistische Opfergier noch Beweis seiner Machtlosigkeit gegenüber den irdischen Realitäten. Wie die Giftschlangen, so ist die Lebenswelt auch jetzt «in (menschlicher) Ordnung» (kosmos), nämlich die Konsequenz der menschlichen Handlungen und Unterlassungen (im Unterschied zur physis, zur Naturordnung). Das Gewordene wird durch Gottes Eingreifen nicht einfach ausradiert – und damit wird den Menschen die Verantwortung für den Zustand der Welt nicht abgenommen –, noch wird die Welt(ordnung) als per se schlecht gekennzeichnet – «nicht, damit er den Kosmos richte» (Joh 3,17b). Gottes Realität ist auch nicht einfach der Gegenpol zur Welt. Mose wird nicht aufgefordert, die Darstellung eines triumphierenden Feindes der Schlangen aufzurichten, sondern gerade die Schlange selbst, die gegenwärtige irdische Lebensrealität der Israeliten in ihrer Erstarrung. Vergleichbar zeigt nicht das Kreuz Christi eine Alternative, es verdeutlicht in krasser und verewigender Weise die Realität der römischen Unterdrückung und der jüdischen Kollaboration. In der Wüste waren die Schlangen das Synonym der Lebensbedrohung, nun sind es die Menschen selbst. Muss es daher der Menschensohn sein, der an die Signalstange gehängt wird? Offenbar kann nur ein solches Opfer genügend aufrütteln und die gegenwärtige Ordnung als todbringend und erstarrt entlarven. Doch der Blick soll nicht an der toten Schlange, dem getöteten Menschen hängen bleiben. Wer den Blick auf sie / ihn richtet, richtet sich dadurch auch auf und bekommt so die Chance zu erkennen, dass die todbringenden Gegebenheiten zwar Realität, aber nicht unüberwindbar sind, dass es im Vertrauen auf Gott möglich ist, sich dem Leben zuzuwenden und weiterzugehen – «damit die Welt durch ihn gerettet wird» (Joh 3,17c).

Es gibt keinen sachlichen Grund, im «er» und «durch ihn» in Joh 3,17bc einen Subjektswechsel gegenüber Joh 3,17a «Gott hat (…) gesandt» zu sehen. Hiskija zerschlug schlussendlich «die Kupferschlange, die Mose angefertigt hatte und der die Israeliten bis zu jener Zeit Rauchopfer darbrachten», und gerade deshalb wird von ihm berichtet: «Er setzte sein Vertrauen auf den Herrn, den Gott Israels. Unter allen Königen Judas, die nach ihm kamen oder vor ihm lebten, war keiner wie er. Er hing dem Herrn an, ohne von ihm abzuweichen, und hielt die Gebote, die der Herr dem Mose gegeben hatte» (2 Kön 18,4.5f). Vielleicht wäre es fruchtbringend, uns nun im Blick auf die Kreuzestheologie aufzurichten, um so das Augenmerk auf die Auferweckungstheologie lenken zu können, im Tod Jesu statt ein von Gott gefordertes Opfer ein Opfer zu erkennen, das Gott uns darbrachte, «nicht (…), damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn [Gott] gerettet wird».

1 Vgl. www.kath.de/Kirchenjahr/dreifaltigkeitssonntag