Wir beraten

Er ist nicht hier   

Hanspeter Ernst zum Evangelium in der Osternacht, Mt 28,1–10 SKZ 15/2011

Ich erinnere mich: Die Feier der Osternacht mit all ihrer Symbolik war für mich immer ein gewaltiges Erlebnis. Nein, nicht die gelesenen Texte oder gar die (nicht gehaltene) Predigt – wohl aber das Spiel mit dem Licht, dem Feuer, dem Wasser. Und ich habe dies auch nie so verstanden, dass erst mit Jesus Christus das Licht in die Welt gekommen wäre, denn da war doch das grosse Feuer vor der Kirche. Das hat mich mehr beeindruckt als das mickrige Licht der Osterkerze, die erst noch entzündet werden musste. Das Feuer brannte, als wir kamen … Wie armselig und brav blieb dagegen selbst das Licht, das die vielen brennenden Kerzen bei der Taufgelübdeerneuerung verbreiteten. Und ich erinnere mich, wie mir ein Gedanke von Dorothee Sölle zum Belgleiter bis heute wurde: Gott ist wie ein Feuer, von Ferne gibt es hell; kommst du näher, dann wärmt es dich. Bist du ganz nah, wirst du selbst Feuer.

«… was in den Schriften geschrieben steht»

Matthäus berichtet, wie die beiden Marias zum Grab gehen, um zu schauen. Was sie schauen wollen, sagt er nicht. Dann folgt, eingeleitet mit «Siehe», ein grosses Erdbeben, «denn ein Engel des Herrn stieg vom Himmel herab» (2). Das Erdbeben erinnert vielleicht an dasjenige, das sich beim Sterben Jesu am Kreuz ereignet hat (Mt 27,54). Mehr jedoch dürfte es an Theophanien erinnern, denken wir nur an das Geschehen am Sinai, wie der Berg bebte, als Gott die Worte des Lebens sprach. Hier kommt zwar nicht Gott selbst, wohl aber sein Bote, der Engel. Mit ihm verbindet sich das Ende des Evangeliums mit dem Anfang: Dort greift im Traum der Engel dreimal entscheidend ein und gibt dem Geschehen eine Richtung: Er erklärt Josef den Sachverhalt mit der Schwangerschaft Marias und hält ihn davon ab, eine Dummheit zu begehen; er fordert Josef auf, mit dem Kind und seiner Mutter zu fliehen, weil Herodes nach seinem Leben trachtet, und er teilt Josef mit, dass er mit dem Kind und seiner Mutter zurückkehren kann, weil Herodes gestorben ist. Hier nun wälzt der Engel den Stein weg und setzt sich drauf. Das Beben und die Erscheinung des Engels lösen Furcht und Schrecken aus. Die das Grab beobachtenden Wächter beben und erstarren vor Angst. Der Engel wendet sich an die Frauen. Die Wächter scheinen ihn nicht zu kümmern. Den Frauen sagt er, dass sie sich nicht fürchten sollen. Und ihnen übermittelt er die Botschaft der Auferweckung Jesu: «Fürchtet euch nicht. Denn ich weiss, ihr sucht Jesus den Gekreuzigten. Er ist nicht hier. Er ist auferweckt worden, wie er gesagt hat. Kommt, seht die Stelle, wo er gelegen hat.» Und ihnen gibt er den Auftrag, «sich eilends auf den Weg zu machen und seinen Jüngern zu sagen, dass er von den Toten auferweckt worden ist.» Zweimal sagt der Engel, dass Jesus auferweckt worden ist. Offenbar ist diese Aussage auch für den Engel eine so starke, dass er sie wiederholen muss und am Schluss erst noch eigens betont: «Ich habe es euch gesagt» (7). Dass die Frauen dann eilends vom Grab weggehen, versteht sich von selbst. Mit Furcht und grosser Freude ist schon weniger selbstverständlich. Grosse Freude würde doch genügen. Weshalb noch mit Furcht? Könnte es sein, dass das «er ist nicht hier» ein ziemlich unbestimmbares Gefühl wie Angst auslöst? Denn ein leeres Grab ist kein Beweis für die Auferstehung. Die Leerstelle bleibt. Matthäus berichtet nicht, wie Jesus aus dem Grab kam. Und er lässt es offen, ob der Engel den Stein weggewälzt hat, damit Jesus das Grab verlassen kann oder damit die Frauen sehen, dass das Grab leer ist. Aber vielleicht ist all dies nur Staffage für die Osterbotschaft: «Er ist auferweckt worden» … «Geht und sagt es».

Kehren wir noch einmal zurück. So viel ist sicher: Die Botschaft des Engels ist so entscheidend, dass sie mit Abstand am meisten Platz einnimmt in der Ostererzählung nach Matthäus. Der Engel muss den Frauen nicht erklären, was Auferweckung meint. Als Jüdinnen sind sie mit diesem Gedanken vertraut. Aber: Diese durch den Engel geschehende Offenbarung Gottes erschüttert alle Gewissheiten und all das, was bisher bekannt ist. Das nicht in dem Sinne, dass hier nun eine christliche Wahrheit die jüdische überbietet. Wer das so sieht, hat nicht begriffen, dass jede Offenbarung Gottes alle menschlichen Gewissheiten und Kategorien übersteigt. Sie rüttelt an den Grundfesten unseres Verstehens und der durch die Religionen über die Jahrhunderte überlieferten Erfahrungen. Sie sprengt auch die zur Verkrustung neigenden Strukturen einer Dogmatik. Das belegen die Erscheinungen bei Theophanien zur Genüge: So heisst es im Ps 68,8 f.: «Gott, als du auszogst vor deinem Volk, als du einherschrittest durch die Wüste, da bebte die Erde, die Himmel troffen vor Gott, dem vom Sinai, vor Gott, dem Gott Israels.» Das heisst, dass die Festen der Erde wie die des Himmels durcheinanderkommen, dass beim Erscheinen Gottes nicht mehr klar ist, was unten und was oben ist, und dass damit die Fixpunkte, an denen sich die menschliche Orientierung ausrichtet, aus den Fugen gehoben werden. Wie sehr das menschliche Erkenntnisvermögen dabei ausser Kraft gesetzt wird, bringt der Nimschal eines rabbinischen Gleichnisses prägnant zum Ausdruck. Da wird in Anlehnung an Hl 5,6 (Meine Seele verliess mich bei seinem Wort) gesagt, dass die Israeliten die Stimmen (gemeint ist die Stimme Gottes, die in Ex 20,18 im Plural genannt wird) hörten und starben. So paradox das tönt, scheint es mir den Sachverhalt präzise wiederzugeben. An diesem sozusagen nur noch toten beziehungsweise empfangenden Punkt ereignet sich das Neue. Die Botschaft von Ostern heisst nicht, dass Jesus reanimiert worden wäre, sondern dass er auferweckt worden ist. Und es wird nicht irgendeiner auferweckt, sondern Jesus, der Gekreuzigte. Die Botschaft des Engels trifft auf Menschen in der Geschichte. Aber eben diese Geschichte der Notwendigkeit ist von Gott durchbrochen, die Gesetzmässigkeit gesprengt. Der Stein vom Grab ist weg. Gott schafft das Neue und nicht Voraussehbare und allem Planbaren Entzogene. Wenn die Frauen Jesus, dem Auferstandenen begegnen, dann ist diese Begegnung mit ihm so, dass «sie selbst zum Feuer werden». Vielleicht sind die Wächter, die wie tot umfallen, dann aber doch eilends in die Stadt gehen und das Geschehene mitteilen, als Kontrastfiguren verstehen: Sie sind nicht Getroffene, daher lassen sie sich kaufen und einen Toten verwalten.

Mit Matthäus im Gespräch

Matthäus hat mit seiner Art, wie er von der Auferweckung berichtet, klar gemacht, dass Auferstehung nicht der Gesetzmässigkeit folgt. Und ich denke, dass er damit auch sagt, dass die Bilder, die wir zur Erklärung der Auferstehung gebrauchen, zu hinterfragen sind. Denn Auferstehung ist nicht wie eine Raupe, die sich zum Schmetterling entfaltet, ist nicht wie ein Baum, der aus seinem Winterschlaf erwacht, ist nicht wie Humus, aus dem Pflanzen entstehen. Dies alles ist zwar wunderbar, folgt aber Gesetzmässigkeiten. Dass ein Geschundener von Gott auferweckt wird, durchbricht diese Gesetzmässigkeit und die Logik der Welt, durchbricht auch das Gesetz, das ihn zu Tode brachte. Gott ist zwar transzendent und Geheimnis, aber seine Transzendenz hat eine Geschichte in dieser Welt. Das haben Frauen und Männer begriffen, die sich von seiner Botschaft anstecken liessen und Gottes Willen erfüllen. Predigen wir so, dass die Kirche nicht zum Grabe des Auferstandenen wird – und denken wir daran, dass das Osterfeuer ausserhalb der Kirchenmauern brennt.